Stimme der Rückbank | Freie Presse

Karsten Kriesel über den Klang von Urlaub
Wie klingt eigentlich der Sommer? Hinter dieser fast lyrischen Frage steckt für viele Zeitgenossen ein alljährliches Ritual: Dem “Open Air” übers Feld schallenden Krach folgt “zur Ruhe kommen”. Urlaub! Wie dieser akustisch beschaffen ist, ist dabei so mannigfaltig wie individuelle Vorlieben oder Kontostände. Bleibt man zu Hause, kann man bereits einen Wandel der Klangkulisse wahrnehmen: Weniger Berufsverkehr und kein Schulwegsgejohle, aufploppende Baustellen und endlich mal zwei Wochen woanders streitende Nachbarn. Auf Neun-Euro-Odyssee wechseln Bahnhöfe von gähnender Provinzruhe zu hallend unverständlichen Großstadtdurchsagen; rumpelquietschende Bahnen holen einen auf Trips in Kindergeschichten, Western oder doch nur Pendleralltag, dem man eigentlich entfliehen will. Im Zug kämpft der Musik-Hörbuch-Podcast-Tunnel im Kopfhörer mit dem Geräuschgewirr der Mitreisenden.
Im Auto stellt sich heraus, dass die einst liebevoll zusammengestellten Familienreise-Sampler mittlerweile out sind und die Kinder sich auf der Rückbank lieber in Individualbeschallung isolieren. Allerdings nur so weit, dass die zur Erbauung des Fahrers düdelnde Musik, sobald sie Motor- und Autobahnrauschen übertönt, von hinten getadelt wird: Es schallt in den pubertären Hörgenuss! Es bleibt dem Fahrer meditatives Motor- und Autobahnrauschen mit dosierten Gesprächsfetzen.
Flughäfen wiederum sind Bahnhöfen nicht unähnlich, allerdings sind sie in ihrer akustischen Wuseligkeit noch näher an Einkaufszentren, da sie von den markanten Geräuschen ihrer abhebenden Verkehrsmittel oft erstaunlich gut isoliert sind. Eigentümlich steril, technisch und irgendwie grundnervös auch die “Ruhe” auf Flügen, ulkig das Klatschen bei Landung von Urlaubsfliegern, als ob es zum schallend Goutierten eine realistische Alternative gäbe.
Am Ziel wird der herdentriebige Pegel von “zur Ruhe kommen” erst so richtig austariert. Was dem einen die vielstimmige Geschäftigkeit mediterraner oder baltischer Badeorte, ist dem anderen die fast gespenstische Ruhe skandinavischer Bergseen. Aber wer sagt denn, dass nicht auch dort einen Hang weiter plötzlich ein Bagger beginnen kann, das Fundament des nächsten, idyllischen Ferienhauses in den Fels zu fräsen? Hoteltüren klackern, Zeltreißverschlüsse zippen, Lagerfeuer knistern, Paddel patschen, Wellen rauschen, Fetzen verschiedenster Sprachen erklingen: Bei aller Ruhe gibt es immer was zu hören. Spitzen Sie mal die Ohren!