Podcast “heute wichtig”: Die große Klimabilanz 2022

Podcast
“heute wichtig”
Klimabilanz 2022: Vom Mitgefühl für Habeck, der 1,5-Grad-Lüge und einem Stellvertreterkrieg bei Windrädern

Am Wochenende wurde das erste deutsche LNG-Terminal in Wilhelmshaven im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz (M.) eröffnet
© Sina Schuldt / DPA
Am Wochenende haben in Wilhelmshaven die Korken geknallt: Das erste deutsche Terminal für Flüssigerdgas wurde eröffnet. Dabei ist LNG alles andere als eine Zukunftstechnologie – und zum Teil sogar eine Rückkehr zu russischem Gas.
Was waren das für schöne Bilder aus Wilhelmshaven: Ein überglücklicher Bundeskanzler und daneben die gutgelaunten Wirtschafts- und Finanzminister. Bei all der Euphorie über den rasend schnellen Bau des ersten LNG-Terminals darf man nicht vergessen, dass Flüssigerdgas immer noch Gas ist. Und zwar Gas, welches zum Teil aus Katar und zum Teil aus Russland stammt. Ja, 13 Prozent des in Europa importierten Flüssigerdgases stammt aus Russland. Über die Niederlande und Belgien gelangt das LNG aus Russland direkt in unsere Rohre.
In der 429. Folge des Podcasts “heute wichtig” sieht auch der Wissenschaftsjournalist von GEO, Dirk Steffens, die Sache mit dem Flüssigerdgas sehr kritisch: “Die LNG-Terminals sind ja auch überdimensioniert. Ich glaube, wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, ist die Kapazität, die da insgesamt ausgebaut werden soll, größer als alles, was wir vorher über Pipelines aus Russland bekommen haben. Und Gas kann unter Umständen ähnlich klimaschädlich sein, wie Kohle beim Verbrennen.”
Und obwohl er auch hier betont, dass es für die Energiewirtschaft notwendig war, für Deutschland fossile Brennstoffe zu fördern, bezeichnet er diese Entscheidung auf Klimaschutzebene als fatalen Fehler. Schließlich erreicht Deutschland seine Klimaziele bis 2030 nicht. “Wir müssen in jedem einzelnen Schritt, überall wo wir können, weg von fossiler Energie”, sagt Steffens im Gespräch mit “heute wichtig”-Redakteur Dimitri Blinski.
Acht Windkrafträder in Bayern in 2021
Die Ampelkoalition will frischen Wind reinbringen – und der ist bitter nötig. Nicht nur im übertragenen sondern auch in direktem Sinne, gerade bei der Windenergie herrscht in Deutschland zunehmend Flaute. Das flächengrößte Bundesland Bayern hat im letzten Jahr gerade mal acht Windkrafträder aufgestellt. Um die Klimaziele der Ampel zu erreichen, brauchen wir in Deutschland 1500 bis 2000 Stück pro Jahr.
Das 1,5-Grad-Ziel ist nicht zu erreichen: “Da werden wir ernsthaft belogen”
Bei dem 1,5-Grad-Ziel kritisiert Dirk Steffens die Ampelkoalition: “Das können wir als Menschheit de facto nicht mehr erreichen.” Jetzt müsse sich Deutschland auf das 2-Grad-Ziel konzentrieren, denn dabei wäre die Einhaltung des Ziels schon eher möglich. Er versteht unter dem Gesichtspunkt auch den Frust der Gesellschaft und spricht daher den Besorgnissen der Klimaaktivist:innen der letzten Generation seine Sympathie aus. Die Herangehensweise der Aktivist:innen findet er jedoch nicht in Ordnung. “Das ist eine arrogante Haltung”, erklärt er weiter, denn “sich zu radikalisieren, setzt auch voraus, dass man eine Rechthaberin ist oder ein Rechthaber ist.” Stattdessen ist sein Wunsch, dass Deutschland wieder mehr Gemeinsinn entwickeln würde. Sowohl auf politischer als auch auf menschlicher Ebene würde es viel leichter sein, die gemeinsamen Interessen – zu denen auch der Klimaschutz gehört – gemeinsam zu verfolgen.

Dirk Steffens, GEO-Wissenschaftsredakteur, zum 1,5-Grad-Ziel: “Da werden wir ernsthaft belogen”
© Dirk Steffens, GEO-Wissenschaftsredakteur
Das Verkehrsministerium versagt in Sachen Klimaschutz
“Wir haben viele schöne Erfolge im letzten Jahr gesehen, die wir in den 16 Jahren vorher nicht gesehen haben.” Die Ampel mache demnach viele gute Sachen, um den Klimaschutz voranzutreiben. Als Beispiel nennt er hierfür unter anderem die erfolgreiche Umsetzung des 9-Euro-Tickets, verweist allerdings im gleichen Atemzug auch darauf, dass die Ampel es nicht schaffe, ihre Erfolge zu kommunizieren. Das große Problem: “Wir sind halt eine föderale pluralistischen Gesellschaft.” Vor allem vom Verkehrsministerium ist er enttäuscht. Denn der Verkehrssektor erreiche seine Klimaziele bisher nie und würde dies auch in naher Zukunft nicht schaffen. Hier spricht er klar, von einem “klimapolitischen Totalversagen” und fordert außerdem: “Die müssen endlich mal den Arsch hochkriegen.”
Klimaschutzkonferenzen: Nicht mehr das Instrument dieser Zeit
Im November 2022 fand die UN-Klimakonferenz in Ägypten statt. Dirk Steffens hat dazu eine deutliche Meinung: “Diese Konferenz war es nicht wert, zehntausende Menschen um die ganze Welt zu schicken und da so lange hocken zu lassen. Das hätte man auch sein lassen können.” Denn bei solchen Konferenzen ginge es immer nur darum, wie die Lasten verteilt werden, wer an wen Geld bezahle und wer welche Vor- und Nachteile habe. “Man versucht also als nationale Regierung immer auch Klimaschutzmaßnahmen als machtpolitisches Instrument zu benutzen.” Und obwohl er betont, dass die Ampel deutlich mehr Klimaschutz erreicht habe als die Regierung unter Angela Merkel in den 16 Jahren davor, ist er nicht zufrieden mit dem heutigen Klimaschutz. Es brauche endlich ein klares Datum, an dem Deutschland aus den fossilen Energien aussteige. Dass dies immer noch nicht vorhanden sei, “ist ökonomisch und ökologisch ein großes Problem.”
Ihr Abo für “heute wichtig”
Verpassen Sie auch sonst keine Folge von “heute wichtig” und abonnieren Sie unseren Podcast bei: RTL+ Musik, Spotify, Apple Podcasts, Deezer, Castbox oder in ihrer Lieblings-Podcast-App. Bei inhaltlichen Fragen oder Anregungen schreiben Sie uns an heutewichtig@stern.de.