Immer weniger junge Leute wollen zur Berliner Polizei

Viele Bewerber erfüllen zudem die Voraussetzungen nicht. Andere wenden sich von Berlin ab – was aus Sicht der Gewerkschaft der Polizei bestimmte Gründe hat.

Die Polizei Berlin wirbt um Nachwuchs – so wie andere Branchen auch.Jens Kalaene/dpa
Immer weniger junge Menschen wollen zur Polizei. Die Zahl der Bewerber ist vor allem für dieses Jahr rapide gesunken. Und jene, die sich bewerben, sind oft ungeeignet. Für den gehobenen Dienst der Schutzpolizei gibt es nicht einmal mehr drei Bewerbungen auf eine der 180 Stellen.
Eine Laufbahn im gehobenen Dienst der Schutz- oder Kriminalpolizei beginnt mit einem dreijährigen Bachelorstudium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR). Die Beförderungsstufen reichen vom Polizei- beziehungsweise Kriminalkommissar bis zum Ersten Polizei- beziehungsweise Kriminalhauptkommissar.
„Schon seit einigen Jahren sei die zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt um die gleichen Zielgruppen bei sinkenden Schulabgangszahlen auch für die Polizei Berlin deutlich spürbar“, sagt Polizeisprecherin Anja Dierschke. Gleichwohl sei es in den vergangenen drei Jahren gelungen, im Durchschnitt circa 93 Prozent der angestrebten 1224 Einstellungen pro Jahr mit gut geeigneten Bewerbern zu besetzen.
Das heißt aber auch: Laut Dierschkes Auflistung blieben im Jahr 2020 genau 101 Ausbildungsplätze und damit verbundene Stellen unbesetzt. 2021 blieben 65 und im vorigen Jahr 86 Stellen frei. Der Grund: Es fehlte an Bewerbern, die die Anforderungen erfüllten.
2,8 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz
Um den geeignetsten Bewerber für eine Stelle zu finden, gilt bei Behörden und Unternehmen ein Schlüssel von zehn zu eins als optimal, um ordentlich aussieben zu können – zehn Bewerber pro Stelle. Schon im Frühjahr 2022 lag das Verhältnis von Bewerbern auf Ausbildungsstellen für den gehobenen Dienst aber nur bei vier zu eins. In diesem Jahr sieht es noch schlechter aus: Auf 180 Stellen, die im Frühjahr vergeben werden, kamen lediglich 509 Bewerber. Das sind 2,8 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz.
Besser sieht die Lage mit 2464 Bewerbungen beim mittleren Dienst der Schutzpolizei aus, der an der Polizeiakademie in Ruhleben ausgebildet wird – auch wenn die Bewerbungsfristen in den früheren Jahren mehrmals verlängert werden mussten. In Ruhleben gibt es 312 geplante Stellen. Auch für eine Ausbildung bei der Kripo an der HWR zeigen viele junge Menschen Interesse. Auf die etwa 90 Kripo-Plätze kamen 1068 Bewerbungen.
Zwei Mal im Jahr werden an der HWR und in Ruhleben Studenten und Auszubildende eingestellt. Laut Dierschke gehen für die Frühjahrseinstellungen grundsätzlich weniger Bewerbungen ein als im Herbst. „Das erklärt sich dadurch, dass zum Herbst mehr Schulabgängerinnen und -abgänger zur Verfügung stehen. Gleichwohl setzt sich der abnehmende Trend grundsätzlich fort.“
Hinzu kommt ein weiteres Problem: Nicht jeder, der die Aufnahmebedingungen erfüllt, wird am Ende auch Polizist. Ein Teil der Auszubildenden und Studenten geht auf halber Strecke von Bord. So schlossen im September von 331 Studenten an der HWR nur 270 ihr Studium erfolgreich ab.
Berliner Polizei will die Zugangshürden nicht senken
Was also tun? Die Polizei versucht das Gleiche wie andere Berufszweige auch: Sie wirbt in den Schulen, sie hat Übungstests auf der Homepage und Tipps zur Vorbereitung hinterlegt. Sie unterhält einen TikTok-Karrierekanal und einen eigenen Influencer mit einem behördlichen Instagram-Kanal, um ihre Zielgruppe zu erreichen.
Die Zugangshürden will die Polizei nicht senken. Das lassen laut Dierschke die Anforderungen an den Beruf nicht zu. „Die Einstellungsvoraussetzungen des Auswahlverfahrens stellen Mindestanforderungen für den Polizeivollzugsdienst dar“, sagt sie. „Auch kommende Generationen von Polizistinnen und Polizisten müssen den Aufgaben und Einsatzlagen psychisch und körperlich gewachsen sein.“ Einzig die Mindestgröße sei vor einigen Jahren abgeschafft worden.
Nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind viele Gründe für den Bewerbermangel hausgemacht und über Jahre gewachsen. Während in Brandenburg Bewerber nach ein bis zwei Wochen ihre Zu- oder Absage haben, dauert es in Berlin mehrere Monate, bis junge Menschen Klarheit haben. „Viele orientieren sich dann um“, sagt GdP-Sprecher Benjamin Jendro. „Wir müssen bei Bewerbungsverfahren schneller werden.“ Berlin habe sich jahrelang auf dem Ruf als Hauptstadtpolizei ausgeruht.
Klar sei allerdings auch, dass es Berlins Landespolitik versäumt habe, ihrer Polizei den Rücken zu stärken und dies eine massive Außenwirkung habe. „Wir haben es seit Jahrzehnten mit großem Misstrauen gegenüber der Hauptstadtpolizei zu tun, geben Einzelnen sehr viel Raum, ideologische Äußerungen ohne sachliche Grundlage preiszugeben.“
Auch andere Bundesländer haben Nachwuchsprobleme
Allerdings trifft der Bewerbermangel auch andere Polizeien – auch die, die von der Politik nicht als benachteiligt gelten. So konnte Bayern nach Angaben seines Innenministeriums im vergangenen Jahr 67 der 1568 Ausbildungsplätze im mittleren Dienst nicht besetzen. Nach Angaben der Deutschen Polizeigewerkschaft hatten dort im September viele neue Polizeianwärter den Einstellungstest nur knapp mit Note Vier geschafft.
Nicht viel besser sieht es in Nordrhein-Westfalen aus. Statt 3000 Polizeianwärtern wurden dort im vergangenen Jahr im neuen Ausbildungsjahrgang nur 2670 Anwärter eingestellt.
Wie es bewerbermäßig in anderen Branchen, etwa in der freien Wirtschaft, aussieht, lässt sich angesichts dieser Zahlen nur erahnen. Denn die Polizei liegt neben der Bundeswehr auf dem ersten Platz bei Befragungen von Schülern, wenn es um deren Traum-Arbeitgeber geht.