Kompromisslos in die Klimaratlosigkeit – Die Menschen in Lützerath wollen das Richtige und tun das Falsche


Räumung von Lützerath

Greta Thunberg und Luisa Neubauer im rheinischen Revier.



(Foto: dpa)

Die Bilder aus Lützerath sind verstörend und bewegend zugleich. Junge Menschen, die sich an Baumhäuser ketten, von Polizisten wegtragen lassen, die ihre Verzweiflung zu beachtlichem Durchhaltevermögen treibt – und von denen leider einige auch der Gewalt nicht abgeneigt sind. Menschen, die sehr stark an das glauben, was sie durchsetzen wollen, und inhaltlich nur schwer zu widerlegen sind. Trotzdem ist der Protest von Lützerath ein Beispiel dafür, dass Menschen sich für die richtige Sache engagieren und doch die falsche Lösung verfolgen können.

Es ist klar, dass ein vollständiges Verfeuern der Kohle unter Lützerath das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels unmöglich macht. Das ist keine Meinung, das ist Physik.

Und man kann sich auch sehr zu Recht fragen, wie redlich die Verrenkungen von RWE, Grünen und nordrhein-westfälischer Landesregierung zur Rechtfertigung des Braunkohleabbaus mit Versorgungssicherheit sind. Schließlich haben nicht nur Nichtregierungsorganisationen die Notwendigkeit des Kohleabbaus unter Lützerath widerlegt, sondern zum Beispiel auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Doch ist ein Widerstand, der einen richtigen Kern hat, auch klug?

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Dazu muss man sich noch mal vor Augen führen, wie alle Beteiligten in das Lützerath-Desaster geraten sind: Die grünen Wirtschaftsminister von NRW und Bund sowie RWE einigten sich im Herbst darauf, die Braunkohle unter Lützerath noch zu fördern. Im Gegenzug versicherte RWE, ab 2030 auf die Kohleverstromung zu verzichten. Ein Kompromiss, ein Abwägen zwischen privaten (RWE) und öffentlichen (Land und Bund) Interessen.

Beide Seiten gaben ein wenig. Beide Seiten bekamen ein wenig.

Was passiert in den wirklich polarisierenden Fragen?

Die Scharmützel-Stimmung beider Seiten in Lützerath lenkt nun den Blick auf eine zentrale Frage: Wie will dieses Land sich jemals auf eine angemessene Klimapolitik einigen, die nicht über alle Maßen polarisiert?

Wenn selbst dieser unter demokratischen und rechtsstaatlichen Aspekten eigentlich vorbildlich verhandelte Kompromiss schon nicht funktioniert, wird das kaum bei anderen großen Fragen gelingen. Und davon gibt es einige, bei denen eine konsequente Klimapolitik deutlich komplexere Konflikte behandeln müsste.

Dass Braunkohle kein zukunftsfähiger Energieträger ist, ist ja eher unumstritten, die Kompromisssuche sollte entsprechend trivial sein. Wenn sie hier aber schon scheitert, wie soll sie dann bei Fragen funktionieren, in denen die Fliehkräfte stärker auseinanderdriften. Etwa im Verkehr (Tempo 120? Inlandsflugverbote?), bei der Ernährung (Weniger Fleisch? Gar kein Fleisch?), beim Wohnen (Weniger Wohnfläche? Kältere Räume?).

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Alles Fragen, in denen die Klimabewegung bisher für ihre naturwissenschaftlich erforderliche Linie keine Mehrheiten findet. Ob der Umgang mit einem demokratisch und rechtsstaatlich einwandfreien Prozess wie in Lützerath die Mehrheit der Gesellschaft nun überzeugt?

Es fehlt eine mehrheitsfähige Klimaschutzerzählung

Politisch liberal-rechte Kräfte haben sicher ein Problem, eine ernsthafte Klimapolitik überhaupt zu entwerfen (wie man am Wochenende bei der CDU wieder sehen konnte). Das eher ökologisch orientierte Lager aber hat das Problem, einen korrekten und mehrheitsfähigen Weg zu seinen richtigen Zielen aufzuzeigen. Das Argument, das Klima kenne eben keine Kompromisse, mag physikalisch richtig sein. Demokratisch führt es in die Sackgasse.

Es fehlt eine Strategie, die Erzählung vom Klimaschutz so weiterzuverbreiten, dass sie verfängt. Das ist natürlich nicht nur den Protestlern anzulasten, darauf hat bisher auch die Politik keine Antwort.

Es wird in Lützerath offensichtlich, dass die gängige Klimaschutz-Argumentation zwar richtig, aber nur schwer vermittelbar ist. Wer eine Idee hat, dieses Dilemma zu lösen, täte dem Klima einen größeren Gefallen, als eine Kompromisslösung im rheinischen Revier zu verhindern.

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