Olivier Messiaens „Turangalîla“ und sein großes Ja nach der Vernichtung


Simone Young dirigierte Messiaens opulente Nachkriegssymphonie bei den Berliner Philharmonikern.

Die Dirigentin Simone Young

Die Dirigentin Simone YoungSKATA/imago

Olivier Messiaens „Turangalîla“-Symphonie ist Großangriff auf alles, was man so „Geschmack“ nennt; ein Werk des Übermaßes, des hemmungslosen Kitsches, der hemmungslos dicht geschichteten Harmonien, der hemmungslosen Ekstase. 1941 hatte Messiaen in deutscher Kriegsgefangenschaft sein apokalyptisches „Quatuor pour la fin du temps“ komponiert – und ein Jahr nach Kriegsende begann er im Auftrag des Boston Symphony diese riesig besetzte Musik.

Während die gerade Zwanzigjährigen darangingen, eine Musik der programmatischen Verneinung zu konstruieren, schrieb Messiaen ein großes, alles einbeziehendes Ja. Indische Rhythmen, afrikanische Tänze, amerikanischer Jazz, Vogelstimmen, die historische Elektronik der Ondes Martenot und natürlich die französische, mit eigenen modalen Ideen angereicherte Tradition wirken in diesem eigenartigen Monstrum zusammen. Statt um die Toten und die Vernichtung der Kultur zu klagen, singt Messiaen in zehn motivisch verbundenen, aber eher bildhaften als symphonischen Sätzen von Liebe, Verständigung und Frieden.

Muss man wie Messiaen ein glühender Christ sein, um diese Perspektive einnehmen zu können? Jedenfalls fasziniert sie im gleichen Ausmaß, in dem sie befremdet.

Die Berliner Philharmoniker spielten das Werk am Donnerstag unter der Leitung von Simone Young – die erstmals seit ihrem Einspringen für Mariss Jansons vor 18 Jahren vor dem Orchester stand. Sie und der Klaviersolist Cédric Tiberghien entschieden sich eindeutig für eine ekstatische Lesart. Tiberghien bietet dabei eine stählerne Virtuosität auf, gegen die selbst das kuriose Jaulen der von Cynthia Millar präzis gespielten Ondes Martenot als zu sensibel in den Hintergrund tritt.

Der tänzerische 5. Satz „Joie du sang des étoiles“ geht in diesem ekstatischen Konzept am schlüssigsten auf und reißt das Publikum zu spontanem Applaus hin, das gleich darauffolgende Adagio „Jardin du sommeil d’amour“ am wenigsten. Hier müssten die Streicher eigentlich zur tragenden Schicht werden, als unendlicher, süß-wollüstiger Choral – hier aber wurden Tiberghiens begleitende Vogel-Signale zur Hauptsache.

Akustische Bedrängung

Nicht, dass Young die melodischen Passagen nicht zum Klingen oder zum Singen bringen könnte, auch die polyphonen Schichtungen bleiben immer plastisch – aber der nächste rhythmische Überfall im saftigen Tutti wird sie mit Sicherheit in einer Weise überrollen, die wenig Erinnerung übrig lässt. Zunehmend wird das triumphale Fortissimo übrigens zu einem Problem des Orchesters; man verlässt immer mehr philharmonische Konzerte mit dem Gefühl, akustisch in unangenehmer Weise bedrängt worden zu sein. Es verengt damit seinen Gestaltungsspielraum: Es kann nicht richtig sein, wenn etwa das in fast allen Sätzen aufklingende Todesthema der Posaunen immer gleich klingt und jeden Kontext wegbrennt.



Source link