Kommentar zu EU-Gaspreisdeckel – Ein Instrument, das nicht wirken soll


Die Flamme eines alten Gasherdes flackert unter einem Topf.

Deutschland stemmte sich in der EU gegen staatliche Eingriffe in den Markt (picture alliance / dpa-Zentralbild / Stephan Schulz)

Geradezu fieberhaft hat Deutschland in den vergangenen Tagen darüber diskutiert, wie es sein kann, dass im ganzen Land Fiebersaft für Kleinkinder Mangelware ist. Die Ursache dafür ist mittlerweile ausgemacht: Es ist der Preisdeckel, der aus politischen Gründen diesem Pharmaprodukt aufgepfropft worden ist, ohne Rücksicht auf die Mechanismen des Marktes.

Und der hat dann reagiert wie es im Lehrbuch steht. Die Produktionsanlagen wurden ins Ausland verlegt. Und da gibt es jetzt Fiebersaft, in Deutschland aber nicht. Vor diesem Hintergrund verwundert es eigentlich, mit welcher Gelassenheit hingenommen wird, dass nun schon wieder ein Preisdeckel beschlossen wird – einer für Erdgas.

Deutschland stemmte sich gegen einen europäischen Preisdeckel

15 Monate lang haben die Mitgliedstaaten der EU darüber gestritten, wie man die explodierenden Energiepreise wieder absenken kann. Zwei Lager standen sich gegenüber. Eine Mehrzahl von Mitgliedstaaten verlangte dirigistische Eingriffe in die Marktmechanismen. Weil der Preis für die Megawattstunde Erdgas im vergangenen Sommer groteske Höhen von bis zu 350 Euro erklommen hatte.

Eine Minderheit von Mitgliedstaaten, angeführt von Deutschland, stemmte sich in der EU gegen staatliche Eingriffe in den Markt, weil sie fürchtet, dass künstlich abgesenkte Preise den Verbrauch wieder ansteigen und die Versorgungssicherheit gefährden könnten. Nun also der Kompromiss: Für Flüssigerdgas gibt es ab Februar einen Preisdeckel, einen “atmenden”, wie es verniedlichend heißt. Steigt der Preis für eine Megawattstunde an drei aufeinanderfolgenden Tagen über 180 Euro, und liegt der Weltmarktpreis zeitgleich um mindestens 35 Euro darunter, dann wird der Preis gedeckelt. Und was dann passiert, das ist völlig unvorhersehbar.

Wirtschaftswissenschaftler warnen vor Gasmangelwinter 2023/24

Industrieverbände und Wirtschaftswissenschaftler warnen vor einem Szenario, in dem die EU im Frühjahr ihre Gasspeicher nicht mehr gefüllt bekommt, weil die LNG-Tanker allesamt Kurs auf Asien nehmen, statt ihre wertvolle Ware hier zum gedeckelten Preis zu löschen. Die Folge: Der befürchtete Gasmangelwinter 2023/2024 würde Realität.

Ob es tatsächlich so weit kommt, ist allerdings offen, denn die Gegner der Markteingriffe haben so viele Löcher in den Preisdeckel gebohrt, dass der eher einem Nudelsieb gleicht. Wenn zu wenig Flüssigerdgas verfügbar sein sollte, der Verbrauch ansteigt oder die etablierten Handelsplätze für Gas austrocknen, dann wird der Preisdeckel wieder außer Kraft gesetzt. Ob all diese Sicherungsmaßnahmen aber ausreichen, um die schädlichen Rückwirkungen eines staatlich regulierten Preises zu verhindern, das vermag derzeit niemand zu sagen.

Fest steht: Der Kompromiss zum Gaspreisdeckel ist eigentlich gar keiner. Er definiert keinen für beide Seiten gangbaren mittleren Weg. Sondern er summiert nur die gegensätzlichen Positionen, in der Hoffnung, dass sie sich gegenseitig neutralisieren. Das ist kein Kompromiss, sondern eher ein Dokument der Resignation am Ende eines zermürbenden Dauerstreits.

Peter Kapern

Peter Kapern, geboren 1962 in Hamm, Westfalen. Studium der Politikwissenschaften, der Philosophie und der Soziologie in Münster. Volontariat beim Deutschlandfunk. Moderator der Informationssendungen des Dlf, 2007 bis 2010 Leiter der Redaktion Innenpolitik, Korrespondent in Düsseldorf, Tel Aviv und Brüssel.



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