„Polizeiruf“ aus Sachsen-Anhalt: Die Dramen der Mütter


Ein Junge verschwindet spurlos aus dem Kinderheim. Wieviel Verantwortung tragen die Mütter, wenn ihre Söhne zu Tätern oder Opfern werden?

Ronny (Johann Barnstorf) feiert seinen zehnten Geburtstag im Kinderheim. Kurz darauf verschwindet er. 

Ronny (Johann Barnstorf) feiert seinen zehnten Geburtstag im Kinderheim. Kurz darauf verschwindet er. mdr

Verschwundene Kinder sind ein hochemotionales Thema, jeder Fall sorgt für ein starkes Medienecho. In Sachsen-Anhalt, dem Revier des Magdeburger „Polizeirufs“, steht der Fall Inga schon seit fast acht Jahren in den Schlagzeilen. Seit kurzem beschäftigt sich sogar der Landtag mit der vergeblichen Suche nach der damals Fünfjährigen.

Nach einem verschwundenen Kind ist auch dieser Film benannt. Ronny (Johann Barnstorf) feiert seinen zehnten Geburtstag zuerst im Heim. Er hatte vergeblich auf seine Mutter (Ceci Chuh) gewartet und fährt dann mit seinem neuen Mountainbike zu ihr, gerät dort aber schnell mit deren Freund (Oskar Bökelmann) aneinander, dem der Junge lästig ist. Ronny flüchtet, kommt aber im Heim nicht an.

Die Ermittlungen der Hauptkommissarin Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und ihrer Mitstreiter beginnen noch am selben Abend und stehen unter Zeitdruck: Denn es ist bitterkalt, und der verschwundene Ronny hatte nicht mal seine Jacke mitgenommen. Unter Verdacht steht nicht etwa ein Fremder, sondern das Umfeld des Kindes. Hat der grobe Freund der Mutter dem Jungen Gewalt angetan? Verdächtig verhält sich auch Ronnys Lieblingsbetreuer im Heim (Thomas Schubert). Ihm werden sexuelle Übergriffe unterstellt, im Internet wird wild spekuliert.

Auch Kommissarin Brasch scheiterte in ihrer Mutterrolle

Der Drehbuchautor Jan Braren hat die verheerenden Einflüsse der sogenannten sozialen Medien schon mehrfach thematisiert, etwa in seinem vielfach ausgezeichneten ARD-Drama „Homevideo“ mit Jonas Nay. Diesmal tragen Computerspiele zur Vernachlässigung der sozialen Bindungen bei: Der Freund der Mutter sitzt ebenso abgekapselt vor dem Bildschirm wie der Sohn der Heimleiterin. Der etwa 16-jährige Gordon (Valentin Oppermann) wird ebenfalls als möglicher Täter präsentiert.

Im Zentrum dieses „Polizeirufs“ aber stehen die Mütter. Sie sind am stärksten betroffen, leiden am heftigsten unter den „Kollateralschäden“ der Tat – so beschreibt Autor Braren die Verletzungen im Umfeld des Verschwundenen. Dabei geht es nicht nur um die leibliche Mutter, die als Drogenabhängige ihr Kind abgeben musste und zuletzt darum gekämpft hatte, Ronny zurückzuholen. Ihre Mutterrolle in Frage stellen muss auch die alleinerziehende Heimleiterin (Maja Schöne), die keinen Zugang zu ihrem Sohn findet, von ihm beleidigt wird, ihn nach außen aber strikt verteidigt und schützt.

Die Dritte ist niemand anderes als die Kommissarin Brasch. Sie hält sich mit Vorwürfen zurück, denn sie hatte selbst nicht verhindern können, dass ihr Sohn in die rechtsradikale Szene einstieg. Zwar ist der Magdeburger Einstiegskrimi „Der verlorene Sohn“ inzwischen fast zehn Jahre alt – aber Braschs Scheitern schwingt seither immer mit, ohne dass es erneut thematisiert werden müsste. Diesmal erfahren die Zuschauer, dass die Kommissarin selbst im Heim aufwuchs, weil ihre Mutter in den Westen geflüchtet war – und auch diese persönliche Einlassung wird sehr beiläufig erzählt.

Wie die drei Frauen immer wieder aufeinandertreffen, sich gegenseitig Vorwürfe machen, mit ihren eigenen Versäumnissen umgehen, aber auch ihre Gemeinsamkeiten erkennen, das wird von Ceci Chuh, Maja Schöne und Claudia Michelsen sehr eindrücklich gespielt. Die Regisseurin Barbara Ott inszeniert keine wortgewaltigen Duelle, die Dialoge arbeiten stark mit Auslassungen, wortlosen Unterstellungen und wirken dadurch umso überzeugender.

Wertung: 4 von 5

Polizeiruf 110: Ronny. Sonntag, 19. März, 20.15 Uhr, ARD



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