Wenn sich Hertha BSC nicht selbst hilft, dann zumindest der Konkurrenz


Bei der Niederlage in Hoffenheim ließen die Blau-Weißen alles vermissen, was es braucht, um die Klasse zu halten. Da sind andere Vereine deutlich weiter.

Anstatt Glückwünsche von Hoffenheims Trainer Pellegrino Matarazzo anzunehmen, musste Hertha-Coach Sandro Schwarz (r.) seinen Kollegen zum Sieg gegen seine Mannschaft beglückwünschen.

Anstatt Glückwünsche von Hoffenheims Trainer Pellegrino Matarazzo anzunehmen, musste Hertha-Coach Sandro Schwarz (r.) seinen Kollegen zum Sieg gegen seine Mannschaft beglückwünschen.Foto2Press/Imago

Nach dem jüngsten Auftritt von Hertha BSC vor der Länderspielpause bei der TSG Hoffenheim fehlten mir anschließend die Worte. Das Team von Trainer Sandro Schwarz präsentierte sich in diesem eminent wichtigen Duell ohne Biss, ohne Power, ohne Ideen! Dabei hatte man versprochen, sich zu zerreißen im dramatischen Kampf um den Klassenerhalt. Viel heiße Luft! Die Profis produzierten jede Menge dummer Fehler, die bei manchem hoch bezahlten Akteur Zweifel an dessen Erstligatauglichkeit nährten. Was soll man über diese desolate Vorstellung noch schreiben? Vor allem, weil sich solche Auftritte wiederholen. Eigentlich ist fast alles gesagt.

Weißer Fleck in der Tageszeitung Junge Welt

Mir fiel ein, wie einst kritische Kollegen mit desolaten Auftritten von Fußballern umgingen. Das ist sehr lange her und passierte zu DDR-Zeiten. Am 2. Oktober 1987 ließen die Redakteure der Tageszeitung Junge Welt die Spalten der Rubrik „Verlängerung mit Einwürfen“ leer unter der Überschrift: „Drei schieden aus – Kommentar überflüssig.“ Die Aktion „Weißer Fleck“ sorgte für ungeheures Aufsehen. Was war passiert?

Drei Oberliga-Klubs waren in den verschiedenen Europapokal-Wettbewerben am gleichen Tag bereits in Runde eins sang-und klanglos ausgeschieden: Der BFC Dynamo bei den Landesmeistern gegen Girondins Bordeaux, der 1. FC Lok Leipzig bei den Pokalsiegern gegen Olympique Marseille und Dynamo Dresden im Uefa-Cup gegen Spartak Moskau. Nur Wismut Aue kam im Uefa-Pokal gegen Valur Reykjavik eine Runde weiter. Zusatzkommentar der Junge-Welt-Sportredakteure: „Den Wismut-Kumpeln aus Aue wünschen wir viel Erfolg für die nächste Runde.“

Nun geht es bei Hertha schon lange nicht mehr um Duelle in den Europacup-Wettbewerben, sondern ums nackte Überleben in der Ersten Fußball-Bundesliga. Hertha-Trainer Sandro Schwarz, der von Glück reden kann, mit seiner desaströsen Bilanz (vier Punkte in der Fremde, zuletzt acht Niederlagen in Serie bei Auswärtsspielen mit 7:23 Toren) weiter im Amt bleiben zu dürfen, sagte unlängst: „Fünf Mannschaften betteln um den Klassenerhalt, auch wir!“

Nach Hoffenheim ist Hertha der Krösus unter den Bettlern. Zweimal bettelte man um einen Elfmeter. Warum Tolga Cigerci bei einem Eckball im Strafraum beide Arme in die Luft reckte und eine „Volleyball-Abwehr“ versuchte, bleibt sein Geheimnis. Und Filip Uremovic, der sich wieder einmal zu langsam präsentierte, foulte ungestüm TSG-Angreifer Ihlas Bebou. Der Kroate verursachte in dieser Saison bereits den dritten Strafstoß – auch ein Rekord! Auffällig sind die schweren Konzentrationsmängel, die sich immer wieder am Spielende zeigen. Allein sieben Gegentore fielen in der Schlussphase von Minute 85 bis in die oft überlange Nachspielzeit.

Anders als Hertha BSC: Bochum und Schalke malochen

Einige Entwicklungen im Abstiegskampf laufen derzeit diametral. Der VfL Bochum und der einst schon völlig abgeschriebene FC Schalke 04 (seit acht Spielen ungeschlagen) malochen bis zur Erschöpfung – kein Wunder, sie kommen aus dem Ruhrpott. Bei Hertha aber vermisst man den Einsatz von 110 Prozent und das „Brennen für den Verein“, wie es Präsident Kay Bernstein fordert, viel zu häufig. Warum das so ist, bleibt mir schleierhaft. Sind einige der Profis tatsächlich nicht erstligatauglich oder in Gedanken schon auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber? Oder kann der Trainer das im Moment eher bescheidene Potenzial nicht mehr wecken?

Ich flüchte mich in Ironie und stelle fest: Hertha ist wenigstens spitze als eine total soziale Mannschaft: Sie hilft Vereinen, die lange auf der Verliererstraße waren, auf die Beine und rettet Trainer, die vor der Entlassung standen, gern den Job. Siehe Hoffenheim und Pellegrino Matarazzo.

Übrigens, um auf den ungewöhnlichen weißen Fleck in der Jungen Welt von 1987 zurückzukommen: Die Wismut-Kumpel aus Aue schieden in Runde zwei des Uefa-Pokals gegen Flamutari Vlora aus Albanien leider aus …



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