Ohne „Liquiditätsengpass“ Corona-Soforthilfen sofort zurückzahlen


  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Schongau
  4. Peiting

Erstellt:

Von: Jennifer Battaglia

Die Chefin vom Gasthof Dragoner in Peiting ist sauer. Die während des ersten Lockdowns erhaltene Soforthilfen in Höhe von 30 000 Euro soll Monika Pummer restlos zurückzahlen.
Die Chefin vom Gasthof Dragoner in Peiting ist sauer. Die während des ersten Lockdowns erhaltene Soforthilfen in Höhe von 30 000 Euro soll Monika Pummer restlos zurückzahlen. © Herold

Recht unproblematisch konnten kleine Betriebe und Freiberufler im ersten Lockdown die Corona-Soforthilfen beantragen. Nach drei Jahren folgt nun die Abrechnung: Wer keinen „Liquiditätsengpass“ erlitten hat, soll das Geld zurückzahlen. Das sorgt für Unmut im Landkreis.

Landkreis – 30 000 Euro soll Monika Pummer zurückzahlen. Stichtag ist der 30. Juni. Die Besitzerin des Gasthofs Dragoner in Peiting hatte im ersten Lockdown vor drei Jahren die Corona-Soforthilfen beantragt – und auch bewilligt bekommen. Jetzt die böse Überraschung: Sie soll das Geld restlos zurückzahlen. Die Begründung: Bei ihr hätte damals kein „Liquiditätsengpass“ vorgelegen. Die Gastronomin ist baff. „Damit habe ich wirklich nicht gerechnet“, sagt sie.

Pummer ist eine von circa 260 000 Menschen in Bayern, die die Corona-Soforthilfen erhalten haben. Der Freistaat hatte dafür zu Beginn der Pandemie 2,2 Milliarden Euro locker gemacht. Durch die Hilfe vom Staat sollten kleine Betriebe und Freiberufler vor Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden. Von März bis Mai 2020 konnten die Hilfen beantragt werden, das entsprechende Formular umfasste lediglich zwei Seiten.

Personalkosten sind ausgenommen: „Das ist doch lächerlich“

Unbürokratisch und schnell wurde das Geld dann auch ausgezahlt. „Ich fand das damals richtig klasse, dass in Bayern so schnell geholfen wurde“, erinnert sich Gastronomin Pummer. Dass jetzt drei Jahre später ein „Rattenschwanz an Bedingungen“ folgt, macht die Peitingerin sauer.

Seit vergangenen Herbst werden alle Soforthilfen-Empfänger dazu aufgefordert nachzuprüfen, ob sie das Geld auch zurecht erhalten haben. Wer für die drei Monate nach Antragsstellung keinen „Liquiditätsengpass“ nachweisen kann, soll das Geld restlos zurückzahlen. Zur Berechnung werden die in dieser Zeit erzielten Einnahmen mit dem erwerbsmäßigen Sach- und Finanzaufwand aufgerechnet. Jedoch sind die Personalkosten davon explizit ausgenommen. „Das ist doch lächerlich“, sagt Gasthofchefin Pummer. „Was hätte ich machen sollen? Mein Personal ausstellen?“

Sie fühlt sich bestraft

Wie viele in der Gastronomie, beschäftigt auch Pummer Minijobber. Die können aber kein Kurzarbeitergeld bekommen. Um das Personal trotzdem irgendwie halten zu können, hatte sich die Gastronomin im ersten Lockdown alles Mögliche einfallen lassen. Ihre festangestellen Mitarbeiter hatte Pummer auch nicht sofort in Kurzarbeit geschickt, erst wurde noch Urlaub abgebaut. Dass die Gastronomin die Personalkosten jetzt bei der Nachprüfung nicht angeben darf, kann sie nicht nachvollziehen. Sie fühlt sich bestraft.

Beim Aufkommen der Corona-Soforthilfen fehlte es an einer unmittelbar verständliche Definition des Begriffs „Liquiditätsengpass“. Dass hier keine Personalkosten berücksichtigt werden können, stand nicht explizit auf dem damaligen zweiseitigen Antrag zur Soforthilfe. Auf Nachfrage heißt es dazu vom Bayerischen Wirtschaftsministerium, dass die Soforthilfen „im Wesentlichen“ ein Bundesprogramm seien und der Bund darauf bestanden habe, „dass Personalkosten generell nicht einbezogen werden dürfen“. Stattdessen sei das Kurzarbeitergeld ein „geeignetes Instrument zur Abfederung von weiterlaufenden Personalkosten“. Auf die Frage, wie mit 450-Euro-Jobbern umzugehen ist, antwortete das Wirtschaftsministerium nicht konkret.

Scholz sagte: „Es muss also nichts zurückgezahlt werden“

Hinzu kommt, dass von der Politik zu Pandemiebeginn mehrfach suggeriert wurde, dass die Soforthilfen nicht zurückgezahlt werden müssen. So sagte Olaf Scholz, damals noch in der Funktion als Bundesfinanzminister, dass die Hilfen ein Zuschuss und kein Kredit seien. „Es muss also nichts zurückgezahlt werden“, so Scholz wörtlich, nachzulesen in einer Pressemitteilung der damaligen Bundesregierung vom 27. März 2020.

Und auch Bayerns Finanzminister Hubert Aiwanger ließ in einer Pressekonferenz am 30. März 2020 verlauten, dass die Soforthilfe „nicht zurückgezahlt werden muss“, die Unterstützung aber daran gebunden sei „dass eben die Liquidität knapper wird.“ Was genau das bedeutet, sagte Aiwanger damals nicht. Er betonte außerdem, dass sich die Höhe der Soforthilfen nach der Anzahl der Beschäftigten richte. Je nach Mitarbeiterzahl wurden gestaffelte Beträge ausgezahlt. Was jedoch von Anfang an klar zu sein schien, ist, dass durch die Soforthilfen keine entgangenen Umsätze und Gewinne ersetzt werden können.

Vergleich mit anderen Bundesländern

Ein Blick in andere Bundesländer zeigt, dass auch hier die Rückforderungen für Unmut sorgen. In Nordrhein-Westfalen hatten Hilfe-Empfänger geklagt – und in Teilen Recht bekommen. Das Land hatte Berufung eingelegt, unterlag aber vergangene Woche vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster. Die Rückforderungen von Corona-Soforthilfen für Soloselbständige in NRW waren demnach rechtswidrig.

Das OVG stützte sein Urteil auf die Begründung, dass im Rückmeldeverfahren keine anderen Kriterien angewendet werden dürfen, als das bei der Bewilligung der Fall war. Rechtsanwalt Alexander Lang von der Kanzlei Steinbock und Partner (München/ Würzburg) geht davon aus, dass auch die Verwaltungsgerichte in Bayern die Rückforderungen „in großen Umfang“ für rechtswidrig erklären könnten.

Im Gespräch mit der Heimatzeitung erklärt der Anwalt, wie Betroffene vorgehen sollten: „Wir empfehlen, nicht einfach zu zahlen, weil man sonst von einer unternehmensfreundlichen Rechtssprechung nicht mehr ohne Weiteres profitieren würde“, sagt er. Zur Rückmeldung sei man verpflichtet, jedoch sollte man dafür nicht das Online-Formular verwenden. „Hier gibt es keine Möglichkeit anzugeben, dass man mit der Rückforderung nicht einverstanden ist“, so Lang.

Die Empfehlung des Rechtsanwalts

Stattdessen empfiehlt er, durch ein anwaltliches Schreiben Auskunft zu erteilen und gleichzeitig ausführen zu lassen, warum der Anspruch auf Rückzahlung nicht besteht. Lang und seine Kollegen vertreten aktuell mehrere hundert Mandanten, die gegen die Rückforderung der Corona-Soforthilfen vorgehen wollen.

Einen Anwalt hat Gastronomin Monika Pummer aus Peiting bisher nicht beauftragt. Alle für die Rückzahlung relevanten Dokumente hat sie ihrem Steuerberater übergeben. „Die Corona-Pandemie hat unsere Rücklagen aufgefressen“, sagt sie. Jetzt auch noch 30 000 Euro zurückzahlen zu müssen, tue „ganz schön weh“.

Auch andere sind sauer

Nicht nur Gastronomin Monika Pummer ist über die Rückforderung überrascht, sondern auch Claudia und Markus Wenzl. Das Ehepaar betreibt das KinoP. in Penzberg und hatte 9000 Euro an Soforthilfe erhalten. Auch sie wurden dazu aufgefordert, den gesamten Betrag zurückzuzahlen.„Ich finde das schon einen dicken Hund“, sagt Claudia Wenzl.

Der Zahlungsaufforderung ist das Ehepaar bereits nachgekommen. „Wir haben aus steuerlichen Gründen noch im alten Jahr überwiesen.“ Markus Wenzl ergänzt: „Und damit haben wir hoffentlich unsere Ruhe.“ In Ordnung finden die Wenzls die Rückzahlung trotzdem nicht. „Ich hatte das Geld immer als Art Schadensersatz gesehen“, sagt Claudia Wenzl. Schließlich habe der Staat die Lockdowns auf Basis des Infektionsschutzgesetzes angeordnet. Und die Kinobranche hat sich bisher auch nicht wieder erholt, 40 Prozent weniger Besucher kommen laut Wenzl zu den Vorführungen. „Eigentlich sind wir jetzt so weit, dass wir Personal ausstellen müssten.“ Dass die Rückzahlung der Soforthilfen jetzt fällig wird, kann sie nicht nachvollziehen. „Man kommt sich schon ein wenig veräppelt vor.“

„Vielleicht war ich da nicht so naiv wie andere“

Für den Inhaber eines Fitnessstudios im Landkreis kommt die Rückforderung der Soforthilfen hingegen nicht überraschend. „Mir war schon klar, dass das in irgendeiner Art und Weise auf uns zurückkommt“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. „Vielleicht war ich da nicht so naiv wie manch’ andere.“ Bisher habe er noch keine Aufforderung bekommen. „Das kommt bestimmt noch.“ Bei dem Fitnessstudiobetreiber geht es um insgesamt 15 000 Euro. Im ersten Lockdown hatte das Studio noch die Beiträge der Mitglieder abgebucht. „Das kann ich auch nachvollziehen, wenn ich die Hilfen zurückzahlen muss“, sagt der Mann. Trotzdem würde auch ihm die Summe „wehtun“. Viele Mitglieder hatten durch die Pandemie gekündigt. „Wir sind noch nicht wieder auf 100 Prozent.“

Übrigens: Alles aus der Region gibt‘s auch in unserem regelmäßigen Schongau-Newsletter. Und in unserem Weilheim-Penzberg-Newsletter.

Alle News und Geschichten sind auch auf der Facebook-Seite der Schongauer Nachrichten zu finden.

Die Heimatzeitungen im Landkreis Weilheim-Schongau sind unter „merkur_wm_sog“ auf Instagram vertreten.





Quellenlink https://www.merkur.de/lokales/schongau/rueckforderung-corona-soforthilfen-aerger-peiting-dragoner-pummer-92171995.html?cmp=defrss