Wollen Deutschland zur „Wasserstoffrepublik“ machen

Da grüner – also mit Strom aus nichtfossilen Quellen hergestellter – Wasserstoff etwa in Australien, Afrika oder Südamerika weitaus billiger hergestellt werden könne als hierzulande, werde Deutschland zwar „immer Importland“ bleiben, sagte die Ministerin. Um jedoch die Wasserstofftechnologie zum „Exportschlager made in Germany„ zu machen, müsse die Produktion auch national vorangetrieben werden.
Dies soll zugleich die künftige Abhängigkeit von Wasserstofflieferanten mindern. Um Deutschland zur „Wasserstoffrepublik“ zu machen, fördere ihr Haus bereits „Wasserstoff-Leitprojekte“ mit 700 Millionen Euro, sagte Stark-Watzinger.
Die Produktions- und Nutzungspotenziale beim Wasserstoff in Deutschland soll nun das vom Forschungsministerium finanzierte Internetportal „Wasserstoff-Atlas“ zeigen. Darauf sind bis auf Kreisebene sämtliche Anlagen und Wertschöpfungsketten verzeichnet, die heute schon aktiv oder geplant sind. Dazu kommt das Potenzial für künftige Projekte auf der Basis erneuerbarer Energien.
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Die frühere Große Koalition hatte bereits im Jahr 2020 eine nationale Wasserstoffstrategie formuliert. Die Ampelregierung will diese nun neu auflegen und „noch ambitionierter und noch verbindlicher“ machen.
Der Wasserstoffexperte Michael Sterner von der OTH Regensburg, der den Atlas konzipiert hat, sagte, für Klimaneutralität und Preisstabilität bei der Energie brauche es Wasserstoff in sehr großen Mengen. Als Abnehmer für Wasserstoff nannte er die Düngemittel- und Kunststoffindustrie, Prozesswärme, die Metallverarbeitung oder den Verkehrssektor. Wasserstoff sei neben den erneuerbaren Energien „der Haupttreibstoff, der Deutschland in Richtung Klimaneutralität bringt“.
Der Experte warnte zugleich davor, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen: „Wir sind heute in der Wasserstofftechnologie ganz weit vorn – wie damals bei der Fotovoltaik. Daher müssen wir nun aufpassen, dass diese Zukunftstechnologie nicht ebenfalls ins Ausland abwandert.“
Aktuell werden rund 55 Terawattstunden (TWh) Wasserstoff jährlich in Deutschland genutzt
– vor allem in Raffinerien oder für die Produktion von Ammoniak für die Düngerherstellung und Methanol. Das aktuelle Potential bezifferte der Wasserstoff-Experte Sterner auf knapp 800 TWh. Zur Veranschaulichung: Eine Terawattstunde reicht etwa für 350 Millionen Wasserstoff-Bus-Kilometer oder etwa 400.000 Tonnen grünen Stahl.
Grundlage für die Berechnung des Produktionspotenzials von Wasserstoff in einer Region ist im Atlas der Abstand der Windkraftanlagen zur nächsten Siedlung. Schließlich benötigt es Wind- oder Sonnenenergie für die Herstellung des grünen Wasserstoffs.
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Wenn wie etwa in Bayern Abstände von 2000 Metern zwischen Windrad und Wohnsiedlung empfohlen werden, „sinkt das Potenzial dort gegen null – die Karte bleibt weiß“, sagte Sterner. Der Atlas soll den Kommunen die langwierige und teure Arbeit ersparen, ihr jeweiliges regionales Potenzial bewerten zu lassen.
Als Beispiel verwies Sterner auf die PCK-Raffinerie in Schwedt in Brandenburg. Aktuell zeigen bereits drei Unternehmen Interesse daran, die Raffinerie so umzubauen, dass dort künftig etwa mit Wasserstoff grüne Kraftstoffe hergestellt werden können statt wie aktuell aus russischem Erdöl Benzin und Diesel.
Benötigen würde die Raffinerie selbst rund drei TWh, sagte Sterner. „Das Potenzial des Kreises Uckermark, in dem Schwedt liegt, ist aber viel größer und beträgt rund zehn Terawattstunden“.
Die größten Potenziale bei der Wasserstoffproduktion haben dem Atlas zufolge die Bundesländer Niedersachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt. Aktuell zeigt sich noch eine eindeutige Dominanz im Norden Deutschlands. Dieser sei wegen der großen Wind- und Speicherpotenziale “natürlich prädestiniert“, sagte Sterner. Ministerin Stark-Watzinger nannte als Region mit Potenzial auch das Rhein-Main-Gebiet mit dem Industriepark Höchst.
Generell wird der Einsatz von Wasserstoff überall dort angestrebt, wo grüner Strom aus technischen Gründen nicht zum Einsatz kommen kann, also etwa für die Produktion von Stahl, Zement oder Aluminium oder in der Düngemittelherstellung. Im Verkehr baut die Bundesregierung auf den Antrieb von Schiffen, Flugzeugen und Lastkraftwagen mit Wasserstoff und weniger auf den von Pkw.
Sterner weist auf weitere Einsatzmöglichkeiten hin: „Bei uns melden sich reihenweise Unternehmen, die grüne Energie nicht nur kurzfristig in Batterien, sondern mittelfristig, also vor allem aus dem Sommer für den Winter speichern wollen.“
Dabei gehe es den Firmen nicht nur um den Preis, sondern auch um die Versorgungssicherheit und damit die Stabilität der industriellen Produktion. So gibt es im Sommer oft einen Überschuss an erneuerbarer Energie, die sich in Form von Wasserstoff speichern lassen könnte.
Hürden für den Ausbau der Wasserstofftechnologie sieht Sterner jedoch nicht nur in der Verfügbarkeit von grünem Strom. Es brauche auch in Handwerksbetrieben und an Hochschulen ein Nachhaltigkeitsbewusstsein wie bei den Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future, „um ausreichend Arbeitskräfte für Klimaschutz und Energiewende zu haben“, mahnte der Professor für Energiespeicher und Energiesysteme. „Deshalb habe ich der Ministerin auch eine Ausbildungsoffensive Energiewende vorgeschlagen.“
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