Muss der U-Bahn-Tunnel neu gebaut werden?

Eine Entscheidung gibt es noch nicht. Und es wird wohl noch Wochen und vielleicht Monate dauern, bis endlich Klarheit über das weitere Vorgehen herrscht. Doch als Worst Case wird diese Möglichkeit nach Informationen der Berliner Zeitung ernsthaft diskutiert: eine Variante zur Behebung der Schäden im Bahnhof Alexanderplatz der U-Bahn-Linie U2, bei der der Tunnel neu gebaut würde.
Dies wäre in der Tat der schlimmste Fall, der eintreten könnte. Denn das hieße nicht nur, dass die bereits teilweise unterbrochene Schienenverbindung im östlichen Stadtzentrum wohl mehr als ein Jahr voll gesperrt werden müsste. Auch wären die Kosten erheblich. Für Mittwoch hat die Senatsverwaltung für Mobilität die Beteiligten zu einem Gespräch eingeladen.
Die Züge der U2 im Osten Berlins sind deutlich leerer als früher, und Stammfahrgäste haben das Gefühl, dass sich der Exodus der Reisenden in den vergangenen Wochen beschleunigt hat. Dass die Kundschaft diese Strecke meidet, ist kein Wunder. Sie muss zwischen den U-Bahn-Stationen Klosterstraße und Senefelderplatz auf einen Pendelverkehr umsteigen, der nur alle 15 Minuten verkehren kann. Hinzu kommt, dass es auch auf dem westlich anschließenden Teilstück ab Spittelmarkt Restriktionen gibt, sodass dort nur alle zehn Minuten eine U-Bahn fährt. Ergebnis ist, dass die Fahrgäste deutlich mehr Zeit als früher einplanen müssen – das macht die U2 für viele unattraktiv.
Ursache ist ein Tunnelschaden unter dem Alexanderplatz, der mit der benachbarten Hochhausbaustelle des französischen Immobilienunternehmens Covivio zusammenhängt. Eine der rund einen Meter dicken Wände, die dort die Baugrube umschließen, hat sich verformt. Zudem lockerte sich der Boden. Die U-Bahn-Anlage, die nur wenige Meter entfernt liegt, ist unter Stress geraten, und das ist deutlich zu spüren.
Warum wurde mehrere Wochen lang nicht reagiert?
Wie berichtet traten die ersten Risse an dem unterirdischen Bahnhofsbauwerk der U2 bereits im vergangenen Sommer auf. Im Juli 2022 wurden Mitarbeiter der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) erstmals darauf aufmerksam. Im September 2022 stieß man dann auf Grundwasser, das durch Risse in der Tunnelsohle in die mehr als hundert Jahre alte Anlage aus unbewehrtem Beton eindrang. Zwar hieß es, dass es unterm Strich nicht allzu viel Wasser war – aber als Alarmzeichen wurde es trotzdem wahrgenommen.
Sensoren überwachen den Tunnel. Sie registrierten über Wochen hinweg, dass sich das Bauwerk bewegte. Neben der Covivio-Baugrube sackte der U2-Bahnhofs ab – Setzung heißt das in der Fachsprache. Entgegengesetzte Bereiche hoben sich dagegen leicht an. Die Frage, warum man zunächst nicht reagierte, wurde bislang nicht beantwortet.
Erst als die Setzung schließlich bis zu 3,5 Zentimeter erreichte, trafen die BVG und die Technische Aufsichtsbehörde, die in der Senatsverwaltung für Mobilität von Senatorin Bettina Jarasch angesiedelt ist, eine Entscheidung. Im U-Bahnhof Alexanderplatz wurde das Gleis nach Pankow am 7. Oktober gesperrt und der Bahnsteigbereich mit Zäunen vor Betreten gesichert, auf dem anderen Gleis pendelt eine U-Bahn. So ist es bis heute.
Ein schwieriges, aufwendiges und möglicherweise riskantes Unternehmen
Wie lange es noch so sein wird, bewegt seitdem viele Fahrgäste. Doch Beobachter bekamen schon bald den Eindruck, dass der Ernst der Lage zu lange unterschätzt wurde. Hieß es im Herbst noch, dass die U2 möglicherweise ab Februar 2023 wieder wie früher fahren kann, nennen die Verantwortlichen nun schon lange keinen Termin mehr – nicht einmal mehr einen vagen Zeitraum. Nun wird immer klarer, dass das Gründe hat.
Recherchen der Berliner Zeitung haben ergeben, dass bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) inzwischen Alternativen zum ursprünglich geplanten Sanierungsverfahren geprüft werden. Bislang hieß es stets, dass seitlich von der Baugrube der Covivio aus eine Zementemulsion unter den U2-Bahnhof Alexanderplatz gespritzt werden soll. So wäre es möglich, das abgesackte Bauwerk anzuheben, so die Einschätzung. Auch in die Tunnelwand könnte Beton injiziert werden, sah das bisherige Konzept vor.
Kein Zutritt: der abgesperrte Bereich im Bahnhof der U2 unter dem Alexanderplatz.Emmanuele Contini/Berliner Zeitung
Doch dem Vernehmen nach haben die Fachleute längst erkannt, dass es sich um ein schwieriges, aufwendiges und möglicherweise riskantes Unternehmen handeln würde. Firmen, die solche Injektionen zufriedenstellend abwickeln könnten, seien rar gesät, hieß es. Eine gute Planung und eine gute Vorbereitung wären sehr wichtig. Wenn es bei der Ausführung zu Fehlern kommt, könnte das die Probleme potenzieren.
Inzwischen wird auch immer deutlicher gefragt, ob das Tunnelbauwerk möglicherweise stärker geschädigt ist, als bisher eingeschätzt wurde. „Wenn ein mehr als hundert Jahre alter Tunnel in einem solchen Umfeld erst einmal in Bewegung kommt, können sich die Schäden als weitreichender herausstellen“, sagte ein U-Bahn-Experte kürzlich der Berliner Zeitung. Zudem könne es sich erneut erweisen, wie tückisch der Untergrund im Berliner Urstromtal ist, warnte er. Der Fachmann erinnerte daran, dass beim Bau des Fernsehturms ebenfalls eine Stabilisierung nötig erschien. Doch erst nachdem riesige Mengen Beton in den Boden gespritzt worden waren, ließ sich das Ziel erreichen.
Mehr als ein Jahr Schienenersatzverkehr auf der U2?
Nicht nur er hält es für möglich, dass sich die Probleme am bestehenden Tunnel als so gravierend darstellen, dass am Ende nur Abriss und Neubau sinnvoll sind. Dem Vernehmen nach wird auch in der BVG darüber gesprochen. Aus fachlicher Sicht könnte das die beste Lösung sein, weil Verschlimmbesserungen vermieden werden. Doch der Aufwand wäre erheblich. Bei der jetzigen Teilsperrung könne es nicht bleiben, der U-Bahn-Betrieb auf der U2 müsste in diesem Bereich sicher für über ein Jahr vollständig eingestellt werden, hieß es. Auch die Kosten wären beachtlich, eine zweistellige Millionensumme im mittleren Bereich erscheint als denkbar, so ein externer Beobachter. Als sicher gilt auch, dass lange Planungs- und Verwaltungsverfahren nötig werden.
Derzeit halten sich alle Seiten bedeckt – was möglicherweise auch damit zu tun hat, dass es die Covivio mit einem millionenschweren Haftungsfall zu tun hat, was das Unternehmen zur Vorsicht zwingt. An den offiziellen Stellungnahmen hat sich schon länger nichts geändert. „Wir wollen unseren Fahrgästen schnellstmöglich wieder einen regulären und sicheren Betrieb auf der so wichtigen Linie U2 anbieten“, betonte BVG-Sprecher Jannes Schwentu jüngst. „Voraussetzung dafür ist, dass Covivio als Bauherr bei den zuständigen Behörden nun belastbare und genehmigungsfähige Unterlagen für die notwendigen Stabilisierungsmaßnahmen einreicht. Wir sind im engen und ständigen Austausch mit der TAB, die diese Unterlagen nach Eingang freigeben muss.“
Senat wartet auf Unterlagen des Bauherrn Covivio
Der Berliner Fahrgastverband IGEB forderte, dass es notfalls zu einer Ersatzvornahme kommen müsse. In diesem Fall würde im Auftrag der Verwaltung gehandelt, die zunächst die Kosten vorschießen würde.
In der Senatsverwaltung für Mobilität bleibt man auf dem Standpunkt: Covivio ist Verursacher dieses Schadens und muss als Bauherr für seine Behebung sorgen.
Wie berichtet hat der Senat die Covivio für den 25. Januar zum Gespräch gebeten. Außer Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal (Grüne) sind auch die BVG und Mittes Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) vertreten. „Gemeinsames Ziel ist es, schnellstmöglich zu einem sicheren Betrieb der U-Bahn zurückzukehren“, sagte Niedbals Sprecher Jan Thomsen.
„Dafür ist zunächst ein genehmigungsfähiges Instandsetzungskonzept nötig, das die komplexen ingenieurtechnischen Herausforderungen komplett adressiert – also sowohl die Sicherung der Baugruben-Stützwand, die an den U2-Tunnel angrenzt, als auch die Hebung der um einige Zentimeter abgesackten Tunnelröhre.“ Dieses Gesamtkonzept müsse der Investor als Verursacher des Schadens mit allen dafür nötigen Unterlagen vorlegen, damit die Technische Aufsichtsbehörde des Senats es sorgfältig prüfen kann. „Covivio ist hier in der Verantwortung. Das Gespräch am Mittwoch dient dazu, Beschleunigungspotenziale für diesen Prozess zu erörtern“, so Thomsen.
Doch wer weiß, vielleicht kommt es am Alexanderplatz ganz anders.