Woher Sie wirklich kommen und warum Sport nichts bringt


Langes Sitzen, Hohlkreuz – und schon hat man Schmerzen. Sport kann lindern, aber nicht heilen, sagt ein Wirbelsäulenchirurg.imago images
Kennen Sie irgendeinen Erwachsenen, der keine beziehungsweise noch nie Rückenschmerzen hat(te)? Früher oder später ereilt es wohl jeden von uns. Bei dem einen zwackt es nur bei bestimmten Bewegungen, der andere wird vom Hexenschuss niedergestreckt, der nächste hat’s an der Bandscheibe.
Und immer wird versucht, mit Schmerzmitteln, Muskelrelaxantien, Physiotherapie, Einrenkungsversuchen, Sport und allerhand mehr den maladen Rücken wieder in Form zu kriegen. Der Erfolg ist oftmals eher mäßig und nur selten von Dauer. In der Folge arrangieren sich die meisten Menschen damit, dass sie „Rücken haben“. Als wäre es ein natürlicher Zustand.
Den Wirbelsäulenchirurg Dr. Christian Behrendt wundert all das nicht: „Es wird viel zu wenig an der Schmerzursache gearbeitet. Und deshalb ist es auch nur logisch, dass die Beschwerden bestehen bleiben.“ Deshalb fordert er: „Wir sollten unseren Rücken nicht stärken, sondern eher schwächen.“
Was genau das bedeutet und weshalb es fast schon programmiert ist, dass wir alle Rückenschmerzen bekommen, erklärt der Mediziner und Buchautor*.
Warum hat man ständig Rückenschmerzen?
Die Antwort sei einfach, sagt Dr. Christian Behrendt: „Wir Menschen sind eigentlich nicht fürs Sitzen auf Stühlen gemacht. Weil wir aber schon in der Schule mindestens den halben Tag sitzen, verkürzen sich bestimmte, für den Rücken wichtige Muskeln – und das führt auf lange Sicht unweigerlich zu Rückenschmerzen.“
Früher hätten die Menschen die meiste Zeit gehockt – und zwar so, dass beide Füße fest und flächig auf dem Boden stehen, der Po hinten sozusagen locker runterhängt, die Knie nach oben gerichtet sind, die Oberschenkel fast den Oberkörper berühren. „Dabei ist der untere Rücken leicht gerundet“, erklärt der Experte. „Aber heutzutage kommen sehr viele Menschen gar nicht mehr runter, sie schaffen es nicht, diese Position einzunehmen. Und das ist ein Resultat der verkürzten Sitzmuskulatur.“
Das größte Problem ist der Hüftbeugemuskel. „Er zieht sich von der Vorderseite der Hüfte schräg durchs Becken bis auf die Rückseite der Wirbelsäule. Wenn wir sitzen und die Hüfte zu 90 Grad gebeugt ist, ist dieser Muskel maximal kurz. Durch permanentes Sitzen verkürzt er sich und zieht den Rücken ins Hohlkreuz. Das ist die Basis für Rückenschmerzen“, so Behrendt. „Das Hohlkreuz ist die direkte Folge des Sitzens.“
Und deshalb bekommen sogar viele eigentlich schmerzfreie Menschen auch Rückenschmerzen, wenn sie lange stehen oder im Stehen arbeiten: Der Hüftbeugemuskel zieht im Stehen besonders stark ins Hohlkreuz. Und dann hat man das Bedürfnis, sich doch wieder hinzusetzen – eine Schonhaltung, die den Teufelskreis weiter in Gang hält.
Hinzu kommt, dass der lange Rückenstrecker, also die großen Muskeln beidseitig der Wirbelsäule verkürzt sind. Auch das ein Resultat des Hohlkreuzes. Wenn wir uns, wie oben beschrieben, in der natürlichen Hocke befinden, ist der untere Rücken rund, die Rückenstreckermuskeln lang und stark.
Im Hohlkreuz verkürzen sie sich aber. „Auch unabhängig davon, ob Sie Beschwerden haben, werden Sie sehr vermutlich verkürzte Muskeln haben. In der Praxis sehen wir nur sehr selten Menschen, deren Muskulatur unverkürzt ist“, sagt der Experte.
Was hilft gegen Rückenschmerzen?
Natürlich ist Sport immer ein guter Impuls und hilfreich, gegen Schmerzen anzuarbeiten. Jedoch: „Wer seine Rücken- und Bauchmuskulatur trainiert und stärkt, wird Linderung erfahren, ganz gesund werden viele nicht. Denn das Problem der Verkürzung bleibt bestehen. Sport ist also kein Weg, die Ursache zu beheben. Das geht nur, indem man die Verkürzungen behebt. Ansonsten ziehen die Muskeln weiterhin ins Hohlkreuz“, so Behrendt.
Man muss die Muskeln also wieder auf ihre natürliche Länge bringen, wie der Wirbelsäulenspezialist sagt: „Jeder Muskel hat eine Spannungsregulation, die vom Gehirn gesteuert wird. Im Grunde genommen ist der Muskel nicht wirklich verkürzt im Sinne einer tatsächlichen Längenreduzierung, sondern die Elastizität wird nicht mehr so zugelassen wie es ursprünglich mal war.“
Die Lösung lautet Elastopressur und wird auch Osteopressur genannt. „Hierbei übt man Druck auf den Muskelansatz aus, der die Spannungsregulation wieder ins Lot bringt“, erklärt der Mediziner. „Das funktioniert für den Hüftbeuger, für die Rücken-, Bauch- und auch die Oberschenkelmuskulatur.“ Bekannt ist die Pressur-Methode durch Liebscher und Bracht geworden, es gibt sie aber auch in ähnlicher Form als Schmerztherapie nach Hock.
Theoretisch kann man das selbst machen, sinnvoller ist es aber, die Muskelansätze von jemandem drücken zu lassen, der Erfahrung damit hat. Das können Physiotherapeuten, Osteopathinnen oder auch Ärztinnen und Ärzte sein. In der Regel sind drei bis fünf etwa einstündige Behandlungen nötig, die ungefähr zwischen 80 und 120 Euro kosten. Zahlen muss man das selbst, die Krankenkassen übernehmen die Kosten meistens nicht.
Wichtig ist, dass man nach der Behandlung als zweiten Schritt jeden Tag Dehnungsübungen macht, um den Zustand zu erhalten und nicht wieder in die Schmerzfalle zu tappen. Man muss also täglich fünf Dehnungsübungen zu je drei Minuten absolvieren. Welche das sind, sollte man sich von einem Profi zeigen lassen, denn das richtige Ausführen ist essentiell für den Erfolg.
Besonders effektiv ist die sogenannte Psoas-Dehnung, bei der die Hüfte überstreckt und der Muskel auf Länge gebracht wird. Hierzu macht man einen Ausfallschritt, stellt also ein Bein mit dem Fuß gerade nach vorne auf, das andere nach hinten. Dabei wird der hintere Unterschenkel mit Knie und Fuß auf den Boden gelegt. Dann wird das vordere Bein im Knie auf 90 Grad gebeugt, wodurch der Oberschenkel des hinteren Beins automatisch in die Länge gezogen wird.
Das zieht ganz ordentlich. Und so soll es auch sein. „Versuchen Sie dann, die Hüfte noch ein wenig nach vorn zu schieben“, rät Behrendt. „Helfen Sie ruhig ein wenig nach, indem Sie das Gesäß mit der Hand Richtung vorderes Knie schieben.“
Übrigens: Viele Menschen glauben, dass Bewegung das Gegenstück zum Sitzen und Stehen ist. Sicher ist da auch was Wahres dran, aber „tatsächlich ist die Dehnung die eigentlich richtige Gegenbewegung zum Sitzen. Wer viel sitzt, sollte sich viel dehnen“, so Dr. Christian Behrendt. „Allerdings können wir durch das herkömmliche Dehnen nur eine vergleichsweise geringe Verbesserung erzielen. Einen spürbaren und dauerhaften Erfolg kriegt man nur durch eine fachgerechte Pressur hin.“
*Dr. Christian Behrendt: Starker Rücken ohne Anstrengung. Schmerzfrei durch Überwindung der Sitzkrankheit, Braumüller-Verlag, 250 Seiten, 24 Euro