Schwarze Tage: Was Seelsorger beim Wacken Open Air erleben | NDR.de – Nachrichten – Schleswig-Holstein

Stand: 05.08.2022 21:13 Uhr
Die Festivalseelsorger haben auf dem Wacken Open Air viel mehr zu tun als bei der letzten Ausgabe 2019. Hier erklären sie, woran das liegt und was Besuchern in seelischen Notlagen wirklich hilft.
Gestern war da wieder so ein Moment auf dem Wacken Open Air, der Annika Woydack den Sinn ihrer Arbeit besonders klar vor Augen geführt hat. Die schleswig-holsteinische Landesjugendpastorin leitet das 20-köpfige Team der Festivalseelsorge auf dem Metal-Festival mit rund 75.00 Zuschauern. “Ich habe einen jungen Mann angesprochen, der offensichtlich total betrunken war und ein wenig desorientiert herum stand. Ich fragte ihn dann, ob alles okay ist”, erzählt Woydack. Am Anfang seien von ihm nur einzelne Wortfetzen zu verstehen gewesen. Später stellte sich heraus, dass der junge Rettungssanitäter mit einem seiner ersten Einsätze zu kämpfen hatte, bei dem er einen Patienten nicht mehr habe retten können. “Ich merkte, wie er im Erzählen fast wieder nüchtern wurde, am Ende gerade gucken konnte und aufrecht weitergegangen ist.”
Nachfrage seit 2019 verdoppelt
Es sind aber nicht immer Woydack oder ihre Kollegen von der Festivalseelsorge, die das Gespräch eröffnen. Das Angebot der Festivalseelsorge ist nach Angaben der Nordkirche so gefragt wie nie. Das führen die Seelsorger auch auf die Corona-Pandemie zurück. Allein am Donnerstag suchten 120 Menschen Hilfe – doppelt so viele wie zu Beginn des letzten Wacken Open Air.
“Liebevolles Anschreien”
Bei der Geräuschkulisse auf dem Festivalgelände ist das auch akustisch eine große Herausforderung. “Die Kunst ist es, sich liebevoll und beruhigend anzuschreien. Das ist tatsächlich die Krux an der Geschichte”, sagt Seelsorger Robert Kopischke und lächelt. Wichtig sei, den Betroffenen Raum dafür zu geben, zu entscheiden, was gerade das Richtige für ihn oder sie sei. Menschen in psychischen Notlagen in die ein oder andere Richtung zu drängen, sei fast immer kontraproduktiv.
Überfordert von den Menschenmassen
Viele überfordert auch die Situation auf dem Festival mit Tausenden Metal-Fans nach Jahren der Beschränkungen im sozialen Alltag. Es sei zu viel für einige “hier zu sein und nicht mehr in den eigenen vier Wänden mit den Menschen, die man jeden Tag sieht, sondern mit 74.999 anderen Menschen um sich herum, die laut sind, die trinken und die manchmal auch ein bisschen distanzlos werden”, sagt Kopischke.
Beziehungsprobleme häufig Thema
Allerdings sagen die Seelsorger auch, dass längst nicht alle Fälle mit Corona zu tun hätten. Oft seien es Beziehungsprobleme, wenn etwa der Partner im Zelt eines anderen Festivalbesuchers gelandet ist. Auch der Alkohol führt bei einigen Festivalbesuchern zu erhöhtem Gesprächsbedarf. Manch trauernder Mensch öffne sich leichter, nachdem Alkohol geflossen ist, erzählt Annika Woydack. Aber egal mit welchen Problemen und in welchem Zustand die Menschen auf die Mitarbeitenden der Seelsorge zu kommen, helfen wollen sie immer. Therapeutische Hilfe können sie zwar nicht leisten, aber Menschen für den Moment auffangen und ihnen etwas Halt geben – das ist auch bei einem Heavy Metal Festival möglich.
Weitere Informationen
