Wo Heroin den Menschen hilft


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Von: Steven Micksch

Frankfurt 02.6.2023 Dietmar Paul, Leiter der Heroinsubstitutions-Ambulanz
Dietmar Paul, der Leiter der Heroinsubstitutions-Ambulanz. © Monika Müller

Seit 20 Jahren bekommen Schwerstabhängige in der Heroinambulanz reines Diacetylmorphin.

Wer einen Heroinrausch möchte, muss zunächst seine Identität nachweisen. Nüchtern muss man sein und auch sonst nicht auffällig erscheinen. Anschließend geht man bei der Heroinambulanz in der Grünen Straße zum nächsten Schalter. Vom Beschäftigten hinter der Panzerglasscheibe erhält man schließlich die Spritze mit seiner ärztlich verabredeten Dosis. Auf einem der umstehenden Stühle im steril und kalt wirkenden Raum kann man sich schließlich den Schuss setzen.

Seit nunmehr 20 Jahren gibt es die Ambulanz in der Nähe der S-Bahnhaltestelle Ostendstraße. Sie war eine von sieben Studienambulanzen, die zeigen sollten, ob die Vergabe von reinem Heroin (Diacetylmorphin) an abhängige Menschen einen positiven Effekt hat. Die Skepsis war groß, ebenso der Widerstand vieler Bürgerinnen und Bürger aus der Nachbarschaft. Heutzutage sind die positiven Auswirkungen der Abgabestellen wissenschaftlich belegt. Die Zahl der Ambulanzen hat sich seit dem Start damals verdoppelt.

Therapeutisch orientiert

Dietmar Paul ist Chefarzt der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen und Konsiliarpsychatrie am Bürgerhospital und Leiter der Frankfurter Heroinambulanz. „Moderne Ambulanzen sehen heute anders aus, fast wie Arztpraxen“, sagt Paul. So steril wie die in Frankfurt würde man keine mehr gestalten.

Auch die Aufmachung mit Panzerglas sei in Ländern wie der Schweiz unvorstellbar. Diese assoziiere eher, dass man mit Kriminellen arbeite statt mit Patientinnen und Patienten.

Bis zu 150 schwerstabhängige Menschen kann die Ambulanz versorgen, 80 bis 90 sind es derzeit, die bis zu dreimal täglich zu festen Öffnungszeiten ihr Heroin bekommen. Im Durchschnitt sind die Patientinnen und Patienten 48 Jahre alt. Zwei Drittel von ihnen sind männlich.

„Unsere Arbeit hier ist therapeutisch orientiert“, sagt Paul. Mit im Haus sitze die psychosoziale Arbeit des Vereins Jugendberatung und Jugendhilfe. Das Suchthilfenetz, das man geknüpft habe, sei sehr wichtig. Man wolle nicht nur Heroinausgabe sein.

Die Menschen, die Anspruch auf eine Versorgung durch die Ambulanz haben, sind Schwerstabhängige, die bereits mindestens zwei erfolglose Therapien hinter sich haben. Es sind Menschen, die man nicht mehr anders erreiche und die seelisch und körperlich krank sind. Das Mindestalter, um behandelt zu werden, liege bei 23 Jahren. Das liege daran, weil man mindestens fünf Jahre schwerstabhängig gewesen sein muss, um Anspruch auf einen Platz in der Ambulanz zu haben (der dann auch von der Krankenkasse bezahlt wird). Das Mindestalter ist Paul ein Dorn im Auge, weil es impliziert, dass junge Menschen erst mit 18 Heroin nehmen – die Realität sei aber eine andere.

Der Patientensprecher der Ambulanz erzählt beim Besuch seine Geschichte. Der 32-Jährige möchte anonym bleiben. „Mit 21 fing ich an harte Drogen zu nehmen“, sagt er. Jahrelang war er in der Szene, nahm verschiedene Drogen, versuchte eine Substitution mit Methadon – erfolglos. Er wurde obdachlos, schlug sich so durch, irgendwann bekam er von der Ambulanz Wind. Seit drei Jahren ist er nun dort. Sein Leben sei viel besser geworden. Er lebt im betreuten Wohnen, hat eine Arbeit und Geld. Auch seine Dosis habe er im Laufe der Zeit schon verringert. „Mein Ziel ist irgendwann nichts mehr zu nehmen.“ Das ist das wahrscheinlich größtmögliche Bestreben, weiß auch Dietmar Paul. Nur den wenigsten gelinge die Abstinenz.

Bei fast allen gelinge es zumindest, die Heroin-Dosen zu verringern. In manchen Fällen könne man auf eine orale Einnahme umstellen oder eine Substitutionstherapie mit anderen Stoffen beginnen. In erster Linie versuche man, die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen. Da das verabreichte Heroin rein sei, gebe es weniger gesundheitliche Risiken als mit dem meist verunreinigten Straßenheroin.

Der Konsum in der Ambulanz führe auch zu weniger Kriminalität, da sich die Menschen die Drogen nicht mehr kaufen müssen. Und es gelänge häufig die Patientinnen und Patienten sozial zu stabilisieren und ihnen eine bessere gesundheitliche Versorgung – vor allem auch psychiatrische Behandlung – zu bieten.

Crack bedroht das Projekt

Doch die Ambulanz lebt nicht fernab der Realität draußen. „Crack zerschießt uns das Projekt“, sagt Paul. Denn immer häufiger konsumieren auch die Patientinnen und Patienten die leicht verfügbare Droge. Dadurch nähmen die gesundheitlichen Probleme wie Abszesse oder Lungenerkrankungen wieder zu.

Warum die eigentlich gut versorgten Menschen trotzdem zu Crack greifen, darüber kann der Leiter nur spekulieren. Die schiere Verfügbarkeit und viele weggefallene Tagesangebote in der Corona-Zeit würden ihren Teil beitragen. Eine damit verbundene Langeweile könne den Konsum begünstigen.



Quellenlink https://www.fr.de/frankfurt/wo-heroin-den-menschen-hilft-92333333.html