„Ich als weißer Generaldirektor kann nicht sagen, dass mich das Wort Mohr nicht stört“

Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten setzt in diesem Jahr einen Schwerpunkt hinsichtlich der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und des kolonialen Erbes. Die Sammlungen werden in Hinblick darauf untersucht, und vom 1. Juli bis zum 31. Oktober wird eine Sonderausstellung im Schloss Charlottenburg stattfinden. Christoph Martin Vogtherr, der Generaldirektor der Stiftung, spricht im Interview mit der Berliner Zeitung über das Jahresthema seiner Einrichtung.
Herr Vogtherr, das Thema koloniale Vergangenheit ist zwar dieses Jahr Schwerpunkt bei Ihnen, aber es wird ja schon länger bearbeitet. Das prominenteste Beispiel für die Auseinandersetzung ist die Umbenennung des Mohrenrondells im Park Sanssouci in Erstes Rondell im Jahr 2021. In Berlin diskutiert man seit den 1990er-Jahren über die Umbenennung der Mohrenstraße, Sie haben es einfach gemacht. Wie kam das?
Einzelne Forschungen zu kolonialen Themen gab es in der Stiftung bereits. Wir haben sie 2019 gebündelt, um hier weiter voranzukommen. Dazu haben wir eine Steuerungsgruppe gegründet, die Expertisen aus verschiedenen Bereichen zusammenbringt, und eine erste Liste mit Objekten erstellt, die mit kolonialer Vergangenheit zu tun haben. Das sind Objekte, die auf kolonialen Wegen gehandelt worden sind, oder solche, die das europäische Bild vom Rest der Welt zeigen. Dabei sind wir natürlich auch auf das damals so genannte Mohrenrondell gestoßen, über dessen Namen es in Potsdam bereits eine Diskussion gab, und haben gründlich recherchiert. Zu unserer eigenen Überraschung haben wir festgestellt, dass die Benennung erst seit den 1960er-Jahren existiert. Zu der Zeit hat man die Problematik des Begriffs nicht erkannt oder wollte sie nicht sehen. Im 19. Jahrhundert hieß dieses Rondell Erstes Rondell. Wir haben es also rückbenannt.
Es gibt ja auch Historiker und Sprachwissenschaftler, die dem Begriff Mohr die rassistische oder diskriminierende Konnotation absprechen.
Wir müssen in der Frage, was diskriminierend wirkt, immer diejenigen anhören, die damit gemeint sind. Ich als weißer Generaldirektor kann doch nicht glaubwürdig vertreten, dass mich der Begriff nicht stört. Da müssen wir mit vielen Menschen reden, zuhören. Ein Teil unseres Projekts besteht auch darin, dass wir einen Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen aufgebaut haben, es sind rund zehn. Denn allein schaffen wir es nicht, dieses Thema anzugehen und unsere eigene Denkweise zu ändern. Die Verbindungen zu diesen Gruppen sind manchmal sehr herzlich, manchmal spannungsreich, aber sie sind sehr, sehr wichtig.
Die Arbeitsgruppe Postcolonial Potsdam an der Universität Potsdam hat die Entfernung der Büsten vier Schwarzer Personen am Ersten Rondell gefordert. Wie haben Sie darauf reagiert?
Unsere Aufgabe ist Denkmalpflege und Vermittlung. Wir in der Stiftung sehen die Lösung nicht darin, dass man Spuren entfernt, Werke entfernt, historische Namen entfernt. Man muss sie stattdessen zum Sprechen bringen und durchaus auch kritisch kommentieren.
Die 2020 gegründete Steuerungsgruppe Koloniale Kontexte in der Stiftung hat bis heute 68 Objekte mit kolonialer Vergangenheit identifiziert. Sind das schon alle?
Die Zahl markiert einen Zwischenstand. Wir haben sehr gründlich, aber nicht abschließend recherchiert; das heißt, die Liste wird weiter wachsen. Die Forschungen dauern an und werden auf unserer Webseite regelmäßig aktualisiert. Eines der wichtigsten Beispiele sind die Elfenbeinmöbel im Schloss Oranienburg. Diese Möbel sind in der Kolonie Brasilien für den damaligen niederländischen Gouverneur angefertigt worden und auf dem Kaufweg nach Preußen gelangt, wobei das Elfenbein im Zuge des Versklavungshandels von Afrika nach Südamerika gekommen ist. Diese Möbel sind also Teil dieses transatlantischen Versklavungshandels. Zudem haben wir viele Objekte, die auf die Präsenz Schwarzer Menschen am preußischen Hof hinweisen.

epd
Zur Person
Der Kunsthistoriker Christoph Martin Vogtherr, geboren 1965 in Uelzen, ist seit Anfang 2019 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Davor leitete er die Hamburger Kunsthalle und die Londoner Wallace Collection. Er unterrichtet zudem an der TU Berlin.
Zum Beispiel?
Es gibt etwa ein Porträt eines Schwarzen Bediensteten des Prinzen Carl von Preußen. Da sind wir schon im 19. Jahrhundert. Es gibt auch viele Porträts oder Gemälde, in denen Schwarze Bedienstete oder Verschleppte im Hintergrund auftauchen. Zudem haben wir zahlreiche Darstellungen von Schwarzen oder nichteuropäischen Menschen, die die Kontinente Afrika, Asien und Amerika symbolisieren. Und dann gibt es einige Kuriosa.
Oh, was denn?
Im Neuen Palais haben wir die sogenannte „Spitze des Kilimanjaro“, die im 19. Jahrhundert Kaiser Wilhelm II. von dem deutschen Geografen und Kolonialpolitiker Hans Meyer geschenkt worden ist. Es hat sich aber herausgestellt, dass es doch nicht die Spitze des Kilimanjaro ist, es ist kein Lavagestein, sondern gewöhnlicher Schotter. Zudem ist diese falsche Spitze seit zwei Generationen verschollen. Es ist aber natürlich bemerkenswert, dass der deutsche Kaiser eine solche koloniale Trophäe in einem seiner Schlösser montiert.
Was wissen Sie über die Schwarzen Menschen am preußischen Hof?
Unter Kurfürst Friedrich Wilhelm, dem „Großen Kurfürsten“, wurden koloniale Stützpunkte im heutigen Ghana gegründet. Die Festung Großfriedrichsburg dort ist auch noch zu wesentlichen Teilen erhalten. Nach derzeitigem Forschungsstand sind dort in wenigen Jahrzehnten zwischen 20.000 und 30.000 versklavte Menschen unter brandenburgischer Flagge verschleppt und verkauft worden. Europa wollte davon möglichst wenig sehen: Es sind Güter aus Europa nach Afrika gebracht worden, versklavte Menschen aus Afrika nach Amerika; und aus Amerika kamen Güter, die von den versklavten Menschen produziert wurden, wieder nach Europa. Die Zahl der Schwarzen Menschen, die im Rahmen dieser kolonialen Praxis nach Europa gekommen sind, war vergleichsweise gering.
Welchen Status hatten diese Menschen denn am Hof?
Wir sind im Moment dabei, Biografien zu erschließen. Das geht erstaunlich gut, und das ist auch ein Zeichen dafür, was passieren kann, wenn man einen blinden Fleck aufgibt. Manche sind als Sklaven hier angekommen, andere hatten eine freie Position am Hof, die allerdings rassistischen Rahmenbedingungen unterlag. Dazwischen gibt es viele Abstufungen. Da ist noch sehr viel Forschung notwendig.
Ist denn Raubkunst unter Ihren Objekten?
Nach heutigem Wissensstand nicht, jedenfalls nichts aus kolonialen Kontexten. Das kann sich natürlich mit weiterer Forschung ändern.
Es könnte ja auch bei dem Kauf kolonialer Objekte Zwang im Spiel gewesen sein, allein aufgrund des Machtgefälles. Ist da etwas bekannt?
Der ganz große Block von Objekten, bei denen wir den Kauf nachvollziehen können, stammt aus Ostasien und China, wo es zwischen Käufern und Verkäufern nicht jenes Machtgefälle wie im kolonialen Versklavungshandel gab.
Gibt es unter Ihren Schlössern – wie viele sind es eigentlich? – solche, die besonders mit der kolonialen Vergangenheit verbunden sind?
Es sind je nach Definition zwischen 20 und 30 Schlösser, und ein Schwerpunkt ist das Schloss Oranienburg. Das liegt daran, dass wir uns dort in unserer Dauerausstellung auf zwei Figuren und eine Epoche der preußischen Geschichte konzentrieren, nämlich die Zeit um 1700, den Kurfürsten Friedrich Wilhelm und Friedrich I., den ersten preußischen König. Das ist genau die Zeit, in der die kolonialen Stützpunkte im heutigen Ghana bestanden haben. Da sind die Spuren sehr dicht. Auch das Neue Palais wäre noch zu nennen, da dieses im späten 19. Jahrhundert von den deutschen Kaisern intensiv genutzt worden ist.
Sie eröffnen im Sommer eine große Ausstellung zu dem Thema im Schloss Charlottenburg und haben Anfang Januar den Gewinner eines Kunstwettbewerbs bekannt gegeben, dessen Arbeit sich auf das Reiterstandbild des Großen Kurfürsten vor dem Schloss bezieht. Was ist die Idee des Wettbewerbs und des Sieger-Entwurfs?
Wenn wir die koloniale Geschichte des preußischen Hofs in Charlottenburg beleuchten, müssen wir uns das Reiterstandbild des Herrschers anschauen, der die frühen kolonialen Stützpunkte gegründet hat und somit am Versklavungshandel beteiligt war. Das Standbild steht an beherrschender Stelle in der Mitte des Ensembles. Wir haben einen Wettbewerb ausgeschrieben, um dieses Denkmal zu kommentieren. Der Gewinner ist Nando Nkrumah aus Köln, ein Künstler, der aus einer deutsch-ghanaischen Familie stammt.
Claudia Roth setzt sich für die Umbenennung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ein, sie stört sich an dem Wort „preußisch“, wünscht sich einen attraktiveren, zukunftsgewandteren Namen. Dieses Wort ist ja auch Bestandteil des Namens Ihrer Stiftung. Was halten Sie von dem Vorstoß?
Auch ein Großteil unserer Gäste weiß entweder nicht, was Preußen ist, oder hat sogar den Begriff noch nie gehört. Das heißt, man hat einen enormen Erklärungsbedarf. Preußen ist ein historisches Kapitel, das immer weiter in die Vergangenheit rückt. Die Antworten, die wir darauf geben müssen, sind aber sicher unterschiedlich. Beim Preußischen Kulturbesitz kann ich sehr gut verstehen, dass darüber diskutiert wird, ob ein neuer Name besser wäre, die Museen dort haben sich weiterentwickelt. Aber wir bewahren ja tatsächlich preußisches Erbe. Bei uns ist das Wort im Namen der Stiftung also sinnvoll.
Auf Wunsch von Christoph Martin Vogtherr wird in der Bezeichnung Schwarze Menschen das Wort Schwarz großgeschrieben, um deutlich zu machen, dass damit keine Hautfarbe beschrieben wird, sondern dies eine Eigenbezeichnung ist.
Interview: Susanne Lenz