Radfahren in Berlin: Großeinsatz auf der Todeskreuzung

Jeden Tag fährt unsere Kolumnistin mit ihrem Rad über die gefährlichste Kreuzung Berlins. Eines Morgens ist plötzlich alles anders.
Das Fahrrad des Opfers nach dem Unfall an der Todeskreuzung am 7. Dezember 2021. imago/Olaf Wagner
Es war der kälteste Tag des Jahres. Kollegen, die mit ihren Rädern zur Arbeit fuhren, berichteten, ihnen sei die Gangschaltung eingefroren. Ich stieg trotzdem aufs Rad.
Weil die U2 gesperrt ist und weil der Bus, der mich in die Redaktion bringen könnte, so langsam fährt, dass ich nebenherlaufen kann.
Drei tote Radfahrer in einem Jahr
Es ist eine Abwägungsfrage, wegen der Temperaturen, aber auch, weil ich, wenn ich den kürzesten Weg zur Arbeit nehme, über die Todeskreuzung fahren muss. So wird sie genannt, jene Ecke am Märchenbrunnen, an der die Greifswalder Straße, die Straße am Friedrichshain und die Friedenstraße aufeinandertreffen, die traurige Berühmtheit erlangt hat, weil hier drei Radfahrer innerhalb eines Jahres ums Leben kamen, zuletzt eine Frau im Dezember 2021.
Ich erinnere mich noch, als ich auf dem Weg von der Redaktion nach Hause war und die Polizeiautos auf der Kreuzung stehen sah, auch das Rad lag noch da, so verbeult, dass es kaum noch zu erkennen war. Einen Abend später trafen sich Anwohner, um der Toten zu gedenken. Viele von ihnen hatten das Gefühl, es hätte auch sie treffen können.
Mir ging es ähnlich. Ich fahre seit Jahren über die Kreuzung, und plötzlich bekam ich es selbst mit der Angst zu tun. Wegen der Todesfälle, aber auch, weil die Ecke auf einmal in aller Munde war. Ich erfuhr, dass es 21 Autospuren gibt, 45.000 Autos pro Tag hier gezählt werden und noch einmal genau so viele Fußgänger, Rad- und Rollerfahrer.
Je mehr über die Kreuzung berichtet wurde, desto bedrohlicher schien sie zu sein. Und dann änderten sich auch noch die Spuren. Weiße Fahrbahnmarkierungen wurden durch gelbe ersetzt, diese aber nach ein paar Tagen wieder durchgestrichen. Mit gelben Kreuzen. Ein heilloses Markierungschaos! Es wirkte, als hätten sich verschiedene Berliner Verkehrsplaner verschiedene Lösungen einfallen lassen, um die Kreuzung sicherer zu machen und sich dabei in die Haare bekommen. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn es bald das vierte Opfer gegeben hätte.
„Sicherer? Na, det werden wa ja sehn“
An diesem kalten Dezembermorgen aber sollte sich alles ändern. Ich sah es schon von Weitem. Ein riesiger Einsatz! Die halbe Kreuzung gesperrt, alle Ampeln aus, mindestens 20 Polizisten und genauso viele Straßenbauarbeiter, die neue Markierungen aufmalten.
Ich stieg vom Rad ab, schob es zum Fußgängerüberweg, an dem zwei Polizisten standen und fragte, ob jetzt wirklich die Kreuzung sicherer gemacht werde.
„Sicherer?“, sagte der eine und zuckte mit den Schultern. „Na, det werden wa ja sehn.“
„Hier sind drei Radfahrer ums Leben gekommen“, informierte ich ihn.
Der Polizist zuckte wieder mit den Schultern und informierte mich seinerseits, dass das mit den vielen Fahrradunfällen ja kein Wunder sei. Früher seien 30.000 Radfahrer am Tag in der Stadt unterwegs gewesen und jetzt doppelt so viele.
Er sah mich an, dann mein Rad. Als müsse ich mich ja nicht wundern. Als seien wir selbst schuld an den Unfällen, wir, die Radfahrer.
Aber vielleicht war es auch nur ein Missverständnis. Ich überlegte gerade, ob es sich lohnt, zu einer größeren Gegenrede auszuholen, da sah ich, wie der andere Polizist mich anlächelte, entschuldigend, so schien es. Dann sagte er: „Kommen Sie“, ließ seinen Kollegen stehen, stellte sich mitten auf die Straße, ließ alle Autos anhalten, winkte mich über die Kreuzung und wünschte mir einen guten Tag.