Netanjahu könnte Stopp der Justizreform ankündigen


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Von: Bona Hyun

Proteste in Israel nach Entlassung des Verteidigungsministers
Nach der Entlassung des Verteidigungsministers zogen wütende Menschen in Israel auf die Straßen, um zu protestieren. © Ilia Yefimovich/dpa

Nach Entlassung von Verteidigungsminister Galant kommt es in Israel zu wütenden Protesten. Präsident Netanjahu könnte einen Stopp der Justizreform ankündigen.

Update vom 27. März, 08.36 Uhr: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will sich Medienberichten zufolge am Montagmorgen zur umstrittenen Justizreform äußern. Es wird erwartet, dass Netanjahu einen Stopp der umstrittenen Pläne seiner rechts-religiösen Regierung ankündigen könnte. Wie der öffentlich-rechtliche Sender Kan unter Berufung auf Quellen aus Netanjahus Umfeld berichtet, soll die Ansprache voraussichtlich um 10.00 Uhr Ortszeit (09.00 Uhr MESZ) sein. Das Büro des Regierungschefs wollte dies zunächst nicht bestätigen.

Erstmeldung vom 27. März, 07.00 Uhr: Tel Aviv – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Verteidigungsminister Joav Galant nach dessen Aufruf zum Stopp einer umstrittenen Justizreform entlassen. Das teilte Netanjahus rechtskonservative Likud-Partei am Sonntagabend mit. Gegen die Reform, mit der der Einfluss des Höchsten Gerichts beschnitten werden soll, gibt es seit Monaten Proteste in Israel. Auch international sorgten die Pläne der rechtsreligiösen Regierung für Kritik. Nach der Entlassung Galants kam es zu wütenden Protesten. In Tel Aviv gingen Zehntausende spontan auf die Straße, in Jerusalem durchbrachen wütende Menschen eine Straßensperre neben Netanjahus Wohnhaus. Die Lage spitzt sich immer weiter zu.

Netanjahu feuert Verteidigungsminister – Lage in Israel spitzt sich zu

Die Entlassung Galants sorgte für Zorn und Unmut unter den Menschen. Die Polizei ging mit Reiterstaffeln und Wasserwerfern gegen die Protestierende vor, aus der Steine auf die Einsatzkräfte flogen. Israelische Universitäten verkündeten aus Protest gegen die Entlassung Galants und die Reformpläne einen vorläufigen Unterrichtsstopp. Mehrere Bürgermeister traten in den Hungerstreik und forderten eine sofortige Eindämmung der nationalen Krise. Der Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) setzte für Montag eine Pressekonferenz an, allem Anschein nach zur Ausrufung eines Generalstreiks.

Der ehemalige Ministerpräsident Naftali Bennett warnte, Israel befinde sich in der größten Gefahr seit dem Jom-Kippur-Krieg 1973. Bennett rief Netanjahu dazu auf, die Entlassung Galants zurückzunehmen, die Justizreform auszusetzen und einen Dialog mit den Gegnern aufzunehmen. Die Demonstranten ermahnte er, keine Gewalt anzuwenden und Blutvergießen zu verhindern. „Wir sind Brüder“, schrieb Bennett. Sicherheitsexperten warnen, Feinde Israels, vor allem der Iran, die libanesische Hisbollah-Miliz sowie militante Palästinenserorganisationen im Gazastreifen, könnten die Lage für Angriffe auf das durch die innenpolitische Krise geschwächte Land nutzen.

Israels Ex-Verteidigungsminister rief zum Stopp der Justizreform auf – und wird entlassen

Der bisherige Verteidigungsminister hatte am Samstagabend die eigene Regierung überraschend zum Dialog mit Kritikern der Justizreform aufgerufen. Netanjahu habe sich daraufhin von Sonntagabend bis tief in die Nacht mit mehreren Ministern seines Kabinetts über einen möglichen Stopp der Reform beraten, berichtete die Jerusalem Post. Dem Parlament soll es durch die Reform künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Galant warnte, dass die nationale Sicherheit schweren Schaden nehmen könnte. Darauf antwortete Netanjahu mit der Entlassung. Seine Koalition will Kernelemente der Reform trotzdem in den nächsten Tagen umsetzen.

Galant war das ranghöchste Regierungsmitglied, das sich kritisch über die Justizreform äußerte. Die Regierung wirft dem Höchsten Gericht übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. In der Likud-Partei bekam er Unterstützung. Oppositionsführer Jair Lapid nannte dessen Aufruf einen „mutigen Schritt“, der wichtig für Israels Sicherheit sei. Auch den Dauerkonflikt mit den Palästinensern und das iranische Atomprogramm thematisierte Galant. Kampfpiloten der Reserve hatten in einem Fernsehbericht damit gedroht, sich an einem möglichen Angriff auf die iranischen Atomanlagen nicht zu beteiligen, sollte die Reform durchgesetzt werden.

Netanjahu feuert Verteidigungsminister – US-Regierung reagiert besorgt um Israels Sicherheit

Organisatoren der Massenproteste gegen die Reform in Israel teilten nach Galants Ansprache mit, die Demonstrationen würden bis zur kompletten Aufgabe der Reformpläne fortgesetzt. Sie haben eine „Woche der Störung“ mit zahlreichen Protesten angekündigt. Experten gehen davon aus, dass es bei den monatelangen Massenprotesten nicht nur um die Justizreform geht, sondern dass das liberale Lager damit auch seinem Ärger über andere tief liegende Probleme Luft macht.

Die US-Regierung hat angesichts der breiten Proteste in Israel gegen den Kurs der rechtsreligiösen Koalition zu einem Kompromiss aufgerufen. „Wir sind tief besorgt über die heutigen Entwicklungen in Israel, die die dringende Notwendigkeit eines Kompromisses noch unterstreiche“, teilte das Weiße Haus am Sonntagabend (Ortszeit) mit. „Wir fordern die israelische Führung weiterhin nachdrücklich auf, sobald wie möglich einen Kompromiss zu finden.“

Regierung in Israel will Justizreform durchsetzen: „Rote Linie überschritten“

Die Abstimmung über ein Gesetz, das Regierungspolitikern mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern verleihen soll, könnte bereits an diesem Montag (27. März) stattfinden. Noch ist unklar, wie Kritiker der Reform innerhalb der Regierung abstimmen werden. Die Koalition hat im Parlament nur eine Mehrheit von vier Mandaten. Die Oppositionspolitiker Jair Lapid und Benny Gantz forderten Netanjahus Parteikollegen in einer gemeinsamen Mitteilung auf, „sich nicht an der Zerstörung der nationalen Sicherheit zu beteiligen“. Der Regierungschef habe „eine rote Linie überschritten“.

Auch die Lage in den Palästinensergebieten bleibt sehr angespannt: Zum dritten Mal binnen eines Monats kam es am Samstagabend in der Ortschaft Huwara im Westjordanland zu einem Anschlag auf Israelis. Dabei wurden nach Militärangaben zwei Soldaten verletzt, einer davon schwer. Den Berichten zufolge schoss ein mutmaßlich palästinensischer Täter aus einem fahrenden Auto. Erst vor knapp einer Woche war ein Israeli bei einem Anschlag in dem Ort schwer verletzt worden. Vor einem Monat wurden dort zwei israelische Brüder getötet. Anschließend kam es zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler. (bohy/dpa)



Quellenlink https://www.merkur.de/politik/israel-regierung-justizreform-netanjahu-proteste-nahost-konflikt-verteidigungsminister-news-zr-92173381.html?cmp=defrss