Selbst der 1. FC Union kann implodieren

Wenn es die Eisernen erwischt, dann richtig dicke: Nicht zum ersten Mal in dieser Saison verliert die Mannschaft innerhalb von kurzer Zeit ihre Struktur.

Im anfänglichen Schneetreiben von München hatten Jérome Roussillon und der 1. FC Union kurzzeitig den Durchblick und dadurch das Spiel verloren.MIS/imago
Wenn es kommt, dann kommt es ziemlich dicke für den 1. FC Union. Das ist auffällig. Dann prasseln die Gegentore auf die Eisernen wie Hagelkörner und sorgen für kalte Schauer wie zuletzt beim 0:3 im Schneegestöber von München auf dem Rasen. Da fallen die Gegentore nicht gerade im Minutentakt, gefühlt aber schon, weil es ungewohnt und deshalb so ungewöhnlich ist.
Sich bei einem Bundesliga-Dritten, einem Achtelfinalisten der Europa League und einem Viertelfinalisten im DFB-Pokal, zumal der eine solche Entwicklung genommen hat wie die Eisernen, an Gegentoren abzuarbeiten, ist ungerecht. Eigentlich. Vielleicht ist es gerade deshalb eigenartig, was hin und wieder passiert. Da prallen nämlich zwei Gegensätze aufeinander. In sieben der bisher 22 Punktspiele der Eisernen in dieser Saison stand hinten die Null, in neun weiteren Partien kassierten sie lediglich ein Gegentor. Das ist exzellent und einer Spitzenmannschaft würdig.
In der Gruppenphase der Europa League war kein Team defensiv besser
Auch in Europa haben sie gezeigt, wie es geht. Drei Gegentore erst haben sie in acht Spielen zugelassen, zwischen Gegentor zwei (Mitte September beim 0:1 bei Sporting Braga) und Gegentor drei (in der vorigen Woche beim 3:1 gegen Ajax Amsterdam) lagen fünf Zu-null-Spiele oder achteinhalb Stunden mit blitzsauberer Gegentor-Weste. In der Gruppenphase hatte keines der anderen 31 Teams eine bessere Defensive.
Aber dann! Bei drei ihrer fünf Niederlagen in der Liga öffneten sich alle Schleusen und die Bälle flutschten nur so in die Kiste: 0:5 in Leverkusen, 1:4 in Freiburg und nun 0:3 bei Bayern München, was noch halbwegs normal ist und nur durch die tabellarische Augenhöhe – der Erste traf auf den punktgleichen Dritten – für gesteigerte Aufmerksamkeit sorgte. Macht am Ende trotzdem: null Punkte, klar, sind ja alles Niederlagen, aber 1:12 Tore. Himmel hilf! Das wiederum hat ganz viel von Tag der offenen Tür.
Noch auffälliger ist, dass bei den deutlichen Niederlagen die Gegentore in extrem kleinen Zeitfenstern fielen. Bayer Leverkusen brauchte für seine fünf Treffer eine halbe Stunde, Freiburg für seine vier 42 Minuten und die Bayern für ihre drei eine Viertelstunde. Die Tore fielen jeweils in einer Halbzeit, und zusammen kommt eine Zeit von nicht ganz einem Spiel heraus. Ein Team, das mit großem Abstand als Überraschung der Saison gilt, an dem sich die gegnerischen Angreifer reihenweise die Zähne ausbeißen und vor dem der Respekt inzwischen riesengroß ist, kann also auch implodieren.
Das passiert auch anderen Mannschaften, die oft größere Meriten besitzen als ein Emporkletterer wie der 1. FC Union. Erst am vergangenen Wochenende hat in Frankreichs Ligue 1 Olympique Marseille, der Tabellenzweite, gegen Paris Saint-Germain, den Spitzenreiter, sein Heimspiel mit 0:3 verloren und die Tore, wenn auch nicht in einer Halbzeit, aber doch innerhalb von 30 Minuten kassiert. Monaco, der Tabellendritte, ging zu Hause gegen Nizza 0:3 baden, und hier fielen alle Treffer innerhalb von 35 Minuten.
Mit dem 1. FC Köln kommt der Lieblingsgegner des 1. FC Union
Noch ärger erwischte es Nottingham Forest, das Team von Ex-Unioner Taiwo Awoniyi. Bis zu Minute 70 hatte der Premier-League-Aufsteiger bei Gastgeber West Ham United nichts zugelassen, eine Viertelstunde später hatten die Hammers ein 4:0 im Kasten. Keine Bange, selbst Branchengrößen geschieht so etwas.
Für den 1. FC Union heißt das nichts anderes, als die (ganz seltene) Flut an Gegentoren schnell aus den Stutzen zu schütteln und noch viel mehr aus den Köpfen zu bekommen. In der Trainersprache von Urs Fischer lautet das so: „Wir müssen totale Bereitschaft zeigen nicht nur im Spiel gegen den Ball, sondern auch im Spiel mit dem Ball, um Entlastung zu bekommen.“ Gerade jetzt braucht es das. Schließlich soll der 1. FC Köln, gegen den es in den bisherigen sieben Erstligapartien sechs (!) Siege und ein Unentschieden gab, der eiserne Lieblingsgegner bleiben.