MV-Werften vor Millionenhilfe: Zulieferer warnten Landesregierung | NDR.de – Nachrichten


Stand: 18.11.2022 07:00 Uhr

Seit der Pleite der MV-Werften heißt es von der Schweriner Landesregierung, dass die Probleme pandemiebedingt waren. Interne Mails und Dokumente belegen nun, dass die Politik bereits früh von finanziellen Zahlungsproblemen wusste, die vor der Pandemie aufgetreten waren.

von Carolin Kock, Martin Möller und Reiko Pinkert

Am gestrigen Donnerstag gab der Insolvenzverwalter der MV-Werften bekannt, dass das Kreuzfahrtschiff “Global Dream” an die Reederei Disney Cruise Line verkauft und fertiggestellt wird. Der Steuerzahler hat inzwischen Millionen in dieses Schiff sowie in die MV-Werften gesteckt. Allein das Land Mecklenburg-Vorpommern versuchte die Schiffswerften mit 301 Millionen Euro zu retten. Und auch der Bund hatte 193 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfond gegeben. Hinzu kamen 107 Millionen aus Brückenfinanzierungen und einer stillen Beteiligung. Bislang haben die MV-Werften davon keinen Cent an das Land zurückgezahlt.

Am Ende halfen all die Millionen nicht. Die MV-Werften mussten Anfang diesen Jahres Insolvenz anmelden. Seitdem behauptet die Landesregierung von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) öffentlich, dass die Pleite durch die Pandemie und dem damit zusammenhängenden Zusammenbruch der Kreuzfahrtindustrie verursacht wurde. Rechnungen, E-Mails der Unternehmen und interne Dokumente die NDR und Süddeutsche Zeitung auswerten konnten, lassen jedoch Zweifel an dieser Lesart aufkommen.

Zulieferer stellten Liste mit Zahlungsrückständen zusammen

Bereits im November 2019, vier Monate vor dem coronabedingten Produktionsstopp, blieben die ersten Firmen auf ihren Rechnungen sitzen. Die Werft reagierte teilweise gar nicht mehr auf angemahnte Rechnungen, Telefonanrufe wurden vom Management weggedrückt, so geht es aus den Unterlagen hervor. Die Zulieferbetriebe erstellten daraufhin eine Liste mit Firmen, denen die MV-Werften Geld schulden. Die Gesamtsumme der Verbindlichkeiten betrug demnach am 28. April 2020 bereits 38.527.123,10 Euro. Diese Liste wurde dem Wirtschaftsministerium zugesandt. Am 27. Mai 2020 schrieb ein hoher Beamter in einer Mail: “Die Rechnungen aller Zulieferer machen mehr als die 50 Mio aus” und bezog sich damit auf die den Zulieferern zugesagte Summe des MV-Corona-Schutzfonds.

Unternehmer warnten in Schreiben die Regierung

Die Unternehmer hatten zudem die Landesregierung frühzeitig auf die prekäre Situation und die Zahlungsrückstände in Mails hingewiesen. Verschiedene Schreiben der Zulieferer liegen NDR und Süddeutscher Zeitung vor. In einer Mail vom April 2020 heißt es: “Wir haben absolut GAR KEIN Verständnis dafür, besonders vor dem Hintergrund der Historie der Werften in MV, dass unsere Rechnungen für bereits geleistete Arbeiten nicht bezahlt werden.” Und ein weiterer Unternehmer schrieb erbost ebenfalls im April: “Die Auftragserteilung, die erbrachte (abgeschlossene) Leistung und unsere Rechnungstellung liegen alle in der Zeit VOR Schließung der Werft.” Der Unternehmer bezog sich damit auf die Zeit vor der Pandemie. Er führte weiter aus: “[…] Wurden Aufträge in großem Stil weiter ausgelöst obwohl die Finanzierung gar nicht gesichert war? Ist die Werft mal wieder zahlungsunfähig?” Weiter heißt es: “Böse Erinnerungen an die letzte Werften Pleite werden wach!” Und: “Schon wieder wurden Steuer Millionen in die Werften gepumpt … und nun?” An die Schreiben der Unternehmer an das Wirtschaftsministerium waren jeweils unbezahlte Rechnungen an die MV-Werften angehängt. Viele für den Zeitraum von November 2019 bis einschließlich Februar 2020. Also noch vor Beginn der Pandemie in Deutschland und vor der Werften-Schließung während des Lockdowns im März 2020.

Treffen zwischen Zulieferer und Wirtschaftsministerium

Anfang Mai trafen sich aus diesem Grund Vertreter der Zulieferer und die zuständigen Referats- und Abteilungsleiter im Schweriner Wirtschaftsministerium zu einem Krisentreffen. Die Unternehmer schilderten dort eindringlich wie die Lage war: Leistungen werden nicht oder nur teilweise bezahlt, die Existenz sei bedroht. Diskutiert wird daraufhin, ob es nicht zinslose Kredite für die Zulieferer geben könnte. Doch in der Politik wiegeln sie ab. Eine solche Tilgung sei “hochgradig risikobehaftet”, weil ein Fortbestand der MV-Werften nicht gesichert sei, heißt es in einem Gesprächsprotokoll eines Unternehmens von dem Treffen. Aus der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern heißt es jetzt, dass die Zahlungsrückstände der MV-Werften mehrere Gründe haben können. “Sie können z.B. auch in Schlechtleistung begründet sein. Grundsätzlich müssen die Vertragspartner ihre Probleme untereinander lösen.” Wirtschaftliche Schwierigkeiten, so schreibt der Regierungssprecher auf Anfrage, habe es erst gegeben als der Mutterkonzern der MV-Werften in Folge der Pandemie in Schwierigkeiten geriet. “Das Wegbrechen dieses Cashflows infolge der Lockdowns zunächst in Asien und anschließend weltweit ist eindeutig pandemiebedingt.”

Ministerpräsidentin Schwesig war informiert

Ministerpräsidentin Manuela Schwesig wurde am 21. April 2020 bei einer Kabinettssitzung von ihrem christdemokratischen Wirtschaftsminister Glawe über die Lage der MV-Werften informiert. Das hinderte die Landesregierung in den nächsten Monaten allerdings nicht daran, viele Millionen Euro in die angeschlagenen MV-Werften zu investieren. Ein Ende des Traumes von den größten Kreuzfahrtschiffen der Welt made in MV, mitten in der Corona-Krise, erschien der rot-schwarzen Landesregierung wohl noch risikoreicher, als deren Abwicklung. 

Düsseldorfer Firma bis heute nicht bezahlt

Gegenüber NDR und SZ schildern verschiedene Zulieferer die Probleme aus den Wochen vor Beginn der Pandemie heute deutlich: Die Firma von Ercan Osman war von den MV-Werften mit Maler- und Beschichtungsarbeiten beauftragt. Die anfängliche Euphorie verflog schnell. “Es gab schon starke operative Schwierigkeiten in im Grunde allen Bereichen, im Stahlbau, im Schiffbaubereich”, sagt er. Aber das galt auch im Finanzbereich. Immer wieder wurden Rechnungen zurückgestellt, nicht oder nur teilweise bezahlt. Bis heute schulden ihm die MV-Werften 1,8 Millionen Euro, sagt er. Nach offenen Rechnungen gefragt, heißt es vom Insolvenzverwalter: “Auf Grundlage der beim Insolvenzverwalter eingegangenen Anmeldungen ist es falsch, dass Zulieferer beklagen, es seien Rechnungen in Millionenhöhe offen.”

 Ähnliche Erfahrungen machte Stefan Lindberg, Inhaber einer Firma, die Stahlbauarbeiten erledigt und Ingenieurleistungen anbietet. Der Stralsunder sagt: “Bei den MV-Werften wussten sie am Ende nicht, wo liegen wir eigentlich gerade mit dem Bau unseres Schiffes. Sie haben trotzdem immer neue Verträge mit Zulieferbetrieben abgeschlossen, ohne zu wissen, ob sie die wirklich brauchen und am Ende auch bezahlen können.” Nicht selten mussten mangelhaft erledigte Arbeiten nachgebessert werden. Stefan Lindbergs Fazit: “Wer den Bau nicht im Griff hat, hat auch die Kosten nicht im Griff.” Ercan Osman ergänzt: “Wir haben einen sehr ernsthaften Blick auf die Finanzlage, weil wir ständig in Vorleistung treten mussten und die extrem hohen Risiken bewerten mussten.” Stefan Lindberg und Ercan Osman fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.

Landesregierung glaubte großer Beraterfirma

Die Landesregierung in Schwerin vertraute auf Gutachten, die die MV-Werften selbst bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young in Auftrag gegeben hatten. Sie bescheinigten den Werften eine positive Geschäftsperspektive. Auf dieser Grundlage konnte eine Unterstützung aus dem Corona-Schutzfonds fließen, der dafür aufgelegt war, Unternehmen vor finanziellen Schieflagen zu bewahren, die durch die Pandemie ausgelöst wurden. NDR und SZ haben die Landesregierung um Herausgabe der Gutachten gebeten, darauf schreibt ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums: “Die MV-Werften sind Auftraggeber der oben benannten Gutachten. Die Landesregierung ist nicht berechtigt, diese Gutachten an Dritte herauszugeben.”

Am Ende haben die Zulieferer recht behalten. Die Kosten sind komplett aus dem Ruder gelaufen. Der MV-Werften Mutterkonzern Genting Hongkong ging schließlich das Geld aus und die neue Bundesregierung mochte keine weiteren Risiken eingehen. Im Januar 2022 mussten die MV-Werften schließlich Insolvenz anmelden.

Immerhin hat die “Global Dream” nun doch noch einen Käufer gefunden. Der Kaufpreis ist streng geheim, obwohl im Schiff hunderte Millionen öffentliche Gelder stecken. Vermutlich 2024 wird ein großes Schiff mit Mickey Maus Ohren am Schornstein die Wismarbucht für immer verlassen. Mit über 2 Milliarden Euro Baukosten und sechs Jahren Bauzeit ist es für viele ein Alptraumschiff und vermutlich das letzte seiner Art made in MV.   

 

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Werftarbeiter stehen nach einer Betriebsversammlung vor dem von einem Beamer projizierten Bild des zukünftigen Disney-Kreuzfahrtschiffs. © dpa Foto: Jens Büttner

Der Untergang ist abgewendet: Das Riesen-Kreuzfahrtschiff “Global Dream” der ehemaligen MV-Werften wird verkauft und soll in Wismar zu Ende gebaut werden.
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18.11.2022 | 07:00 Uhr

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