Politische Dokus: Weniger Selbstvergewisserung, mehr Komplexität


Politik ist mehr als die Meldung, die es in die “Tagesschau” geschafft hat. Deshalb gibt es dokumentarische Filme, die länger hinschauen und, wenn möglich, hinter die Kulissen. Damit man versteht, wie Politik funktioniert, wie Entscheidungen zustande kommen, welche Auswirkungen die haben.
Wenn Selbstentlarvung nicht funktioniert
Unter diesen dokumentarischen Formen erfreut sich eine in der letzten Zeit besonderer Popularität: die Langzeitbegleitung, am besten unkommentiert. Das Filmteam heftet sich an die Fersen von neuen Abgeordneten oder einer frischgekürten Ministerin, reist mit Parteigruppen herum oder darf ins Kanzleramt hinein – und dann sollen diese Bilder erzählen, was so passiert im politischen Betrieb. Wie die Arbeit aussieht, wenn nicht gerade Bundestagsrede oder Talkshowauftritt ist.
Aber bei aller Direktheit, die von der Langzeitbegleitung ausgeht – diese Form hat auch ihre Grenzen. Denn alles, was nicht im Bild zu sehen ist, findet keinen Platz in der Erzählung. Das ist gerade bei der Darstellung der AfD ein Problem. Denn die Annahme, man müsse nur zeigen, wie menschenverachtend die Leute da reden, dann würde sich die Partei von selbst entlarven, ist leider eine falsche.
Politisches Sendungsbewusstsein und journalistische Eitelkeit
Aber deswegen versteht man trotzdem nicht mehr: “Ernstfall” erzählt all das, was man aus den “Tagesschau”-Meldungen schon weiß, noch einmal, aber ohne dass dabei viel mehr herumkäme als bei den “Tagesschau”-Meldungen. So helfen Stephan-Lamby-Filme weniger bei der Information als zur Selbstvergewisserung – sie bedienen das Sendungsbewusstsein der Politik und die Eitelkeit des Journalismus.
Wo dokumentarische Arbeit aufgeht
Die Serie arbeitet mit klug ausgesuchtem Archivmaterial und Interviews mit etwa 25 Menschen aus ganz verschiedenen Kreisen – aus der Politik, auch aus den Medien, vor allem aber aus Kultur und Zivilgesellschaft.
Dank dieser Vielstimmigkeit gelingt es, die Komplexität von politischen Entscheidungen begreifbar zu machen. Man weiß danach mehr über Berlin und die Politik – und würde sich wünschen, dass auf solche umfassende Weise häufiger dokumentarisch gearbeitet wird.