Russische Nachrichtenagentur kritisiert offen Putin


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Von: Stephanie Munk

Einen kritischen Bericht zum Ukraine-Krieg veröffentlichte jetzt die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Putin soll sein Wort nicht halten.

Moskau/Frankfurt – Eine aufwändige Recherche zu möglichen Fehlern des Staates ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit, in Russland aber keineswegs. Das Land steht laut „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 150 von 180, was Presse- und Meinungsfreiheit betrifft. Insbesondere Kritik, die mit dem Ukraine-Konflikt in Zusammenhang steht, wird schwer geahndet – wie der Fall eines alleinerziehenden Vaters zeigt, der wegen einer kriegs-kritischen Zeichnung seiner Tochter ins Straflager muss.

Umso bemerkenswerter ist es, dass die staatliche russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti – hervorgegangen aus dem einstigen sowjetischen Informationsbüro – jetzt eine kritische Recherche veröffentlichte. Der Bericht hat ausbleibende staatliche Entschädigungen an verwundete russische Soldaten zum Thema.

Russische Rekruten: Bei einer Verwundung im Ukraine-Krieg werden ihnen Entschädigungen versprochen.
Russische Rekruten: Bei einer Verwundung im Ukraine-Krieg werden ihnen Entschädigungen versprochen. © Pavel Lisitsyn/Imago

„Wir haben das nicht erwartet“ – Frustrierte russische Soldaten schildern ihre Lage

In einem ausführlichen Bericht mit dem Titel „Wir haben das nicht erwartet“ geht die Nachrichtenagentur der Frage nach, ob im Ukraine-Krieg verletzte Soldaten staatliche Zahlungen vorenthalten werden – obwohl Präsident Wladimir Putin diese persönlich im März 2022 zugesagt hatte. Bis zu drei Millionen Rubel (umgerechnet rund 36.000 Euro) sollen kriegsverwundete Soldaten vom Staat erhalten, versprach Putin und betonte: „Es ist unsere Pflicht, die Familien unserer gefallenen und verletzten Kriegskameraden zu unterstützen.“

Doch schon wenige Wochen später veröffentlichte das russische Verteidigungsministerium laut dem Bericht eine Liste mit bestimmten Verletzungen, bei denen eine staatliche Entschädigung gewährt werde. Schon damals hätten russische Menschenrechtsaktivisten Alarm geschlagen: Die Liste widerspreche dem Erlass von Putin.

Verwundungen von Soldaten haben angeblich nicht Ukraine-Krieg als Ursache

Und an dieser Liste des Verteidigungsministeriums scheitern die Entschädigungszahlungen wohl auch teilweise – zumindest schilderten dies mehrere enttäuschte und verzweifelte russische Soldaten im Interview mit Ria Nowosti. Um eine Entschädigung zu erhalten, müssen die Soldaten offenbar eine Bescheinigung mit ärztlicher Diagnose vorlegen. Daran scheint es bei einigen Betroffenen zu hapern: Ria Nowosti schildert mehrere Fälle, bei denen keine Entschädigung gewährt wird, weil die Soldaten angeblich nicht aufgrund des Ukraine-Kriegs gesundheitlich beeinträchtigt sind, sondern wegen allgemeiner Krankheiten.

Zum Beispiel wird der Fall eines Soldaten geschildert, der bei einem Angriff mit Mörsergranaten in der Ukraine dabei war, dabei einen Schock erlitt und von Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt wurde. „Ich bin nachts aufgestanden und habe geschrien, dass wir angegriffen werden, mich im Keller versteckt. Ich bin einfach verrückt geworden“, schildert der Mann gegenüber Ria Nowosti. Ein Krankenhaus in Donezk hätten bei ihm eine Minenexplosionsverletzung und Schäden an der Hirnmembran festgestellt.

Militärkrankenhaus mit zweifelhaften Diagnosen – Entschädigungen bleiben aus

Doch die russischen Verwundeten werden offenbar im Krankenhaus in Rostow am Don in Russland noch einmal untersucht. „Dies ist eine Art Durchgangsstation, an der die Verwundeten erneut untersucht und an andere medizinische Einrichtungen verteilt werden“, schreibt Ria Nowosti. Die Ärzte dort bestätigten im besagtem Fall die Diagnose der Donezker Kollegen nicht, sondern schrieben stattdessen „akute Stressreaktion“.

Der Soldat habe danach selbst ein MRT in einer Privatklinik bezahlt, wo erneut eine Schädel-Hirn-Verletzung durch die Granate festgestellt wurde. In der Militärkrankenanstalt habe man dies aber erneut ignoriert. Verschrieben wurden ihm lediglich Vitamine, Schmerz und Beruhigungsmittel. Von einer von Putin versprochene Entschädigung keine Spur.

Dies ist nicht der einzige Fall – in dem Bericht schildert Ria Nowosti mehrere ähnliche Beispiele, bei denen erste Diagnosen nachträglich im Militärkrankenhaus von Rostow an Don geändert wurden. In manchen Fällen seien auch Bestechungsgelder verlangt worden.

Viele Soldaten hätten sich mittlerweile schon bei Menschenrechtsorganisationen beschwert. Russische Soldaten wollten Gerechtigkeit, schreibt Ria Nowosti – und die Behörden sollten sich mit dem Problem befassen, „bevor es sich ausbreitet“. (smu)



Quellenlink https://www.fr.de/politik/russland-ukraine-krieg-news-putin-soldaten-verluste-verletzte-verwundete-militaer-entschaedigung-kreml-92181457.html?cmp=defrss