Zuspitzung im Nahost-Konflikt: Nächster Krieg – das wahrscheinliche Szenario




Kommentar

Stand: 28.01.2023 01:25 Uhr

Der Anschlag in Jerusalem könnte zeigen, dass der Nahostkonflikt von einem politischen zu einem religiösen wird. Die Eskalation dient Akteuren auf beiden Seiten. Ein Krieg könnte bevorstehen.

Ein Kommentar von Jan-Christoph Kitzler, ARD-Studio Tel Aviv

Der Anschlag von Jerusalem ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Zeichen im Nahen Osten auf Eskalation stehen. Die Terrororganisation Hamas hat ihn als Rache für das bezeichnet, was am Donnerstag im Westjordanland passiert ist. In Dschenin starben bei einem israelischen Militäreinsatz neun Palästinenser, darunter militante Kämpfer, aber auch eine ältere Frau.

Jan-Christoph Kitzler
ARD-Studio Tel Aviv

Danach passierte das, was so oft passiert: In der Nacht flogen Raketen aus dem Gazastreifen, der von der Hamas kontrolliert wird, auf Israel, die von der Raketenabwehr abgefangen wurden. Und als Reaktion flog die Israelische Armee Luftangriffe auf den Gazastreifen. Und nun die Toten von Jerusalem – ausgerechnet an einer Synagoge, ausgerechnet am Holocaust-Gedenktag.

Vom politischen zum religiösen Konflikt

Der Anschlag von Jerusalem könnte ein Zeichen dafür sein, dass der Nahost-Konflikt von einem politischen zu einem religiösen Konflikt wird. Auch weil an eine politische Lösung derzeit nicht zu denken ist. Denn die palästinensische Führung ist schwach wie nie und gespalten. Große Teile des Westjordanlandes sind ihrer Kontrolle entzogen – weil Israel seine Kontrolle auf das besetzte Gebiet immer weiter ausdehnt und weil vielerorts radikale Kräfte, wie der Islamische Dschihad, inzwischen den Ton angeben.

Die Palästinensische Autonomiebehörde verwaltet einen Zustand, der mit Autonomie praktisch nichts mehr zu tun hat. Sie hält sich nur am Leben, weil viel Geld aus dem Ausland kommt, das eigentlich einmal dafür gedacht war, einen palästinensischen Staat aufzubauen. Von dem ist man zur Zeit weiter entfernt denn je.

Netanyahu-Regierung will Staat grundlegend umkrempeln

Und in Jerusalem führt Benjamin Netanyahu eine israelische Regierung, in der rechtsextreme und ultrareligiöse Pyromanen nicht nur für schrille Töne sorgen. Sie wollen auch Fakten schaffen, den israelischen Staat grundlegend umkrempeln und die Besatzung palästinensischer Gebiete immer weiter vorantreiben – vor allem auch aus radikal jüdischen Motiven.

Das Problem: Bei diesem – tödlichen – Spiel sitzen zur Zeit zu viele Spieler am Tisch, die von der Eskalation leben. Auf palästinensischer Seite herrscht ein Machtkampf um die Frage, wer den Widerstand gegen die Besatzungsmacht anführt. Das Mittel der Wahl in diesem Kampf ist: Terror.

Und in der Israelischen Regierung sitzen Minister, die nun ihre Stunde gekommen sehen, das Westjordanland de facto zu annektieren. Ihr Mittel der Wahl: freie Fahrt für alles, was jüdisch ist.

Die Eskalation nützt beiden.

Zwei-Staaten-Lösung noch das richtige Ziel?

Da wundert es, dass die deutsche Außenpolitik immer noch von einer Zwei-Staaten-Lösung als Ziel spricht. Denn wie sie die erreichen will, ist unklar.

Und auch den USA fällt zurzeit nichts anderes ein, als die alten, überkommenen Konzepte zu betonen, während sich die furchtbare Lage in der Region immer weiter verschärft. Jetzt kommt US-Außenminister Anthony Blinken. Er wird am Montag und Dienstag die israelische und palästinensische Seite treffen. Ob sich danach etwas am jetzigen Zustand ändert?

Eher unwahrscheinlich. Das wahrscheinliche Szenario ist: der nächste Krieg im Nahen Osten. Dafür werden die Brandstifter schon sorgen.

Redaktioneller Hinweis

Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.





Quellenlink https://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar-angriff-jerusalem-101.html