Nach Wagenknechts Rede: Linke zerbröselt – Politik

Als Ulrich Schneider im Jahr 2016 der Linken beitrat, verkündete er, die Partei stehe “ohne jeden Zweifel” für eine Politik des gerechten Ausgleichs. Als Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes handelte er sich dafür den Vorwurf ein, er habe die gebotene Neutralität verletzt. Zumindest das dürfte sich nun erübrigt haben. Der Soziallobbyist Schneider lobbyiert nämlich jetzt allenfalls noch für jene Linke, die zunehmend am eigenen Laden verzweifeln. Am Montagabend verkündete er seinen Parteiaustritt.
Dass die Linksfraktion am vergangenen Donnerstag im Bundestag Sahra Wagenknecht ans Podium gelassen habe, und was diese dann “vom Stapel ließ”, sei zu viel gewesen, schrieb Schneider auf Twitter. Garniert mit der Bemerkung: “Man hätte es wissen müssen.”
Dass die ehemalige Fraktionsvorsitzende Wagenknecht seit geraumer Zeit in der Linken eine Art innerparteiliche Oppositionsbewegung anführt, das weiß nun wirklich fast jeder. Dass sie in Fragen der Wirtschaftssanktionen gegen Russland im Speziellen und des Umgangs mit Wladimir Putin im Allgemeinen eine Position vertritt, die der Beschlusslage ihrer Partei diametral widerspricht, dürften auch die meisten mitbekommen haben. Warum in der Haushaltswoche des Bundestags die einzige Rednerin der Linken zur Wirtschafts- und Energiepolitik dann ausgerechnet Sahra Wagenknecht hieß? Das ist ein Rätsel, welches die Partei vermutlich noch länger beschäftigen wird. Zumindest hat es die akuten Zerbröselungserscheinungen ausgelöst.
Viele Reaktionen aus der Partei zu Schneiders Austritt haben nun einen ähnlichen Tenor: sehr schade, aber verständlich. Die Bundestagsabgeordnete Caren Lay teilte in diesem Zusammenhang mit: “Die Entscheidung, Wagenknecht reden zu lassen, war die fatalste von vielen falschen Entscheidungen, es macht mich fertig.”
“Wie ein feudaler Hofschranzen-Staat”
Der ehemalige Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler ist der Meinung, die Linksfraktion habe sich verhalten “wie ein arroganter feudaler Hofschranzen-Staat”. Der langjährige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Knud Vöcking begründete seinen Parteiaustritt unmittelbar nach dem Wagenknecht-Auftritt mit den Worten: “Meine Geduld ist zu Ende.” Auch der frühere Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi trat am Dienstag aus der Partei aus, allerdings ohne das explizit auf die Causa Wagenknecht zu beziehen. Seine Entscheidung sei kein Teil einer Flügelauseinandersetzung, schrieb de Masi.
In ihrer gewissermaßen jetzt schon legendären Rede hatte Wagenknecht die Ampel-Koalition als “die dümmste Regierung in Europa” bezeichnet und dann gesagt: “Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.” Gemeint war zweifellos ein von deutschen Zäunen gebrochener Wirtschaftskrieg gegen Russland.
Zumindest Teile der anwesenden Linken-Abgeordneten, die bis dahin artig geklatscht hatten, stellten ab dieser Stelle den Applaus demonstrativ ein. Katharina Dröge, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, sprach in ihrem Zwischenruf aus, was offenbar auch unter Linken viele dachten: “Putin freut sich über Ihre Rede, Frau Wagenknecht!”
Der Umgang mit Wagenknecht beschäftigt die Linke seit Jahren auf fast schon pathologische Weise. Für viele Genossinnen und Genossen scheint nun aber endgültig die Schmerzgrenze erreicht zu sein. Wobei sich die parteiinterne Kritik nicht nur gegen die Rednerin selbst richtet, sondern zunehmend auch gegen die Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch. Die hatten Wagenknecht schließlich ans Mikrofon gelassen.
Einen offenen Brief, in dem der Rücktritt von Bartsch und Mohamed Ali gefordert wird, hat unter anderem die Bundestagsabgeordnete Martina Renner unterzeichnet. Und Ulrich Schneider soll seinen Parteiaustritt in einer internen SMS auch explizit mit dem Verhalten des Fraktionsvorsitzenden verbunden haben.
“Kein Redeverbot für Wagenknecht”
Dietmar Bartsch sagte auf SZ-Anfrage: “Unsere Aufgabe ist es, uns mit der Politik der Ampel auseinanderzusetzen. Es ist in der Fraktion bisher kein Redeverbot für Sahra Wagenknecht beschlossen worden.”
Es kursieren nun aber allerlei Gerüchte zu der Frage, wie es Wagenknecht an so prominenter Stelle auf die Redeliste geschafft hat, obwohl sie weder für die Haushaltspolitik noch für Energiethemen zuständig ist. Eine dieser Theorien besagt, nur so sei eine Wagenknecht-Rede auf der jüngsten Montagsdemo in Leipzig zu verhindern gewesen, die vermutlich noch mehr Schaden angerichtet hätte.
Maßgebliche Linke halten inzwischen eine Spaltung der Partei für unvermeidlich. Die Frage sei nur noch, wann Wagenknecht austreten werde und mit wie vielen. Falls es mehr als drei Abgeordnete wären, würde die Linke ihren Fraktionsstatus im Bundestag verlieren. Auch das wäre übrigens ein Druckmittel, um es auf nahezu jede Redeliste zu schaffen.
Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/politik/wagenknecht-rede-parteiaustritte-1.5656496