„Lufthansa hat Rückhalt in der Belegschaft verloren“

Frankfurt, Berlin Im Tarifstreit des Bodenpersonals mit der Lufthansa hofft Verdi-Verhandlungsführerin Christine Behle auf eine Lösung in der kommenden Verhandlungsrunde. „Wir haben die große Hoffnung, dass der Durchbruch gelingt“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft vor den am Mittwoch beginnenden Gesprächen im Interview mit dem Handelsblatt.
Behle schließt aber auch neue Streiks nicht aus. Liege man bei den Verhandlungen noch weit auseinander, werde ihre Gewerkschaft nach den massiven Warnstreiks vom vergangenen Mittwoch weitere Arbeitskampfmaßnahmen prüfen, sagte Behle, die auch stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Konzerns ist.
„Ein Ergebnis in der dritten Verhandlungsrunde ist auch deswegen entscheidend, weil sonst das Risiko besteht, mit Arbeitskämpfen in die Hauptreisezeit zu rutschen“, sagte die Gewerkschafterin. Der August und der September seien die verkehrsreichsten Monate in der Luftfahrt. Allerdings habe man vorsorglich für Ende August bereits eine weitere zweitägige Verhandlungsrunde angesetzt.
Unabhängig vom Tarifstreit des Bodenpersonals haben sich auch die Piloten der Lufthansa in einer Urabstimmung für Streiks ausgesprochen. Behle sieht als Problem, dass das Unternehmen etwa mit der Gründung neuer Airlines die Tarifpartner und die Betriebsräte unter Druck gesetzt habe. „Die Pandemie hat das Fass nun zum Überlaufen gebracht“, sagte die Gewerkschafterin. „Unserer Einschätzung nach hat die Führung den Rückhalt verloren.“
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Die Gewerkschafterin betonte, dass es für das Bodenpersonal jetzt „eine nachhaltige Tariferhöhung“ geben müsse. „Die letzte Tarifrunde gab es 2018, seitdem haben die Beschäftigten wegen der Pandemie auf Gehalt verzichtet, um die Lufthansa stabil durch die Krise zu bringen.“ Gerungen wird neben der Prozenterhöhung auch noch um einen Mindestbetrag, von dem vor allem untere Entgeltgruppen profitieren sollen.
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Christine Behle:
Frau Behle, hat sich die Verhandlungsführung von Lufthansa seit dem Warnstreik am Mittwoch schon bei Ihnen gemeldet?
Nein, das hat sie nicht.
Erwarten Sie denn von der dritten Verhandlungsrunde, die am Mittwoch beginnt, eine Lösung?
Absolut, wir haben die große Hoffnung, dass der Durchbruch gelingt. Wir haben das Treffen bewusst auf zwei Tage angesetzt, um die vielen Themen besprechen zu können. Es gibt übrigens Ende August eine weitere zweitägige Runde, die wir vorsorglich angesetzt haben.
„Wir brauchen jetzt eine nachhaltige Tariferhöhung.“
Und wenn es doch nicht klappt: Drohen dann rasch neue Streiks, in der Hauptreisezeit im August und September?
Das kann ich so pauschal nicht beantworten, das hängt ganz stark vom Verhandlungsstand ab, den wir dann erreicht haben. Liegen wir noch weit auseinander, würden wir aber natürlich neue Arbeitskampfmaßnahmen prüfen.
Ein Streitpunkt neben dem Geld ist die Laufzeit. Verdi verlangt zwölf Monate, die Lufthansa will 18 Monate. Sind Sie bei der Laufzeit kompromissbereit?
Für die Beschäftigen ist eine eher kurze Laufzeit enorm wichtig. Keiner kann sagen, wie sich die Inflation und die wirtschaftliche Lage entwickeln werden. Die letzte Tarifrunde gab es 2018, seitdem haben die Beschäftigten wegen der Pandemie auf Gehalt verzichtet, um die Lufthansa stabil durch die Krise zu bringen. Deshalb brauchen wir jetzt eine nachhaltige Tariferhöhung.
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Sie wollen vor allem die unteren Gehaltsklassen stärken, das will auch Lufthansa. Warum sind Sie mit dem Vorschlag des Managements nicht zufrieden?
Unser Vorschlag ist eine Tariferhöhung von 9,5 Prozent, bei einem Mindestbetrag von 350 Euro. Das hätte den Vorteil, dass diese 350 Euro bis zu einem Einkommen von circa 3700 Euro wirken. Lufthansa bietet einen Festbetrag von 250 Euro. Der Vorschlag für einen Festbetrag ist nicht schlecht, aber er muss einen gewissen Umfang haben, um auch nach oben zu wirken. 250 Euro sind dazu zu wenig. Problematisch ist außerdem, dass der Lufthansa-Vorschlag eine weitere Erhöhung an Unternehmensergebnissen orientieren will. Das wäre ein Blankoscheck für eine ungewisse Zukunft der Beschäftigten. Das lehnen wir ab.
Der Warnstreik war heftig. Was war Ihr Kalkül? Lieber nur einmal großen Schmerz bereiten und hoffen, dass es dafür dann zu einer schnellen Lösung kommen kann?
Uns war es wichtig, vor der dritten Runde ein deutliches Signal zu setzen. Der Vorschlag der Arbeitgeberseite hat in einigen Punkten eine vernünftige Struktur. Aber wir liegen noch recht weit auseinander. Ein Ergebnis in der dritten Verhandlungsrunde ist auch deswegen entscheidend, weil sonst das Risiko besteht, mit Arbeitskämpfen in die Hauptreisezeit zu rutschen. Der August und der September sind die verkehrsreichsten Monate in der Luftfahrt.
Könnte der Verdi-Warnstreik auch dabei helfen, den Knoten in den Tarifverhandlungen bei anderen Berufsgruppen wie etwa den Piloten zu durchschlagen?
Das kann ich nicht sagen, die Situation bei den Piloten ist auch eine ganz andere.
Verärgertes Bodenpersonal, Frust im Cockpit und in der Kabine: Ist Lufthansa gerade dabei, den Rückhalt in der Belegschaft zu verlieren?
Aus unserer Sicht ist das in der Tat ein großes Problem. Lufthansa hat in der Vergangenheit Maßnahmen ergriffen – wie zum Beispiel die Gründung neuer Airlines –, die die Tarifpartner und die Betriebsräte unter Druck gesetzt haben. Die Pandemie hat das Fass nun zum Überlaufen gebracht. Unserer Einschätzung nach hat die Führung den Rückhalt verloren.
Die Luftfahrt lag coronabedingt lange am Boden. Haben Sie denn gar kein Verständnis dafür, dass das Management in der Krise Personal abgebaut hat?
Dafür habe ich zum Teil Verständnis. Lufthansa musste sich Gedanken machen, wie sie nach der Pandemie wieder starten wollen. Es wurden Flugzeuge stillgelegt, dafür ist weniger Personal nötig. Das waren richtige Schritte, um das Unternehmen stabil durch die Pandemie zu führen, aber man hätte versuchen müssen, die Beschäftigten zum Teil zu halten und nicht durch Abfindungen ziehen zu lassen. Bei der Planung des Hochlaufs hat es Fehleinschätzungen gegeben. Schulungen für Piloten und Kabinenpersonal wurden zum Beispiel zu spät gestartet.
War denn die rasant steigende Reiselust wirklich absehbar?
Es gab genug Hinweise, auch von unserer Seite. Schon im vergangenen Sommer gab es einen Peak bei den Buchungen, an Weihnachten und an Ostern auch. Lufthansa hat diese Hinweise ignoriert. Nach meinem Eindruck war es der Versuch von Lufthansa, den Flugbetrieb mit einer grundsätzlich kleineren Mannschaft durchzuführen.
„Die Attraktivität als Arbeitgeber steht und fällt mit einer attraktiven Vergütung“
Hat das Management den Frust der Beschäftigten schon im vollen Umfang erfasst?
Das Management in Summe noch nicht, aber Teile davon wissen um die brenzlige Situation. Michael Niggemann, der Personalvorstand, zeigt in den Gesprächen Verständnis für die Situation der Beschäftigten.
Lufthansa will jetzt wieder einstellen und war bislang ein Arbeitgeber mit einer großen Anziehungskraft. Wie viel davon ist noch geblieben?
Die Attraktivität als Arbeitgeber steht und fällt mit einer attraktiven Vergütung. Hier hat Lufthansa in den zurückliegenden Jahren stark an Anziehungskraft verloren. Auch im administrativen Bereich haben viele Fachkräfte das Unternehmen verlassen. Lufthansa muss mit aller Macht versuchen, wieder an Attraktivität zu gewinnen.
Aber auch Lufthansa kann nicht zaubern, überall wird Personal gesucht.
Lufthansa konnte in der Vergangenheit mit einer guten Kombination aus attraktiver Bezahlung, einem interessanten Job und Anreizen wie etwa günstigem Fliegen punkten. Wenn Lufthansa eine marktgerechte Vergütung zahlt, sollte das Unternehmen auch wieder das notwendige Personal finden.
>> Lesen Sie hier: Flughafen-Chaos: Verschärft ein Poker um Schulungskosten den Mangel an Kontrollpersonal?
Liegen die personellen Probleme nicht auch daran, dass die Wertschätzung für das Produkt Fliegen verloren gegangen ist?
Das glaube ich nicht. Natürlich gibt es Effekte wie Flugscham. Aber der Urlaub und das Reisen haben nach wie vor für die Menschen einen hohen Stellenwert.
Verdi schließt im Tarifkonflikt neue Arbeitskampfmaßnahmen nicht aus.
(Foto: AP)
Sie sind auch die stellvertretende Vorsitzende des Lufthansa-Aufsichtsrats und als solche dem Wohle des Unternehmens verpflichtet. Wie vereinbaren Sie diese Rolle mit der als Gewerkschaftsführerin, die zu Arbeitskämpfen mit hohen Kosten für das Unternehmen aufruft?
Das ist natürlich eine Gratwanderung. Ich trenne jedoch beide Rollen streng voneinander. Außerdem sind wir ein Dreierteam, wir verteilen die Aufgaben. Ich bin zum Beispiel nicht für die Streikleitung verantwortlich.
Der Personalengpass wird sich nicht so einfach beheben lassen. Haben Sie Erkenntnisse, wohin die Mitarbeiter abgewandert sind, die jetzt an Bord und an den Flughäfen fehlen?
Wir haben hier mehrere Effekte. Zum einen sind langjährige Mitarbeiter am Flughafen in den Ruhestand gegangen. Dann haben Beschäftigte neue Jobs in der Logistik gefunden. Dort wird mit zum Teil hohen Anreizprämien gearbeitet. Auch die Bahn stellt sehr stark ein. Das sind Jobs, die attraktiver sind als der Schichtbetrieb am Flughafen mit langen Arbeitszeiten für wenig Geld.
Aber die Tarifbedingungen an Flughäfen hat doch Verdi mit ausgehandelt. Werden die meisten Beschäftigten dort nicht mehr nach Tarif bezahlt?
Doch. Es gibt an Flughäfen etwa 30 Unternehmen, die Bodendienstleistungen anbieten. Alle haben einen Tarifvertrag mit Verdi. Aber die Konkurrenz ist stark, der Günstigste bekommt den Auftrag. Das hat zu einer Abwärtsspirale bei den Löhnen geführt. Um die zu durchbrechen, arbeiten wir schon länger an einem Branchentarifvertrag für alle. Die Gespräche wurden in der Pandemie unterbrochen, nun sind wir aber auf der Zielgeraden. Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen bis Ende des Jahres weitgehend abgeschlossen sein werden.
Es gibt Forderungen, Serviceleistungen am Boden wie die Sicherheitskontrollen wieder zu verstaatlichen. Brauchen wir Beamte an den Sicherheitsschleusen?
Nein! Ich kenne die Diskussion. Wir haben viele private Unternehmen, die einen guten Job machen, aber abhängig sind von den Vorgaben der Bundespolizei. Die hat aber nicht den vollen Überblick über die Situation an den Flughäfen. Es fehlt hier eine vernünftige Steuerung, das ist das Problem. Wir votieren deshalb dafür, dass diese Steuerung in die Hände der Flughäfen gegeben wird.
>> Lesen Sie hier: Flugchaos: Bund schließt Neuorganisation der Luftsicherheitskontrollen nicht aus
Ende des Jahres laufen die Vorbereitungen für die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes an. Können Sie schon andeuten, wohin die Reise gehen wird?
Die Mitgliederbefragung läuft noch bis Mitte Oktober. Es zeichnet sich aber schon ab, dass der Schwerpunkt unserer Forderungen auf dem Thema Vergütung liegen wird, vor allem dem Ausgleich der Inflation.
Da haben Sie ja einen Vorkämpfer. Die Metaller fordern acht Prozent mehr Geld. Da werden Sie kaum drunter bleiben können, oder?
Ich gehe nicht davon aus, dass wir drunter bleiben werden.
Sind wir schon mittendrin in einer Lohn-Preis-Spirale?
Das ist ein Märchen. Es ist eine Erfindung von Menschen, die nicht wollen, dass Gewerkschaften so hohe Löhne durchsetzen. Es gab in der Vergangenheit nicht einen Beleg dafür, dass Lohnforderungen die Inflation anheizen. Im Moment sehen wir doch eher eine Gewinn-Preis-Spirale. Unternehmen nutzen die aktuelle Situation, um die Preise nach oben zu treiben. Das heizt die Inflation an.
Frau Behle, vielen Dank für das Interview.
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