„Treibt es nicht zu weit!“

Der Handelsstreit zwischen China und den USA geht auf der Sommer-Davos-Konferenz in die nächste Runde. Der Abschwung der chinesischen Wirtschaft könnte beide Großmächte schwächen.

Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang eröffnete das Weltwirtschaftsforum in Tianjin.Wang Zhao/AFP
Die Spannungen in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen überschatteten die Konferenz New Champions des Weltwirtschaftsforums (WEF), die von Dienstag bis Donnerstag vergangener Woche in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin stattfand.
Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, reagierte am Freitag auf die jüngsten Vorstöße Washingtons: „Die USA verfolgen eine falsch verstandene China-Politik“, sagte Mao. Die Vereinigten Staaten versuchten, China zu blockieren, einzudämmen und zu unterdrücken. China habe allen Grund, sich dem entschieden zu widersetzen.
USA: Wir sind stärker als China
In einer von dem Think-Tank Council on Foreign Relations veranstalteten Diskussionsrunde in New York hatte US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch erklärt, dass sich die USA in einem intensiven und langfristigen Wettbewerb mit China befänden und dass „wir sicherstellen wollen, dass wir in diesem Wettbewerb in einer Position der Stärke sind“.
Unterdessen zog Washington im Handelsstreit mit China die Zügel an. Laut einem Bericht des Wall Street Journal vom Mittwoch erwägt die US-Regierung offenbar neue Beschränkungen für den Export von Mikrochips nach China. Das Handelsministerium könnte bereits Anfang Juli die Chiplieferung des amerikanischen Konzerns Nvidia und anderen Herstellern an Kunden in China stoppen. Die Maßnahme wäre Teil der endgültigen Regeln, die die im vergangenen Oktober angekündigten Exportkontrollmaßnahmen kodifizieren und erweitern, mit denen Washington den Aufstieg China zur Hightech-Weltmacht einhegen will.
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Dabei könnten sich die USA mit den Exportbeschränkungen selbst schaden. Langfristig hätte ein solcher Schritt Auswirkungen, erklärte die Finanzvorständin von Nvidia, Colette Kress, auf einer Investorenkonferenz am Mittwoch: „Schließlich macht China zwischen 20 und 25 Prozent des Umsatzes im Bereich Rechenzentren aus, der sich im ersten Quartal auf 4,3 Milliarden Dollar belief“. Laut Kress würden die USA so die Chance deutlich reduzieren, „auf einem der größten Märkte der Welt zu konkurrieren und führend zu sein“.
Der chinesische Ministerpräsident Li Qiang, der gerade von seinen Auslandsreisen nach Deutschland und Frankreich zurückgekehrt war, rief zu verstärkter Kooperation statt Konfrontation auf: „Einige im Westen übertreiben die sogenannten Reden von der Verringerung der Abhängigkeit oder vom De-risking“, hatte Li am Dienstag in der Eröffnungsrede der New Champions Konferenz gesagt, die als Pendant zu dem Weltwirtschaftsforum in den Schweizer Bergen auch als Sommer-Davos-Forum bezeichnet wird. „Die wirtschaftliche Globalisierung hat die Welt bereits zu einem integralen Ganzen gemacht, in dem die Interessen aller eng miteinander verflochten sind“, sagte der Premier. „Regierungen und betreffende Organisationen sollten es nicht zu weit treiben, geschweige denn das Konzept vom Risiko überspannen oder es in ein ideologisches Werkzeug verwandeln.“
Bei den letzten Treffen von chinesischen und amerikanischen Diplomaten war das Verhältnis sichtlich abgekühlt. Blinken war Mitte Juni in Peking mit seinem chinesischen Amtskollegen Qin Gang zusammengekommen. Beide Seiten hatten die Atmosphäre zwar als „konstruktiv“ bezeichnet, jedoch erklärt, dass Fortschritte in den Fragen, die sie trennen, noch ausstehen. Das chinesische Außenministerium betonte, die bilateralen Beziehungen seien mittlerweile „auf dem niedrigsten Punkt seit ihrer Aufnahme“. Die Bemühungen einer Annäherung wurden letztlich dadurch konterkariert, dass US-Präsident Joe Biden Chinas Präsidenten Xi Jinping öffentlich als „Diktator“ bezeichnete.
Chinesische Wirtschaft schwächelt
China hat zu Hause mit einer schleppenden Entwicklung der Wirtschaft zu kämpfen. Die Gewinne der chinesischen Industrieunternehmen sind in den ersten fünf Monaten des Jahres eingebrochen. Von Januar bis Mai lagen sie um 18,8 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum, wie aus den jüngsten Daten des chinesischen Statistikamtes hervorgeht. „Das externe Umfeld scheint immer komplizierter und schwieriger zu werden, während sich die Inlandsnachfrage immer noch unzureichend entwickelt“, teilte die Behörde mit. In 24 von 41 großen Industriebranchen sanken die Profite. Die Verarbeiter von Erdöl, Kohle und Kraftstoffen verzeichneten mit 92,8 Prozent den stärksten Einbruch. Fallende Immobilienpreise und die finanziellen Probleme zahlreicher Entwickler haben nicht nur die Bautätigkeit gedämpft, sondern dämpfen wohl auch die Konsumbereitschaft.
Die chinesische Zentralbank hat versucht, die nach der Corona-Krise nur mühsam in Gang gekommene Konjunktur durch die Senkung des Leitzinses zu stützen. Dadurch sollen die Kosten für Verbraucherkredite und Hypotheken sinken. Zudem hat die Regierung Milliarden an Steuererleichterungen für Fahrzeuge mit E-Motoren und anderen alternativen Antrieben beschlossen.
Ministerpräsident Li sagte auf der New Champions-Konferenz: „Wir werden mehr praktische und wirksame Maßnahmen ergreifen und dabei das Potenzial der Inlandsnachfrage erweitern“. Trotz der gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwäche zeigte sich Li zuversichtlich, dass das Ziel seiner Regierung von „rund fünf Prozent“ Wachstum in diesem Jahr erreicht werden dürfte.
In den letzten zehn Jahren ist Chinas Wirtschaft mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 6,2 Prozent gewachsen. Der Präsident des Weltwirtschaftsforums, der ehemalige norwegische Außenminister Borge Brende, sagte in Tianjin, Chinas Wirtschaft wachse schneller als die der Welt insgesamt und werde in diesem Jahr wahrscheinlich 36 Prozent zum globalen Wachstum beitragen.