Rettet Berlin dieses Haus in Prenzlauer Berg?


Der Hirschhof in der Kastanienallee 12 ist eine Oase mit niedrigen Mieten. Die Bewohner kämpfen um die Übernahme durch eine Genossenschaft. Nun läuft eine Frist ab.

Jarmila Dürholt, Vorsitzende des Vereins K12, vor dem Haus in der Kastanienallee. 100 Menschen leben zu sehr günstigen Mieten in dem kaum sanierten Gebäude.

Jarmila Dürholt, Vorsitzende des Vereins K12, vor dem Haus in der Kastanienallee. 100 Menschen leben zu sehr günstigen Mieten in dem kaum sanierten Gebäude.Gerd Engelsmann

Orangene Buchstaben auf rotem Grund lenken den Blick automatisch in die Höhe: „Paradiese sind zu retten“, steht auf einem Banner über dem Durchgang von zwei Höfen in der Kastanienallee 12 in Prenzlauer Berg. Seit Dienstag können die rund 100 Bewohner darauf hoffen, dass ihr persönliches Paradies ihnen erhalten bleibt. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat angekündigt, dass sie eine Lösung für das Ensemble finden wird. „Wir sind kurz vor der Zielgeraden und gehen davon aus, dass wir das Vorhaben erfolgreich zu Ende führen“, sagte Sprecher Martin Pallgen am Dienstag.

Das wurde höchste Zeit, denn am 30. November läuft die Frist aus, die Anwälte den Bewohnern gesetzt hatten, um eine Finanzierung für die Übernahme des Hauses durch die Genossenschaft Selbstbau eG zu sichern. Die Eigentümer sind damit einverstanden, dass das legendäre Haus, auch bekannt als Künstlerdomizil Hirschhof, an eine Genossenschaft geht. Eine außergewöhnlich günstige Ausgangslange auf dem hart umkämpften Berliner Immobilienmarkt

Aber die Übernahme hängt von der Zusage von Fördergeldern durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ab, und diese lässt seit mehreren Monaten auf sich warten. Zuletzt trafen sich die Bewohner in täglichen Protesten immer kurz vor zwölf Uhr mittags vor dem Haus und sangen „Franzi, oh yeah, give us some credit“ zu coolen Reggae-Beats, denn die Regierende Bürgermeisterin hatte angekündigt, das Thema Wohnen zur Chefsache zu machen.

Die Senatsverwaltung verweist darauf, dass sehr wohl intensive Gespräche stattgefunden hätten. Die Schwierigkeiten hätten darin gelegen, dass sich im Haus sowohl Gewerbe als auch Wohnraum befinde und die Förderprogramme auf das eine oder das andere zugeschnitten seien. Die Lösung sieht jetzt vor, dass die Selbstbau eG nur den Wohnraum kauft und die Gewerbeeinheiten von jemand anderem gekauft werden. „Im Gespräch ist eine Stiftung“, so Pallgen. Dieses Modell werde zurzeit von der Investitionsbank Berlin Brandenburg IBB geprüft. Die Entscheidung werde jeden Moment erwartet.

Auch Geld für die Sanierung ist nötig

Der Kaufpreis beträgt insgesamt rund sieben Millionen Euro mit Nebenkosten. Die beantragten Fördergelder würden sich zwischen Selbstbau eG und Stiftung aufteilen, und auch die Hausbewohner beteiligen sich mit zehn Prozent der Gesamtsumme am Kauf.

Für die Genossenschaft ist die vom Senat genannte Lösung aber nicht ausreichend. „Wir benötigen nicht nur Unterstützung beim Kauf, sondern auch bei der Grundinstandsetzung“, sagt Selbstbau-Vorstand Peter Weber. Deshalb habe er nicht nur das Geld für den Kaufpreis beantragt, sondern auch zwei Millionen Euro für die wichtigsten Maßnahmen rund um die Hülle des Hauses, die Stränge und Abflüsse. „Wir müssen sicherstellen, dass kein Schaden entstehen kann.“

Hausdurchgang in der Kastanienallee 12. Noch zu DDR-Zeiten entstand hier der Hirschhof.

Hausdurchgang in der Kastanienallee 12. Noch zu DDR-Zeiten entstand hier der Hirschhof.Gerd Engelsmann

Auch die Hausbewohner reagieren verhalten: „So richtig jubeln können wir erst, wenn die Details der versprochenen Lösung auf dem Tisch liegen“, sagt Jarmila Dürholt, Vorsitzende des Vereins K 12, der sich vor einem Jahr gründete, um die Interessen der Hausbewohner zu vertreten. Noch seien weder die Ateliers gerettet, noch lägen Garantien für sozialverträgliche Mieten vor.

Die 26-Jährige engagiert sich seit Jahren für das Haus, in dem sie groß geworden ist. Der stattliche Altbau mit vier Hinterhöfen ist eines der letzten Häuser im Kiez nahe dem U-Bahnhof Schönhauser Allee, die noch unsaniert sind. Wer durch die Eingangstür tritt, fühlt sich 30, 40 oder sogar 50 Jahre zurückversetzt: Die Treppenhäuser sind düster, die Stufen abgewetzt, die Wohnungen in den Hinterhäusern habe noch Ofenheizung, und am Ende der Treppenabsätze liegen die Außentoiletten.

Nur im Vorderhaus haben Wohnungen Gasetagenheizung, sonst herrschen noch einfachste Bedingungen: Holzdielen, ein Sammelsurium an Fenstern, Marke Eigenbau. Ein beeindruckendes Panorama aus Zeiten, die vergangen scheinen.

So sah es im April 1999 in der Kastanienallee 12 aus. 

So sah es im April 1999 in der Kastanienallee 12 aus. imago/Rolf Zöllner

Hausbesitzer mit sozialen Gedanken

Hintergrund der verpassten Sanierungszeit ist eine langjährige Hausbesitzerin, der es wichtiger schien, Menschen mit wenig Geld ein Zuhause zu geben, als die Öfen herauszureißen. „Sie hatte das Prinzip: leben und leben lassen“, sagt Angela Dressler, Sprecherin des Vereins K12. Künstler hätten ihr am Herzen gelegen. Wer einziehen wollte, musste sich vorstellen, und nur wer etwas Besonderes zu bieten hatte, bekam den Zuschlag.

Nachdem die Hausbesitzerin mit 97 Jahren vor etwa zwei Jahren verstarb, erbten ihre zwei Söhne den Komplex. Sie möchten ihn jetzt verkaufen – allerdings mit dem gleichen sozialen Gedanken ihrer Mutter. „Sie sind mit dem Kauf durch die Genossenschaft und auch dem Kaufpreis einverstanden“, sagt Dressler.

Der Hirschhof war zu DDR-Zeiten berlinweit bekannt. Künstler gestalteten hinter dem letzten Quergebäude eine Freifläche. Eine Hirschskulptur gab dem Hof den Namen. Sie steht heute am Bezirksamt Prenzlauer Berg. Ein Berlin-Führer von 1993 nennt den einstigen Hof den „wohl schönsten der Gegend“ mit seinen bemalten Mauern, Graffitis und der kleinen Bühne für Auftritte von jungen DDR-Rockmusikern.

Harte Lebensbedingungen und niedrige Mieten

Nach der Wende kamen Menschen aus aller Welt, die ebenfalls von Kunst und Kultur träumten, und fanden in dem Haus ein Zuhause. Deshalb haben sich seine Bewohner mit den harten Lebensbedingungen arrangiert. Für sie ist es wichtiger, Teil der Hausgemeinschaft sein zu können.

Hier leben Alt und Jung, Menschen mit und ohne deutschen Pass, von der Kindergärtnerin bis zum Soloselbstständigen. Insgesamt 100 Personen in 50 Wohnungen und Ateliers, zwei Gewerbe und viel „Freiraum, Solidarität und eine verlässliche Gemeinschaft“, wie Dressler sagt. Die Mieten sind aufgrund der Wohnverhältnisse niedrig: zwischen 2,60 Euro und sechs Euro zahlen die Bewohner pro Quadratmeter – im Vorderhaus mehr aufgrund des besseren Zustands der Wohnungen, in den Hinterhäusern weniger.

Sie hoffen auf eine Einigung und sind auch bereit, einen Beitrag zu leisten. Die Genossenschaftsanteile würden bei bis zu 40.000 Euro liegen, einige Bewohner erhöhen freiwillig die Miete, damit mehr Geld für Reparaturen da ist. Dennoch geht es ohne das Fördergeld für die Grundinstandsetzung nicht. Noch hat Peter Weber von der Selbstbau nicht entschieden, was er macht, wenn es ausbleibt. Am Dienstagnachmittag hofft er noch auf ein Einsehen beim Land Berlin, bevor die Frist abläuft.



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