Studentin aus Hessen drohen acht Jahre Haft


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Von: Matthias Lohr

Seit November 2020 in Untersuchungshaft: die Angeklagte Lina E. mit ihren Verteidigern Erkan Zünbül (links) und Ulrich von Klinggräff beim Prozessauftakt im September 2021 im Oberlandesgericht Dresden.
Seit November 2020 in Untersuchungshaft: die Angeklagte Lina E. mit ihren Verteidigern Erkan Zünbül (links) und Ulrich von Klinggräff beim Prozessauftakt im September 2021 im Oberlandesgericht Dresden. Archi © Sebastian Kahnert/dpa

Die Kasseler Studentin Lina E. soll Anführerin einer linken Gruppe sein, die schwere Gewalttaten gegen Rechte verübt hat. Nun fällt das Urteil.

Kassel/Dresden – Kein anderer aktueller Prozess in Deutschland ist politisch so brisant wie der gegen die Kasselerin Lina E. Am morgigen Mittwoch wird am Oberlandesgericht Dresden (OLG) nach 98 Prozesstagen das Urteil gegen die Studentin und die drei Mitangeklagten gesprochen. Die 28-Jährige soll Anführerin einer linken Gruppe sein, die zwischen 2018 und 2020 mehrere Personen aus der rechten Szene teils brutal angegriffen haben soll.

Neben gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch wird ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Lina E. ist längst zu einer Symbolfigur geworden. Behörden warnen vor einer zunehmenden Gewaltbereitschaft und fühlen sich an die RAF erinnert. Ihre Verteidiger sprechen von „politischer Justiz“. Die linke Szene ruft derweil zu Großdemos auf. Die wichtigsten Antworten zum Fall Lina E.

Was wird der Gruppe um Lina E. vorgeworfen?

Es geht um sechs schwere Angriffe auf Rechtsextreme in Wurzen, Eisenach und Leipzig, wo Lina E. seit 2014 lebte. Die Bundesanwaltschaft spricht von „potenziell lebensgefährlicher Gewalt“. In ihrem Plädoyer hatte sie acht Jahre Haft für Lina E. gefordert, für die Mitangeklagten Jannis R., Lennart A. und Philipp M. aus Berlin und Leipzig bis zu drei Jahre und neun Monate Haft. Lina E. gilt als „Rädelsführerin“.

Unter anderem habe sie Opfer mit ausgesucht und Kommandos gegeben. Zwar wurde Lina E. im Dezember 2019 nach einer Attacke auf den Eisenacher Neonazi Leon R. in einem Fluchtauto, dem VW Golf ihrer Mutter, gefasst. Aber weder Opfer noch Zeugen konnten sie und die anderen Angreifer identifizieren. Kronzeuge der Anklage ist Johannes D., der ebenfalls Teil der Gruppe gewesen sein soll und nun in einem Zeugenschutzprogramm ist.

Angeblich sei es das Ziel gewesen, „nachhaltig zu verletzen, aber nicht zu töten. Jedenfalls nicht bewusst.“ Oberstaatsanwältin Alexandra Geilhorn gab zu, keinen eindeutigen Beweis zu haben. Die Indizien reichten jedoch aus.

Wie bewertet die Verteidigung die Vorwürfe?

Die Verteidiger von Lina E. forderten in ihrem Plädoyer, ihre Mandantin in allen Anklagepunkten freizusprechen. Ihr Berliner Anwalt Ulrich von Klinggräff warf der Bundesanwaltschaft „unfassbare Einseitigkeit“ vor. Der gesellschaftliche Kontext und die rechtsextreme Gewalt würden ausgeblendet. So wurde gegen Leon R., der von der Gruppe zweimal angegriffen worden sein soll, auch schon wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Angeblich soll er zur Tötung von Linksextremen aufgerufen haben.

Was sagte Lina E. aus?

Zu den Vorwürfen schwieg sie. Dafür gab die Studentin der Erziehungswissenschaften im November 2022 Einblicke in ihr Leben. Sie erzählte von ihrer Kindheit in Kassel, von ihrer Mutter, einer Sozialpädagogin, und ihrem Vater, einem Oberstudienrat. Inhaftiert ist sie in der JVA Chemnitz, wo ebenfalls Beate Zschäpe einsitzt, deren rechtsterroristischer NSU auch in der Heimatstadt von Lina E. mordete. Zu schaffen mache ihr eine Rheumaerkrankung.

Trotzdem habe sie eine Tischlerausbildung begonnen. Ihr Master-Studium wolle sie so schnell wie möglich beenden. Ihre Mutter und ihre Unterstützer applaudierten stets, wenn die Hauptangeklagte den Hochsicherheitssaal betrat. Lina E. ist als einzige der vier Angeklagten inhaftiert. Die Bundesanwaltschaft befürchtet, sie könnte wie ihr Verlobter Johann G. in den Untergrund abtauchen. Der Partner von Lina E. soll im Februar Rechtsextreme in Budapest schwer verletzt haben.

Wie macht die linke Szene mobil?

Unter dem Slogan „Free Lina“ trommeln Antifa-Mitglieder aus ganz Europa für den „Tag X“. In Leipzig soll am Samstag eine Groß-Demo stattfinden. Unterdessen warnt das Bundeskriminalamt, dass wieder eine linke Terrorgruppe wie die RAF entstehen könnte.

Im März wurden in einem Leipziger Skoda-Autohaus 19 Wagen angezündet. In einem Bekennerschreiben auf der linksextremen Webseite Indymedia hieß es danach, die VW-Tochter habe sich an der Ausrüstung der Polizei beteiligt. An anderer Stelle wurde gedroht, dass es für jedes Jahr Knast „sofort 1 Million Sachschaden bundesweit“ gebe. Auch das OLG in Dresden gilt als mögliches Anschlagsziel. (Matthias Lohr)



Quellenlink https://www.fr.de/rhein-main/hessen-kassel-neonazijaegerin-gericht-lina-e-studentin-antifa-acht-jahre-haft-92310913.html