„Haben in Brasilien schlechte Zeiten erlebt“

An der Börse ist das Institut derzeit knapp 18,1 Milliarden Dollar (etwa 17,6 Milliarden Euro) wert. Es sei aktuell ein schwieriger Markt, die Bewertungen seien überall erheblich gesunken, räumt David Vélez, Co-Gründer und Vorstandschef der Digitalbank, ein. Aber der Banker sieht auch die positiven Seiten des Wertverfalls der Techwerte.
„Wir haben mehr als drei Milliarden Dollar an Eigenkapital eingesammelt, deshalb sind wir finanziell nun sehr gut aufgestellt“, sagt Vélez im Gespräch mit dem Handelsblatt. Das frische Geld eröffnet der Digitalbank im derzeitigen Marktumfeld neue Möglichkeiten. „Neben unserem Ziel, organisch zu wachsen, schauen wir uns auch nach potenziellen Zukäufen um“, betont der Vorstandschef.
Einige Übernahmeoptionen, die die Bank vor sechs bis acht Monaten gesehen habe, würden nun mit 70 Prozent Rabatt angeboten. „Wir sind davon überzeugt, dass sich einige Chancen für das Unternehmen ergeben werden“, betont der Manager.
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Zinswende, hohe Inflation und die wirtschaftlichen Folgen des Ukrainekriegs drücken auf die Stimmung an den Märkten. Börsengänge finden derzeit praktisch kaum noch statt, Tech-Aktien stehen seit Monaten massiv unter Druck. Wäre die Nubank jetzt nicht bereits an der Börse, würde Vélez sich Sorgen machen. Sorgen darüber, überhaupt Kapital auf dem Markt einsammeln zu können. Es gebe derzeit nicht viele Investoren, die investieren wollten, sagt er.
Das betrifft auch Fintechs, die die Gründung bereits einige Jahre hinter sich haben und sich jetzt in der Spätphase befinden. Nach jüngsten Zahlen der Datenbank Crunchbase haben Investoren im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum etwa 23 Prozent weniger in europäische Start-ups in diesem Wachstumsstadium investiert.
Konkurrenz durch N26
Vélez gründete die Neobank 2013 gemeinsam mit Cristina Junqueira und Edward Wible. Das Unternehmen startete mit einer kostenlosen Kreditkarte. Heute bietet das Institut weitere Bankdienstleistungen per App an wie etwa den Wertpapierhandel. Aktuell hat Nubank nach eigenen Angaben fast 60 Millionen Kunden in ihren drei Märkten Brasilien, Kolumbien und Mexiko.
Damit konnte die Neobank ihre Kundenanzahl innerhalb von 18 Monaten fast verdoppeln, wobei etwa 96 Prozent der Kunden aus Brasilien kommen. Ende 2020 hatte Nubank noch etwa 33 Millionen Kunden.
Profitabel ist das Institut aber nicht. Zwar steht die Neobank in Brasilien nach eigenen Angaben kurz vor der Gewinnschwelle, freie Mittel will Vélez aber in weiteres Wachstum, vor allem in Kolumbien und Mexiko, reinvestieren. So betrug der Nettoverlust im ersten Quartal dieses Jahres 45,1 Millionen Dollar nach 49,4 Millionen Dollar im Vorjahresquartal. Die Einnahmen verdreifachten sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in den ersten drei Monaten auf 877,2 Millionen Dollar.
Im gesamten Jahr 2020 lagen die Erträge bei 737 Millionen Dollar, im vergangenen Jahr waren es bereits insgesamt 1,7 Milliarden Dollar. Der Nettoverlust belief sich 2021 indes auf insgesamt 165 Millionen Dollar, nach 172 Millionen Dollar 2020.
Der Nubank Co-Gründer und CEO blickt gelassen auf mögliche neue Konkurrenz.
„Wir werden uns weiterhin auf diese drei Märkte konzentrieren“, betont Vélez. Denn selbst dort befände sich die Nubank noch im Anfangsstadium. In Brasilien habe das Institut nach eigenen Angaben mit der Kreditkarte, dem am weitesten verbreiteten Produkt des Fintechs, einen Marktanteil von etwa elf Prozent und bei Privatkrediten etwa zwei Prozent.
Künftig bekommt Nubank in ihrem Heimatmarkt allerdings Konkurrenz aus Deutschland. Die Berliner Smartphonebank N26 will in Brasilien durchstarten – nach mehr als drei Jahren Vorbereitung. Denn bereits Anfang 2019 kündigte das Berliner Fintech den Markteintritt als „nächsten logischen Schritt für die Expansionsstrategie“ an.
Nun werden die Pläne offenbar forciert. So will N26 bis Jahresende Hunderte neue Stellen in São Paulo schaffen. Derzeit befinde sich die Smartphonebank in Brasilien in einer erweiterten Testphase, erläuterte eine N26-Sprecherin. Berichten zufolge vollzieht die deutsche Neobank in Südamerika gerade einen Strategiewechsel und startet – wie die Nubank damals auch – mit einer Kreditkarte. In Europa bekamen Bankkunden bislang eine Debitkarte. Die N26-Sprecherin wollte sich dazu nicht äußern.
Vélez blickt gelassen auf die neue Konkurrenz: „Ich wüsste nicht, was ein ausländischer Akteur an Mehrwert anbieten könnte, da er quasi bei null startet“. Schließlich bekämen es die Neulinge nicht nur mit Neobanken wie der Nubank zu tun, die sich seit neun Jahren auf den brasilianischen Markt fokussiere, sondern auch mit zahlreichen klassischen Banken, die über die Jahre Milliarden investiert hätten, um dieses Geschäft für sich zu gewinnen. „Es wird ein schwieriger Markt sein, was den Wettbewerb angeht“, prognostiziert Vélez.
Berlin als Tech-Hub
Umgekehrt hat die Nubank den Weg nach Berlin bereits geschafft – wenn auch nicht im Bankgeschäft. Die Brasilianer hätten nach Vélez’ Einschätzung angesichts der großen und gut positionierten Konkurrenz „keine Chance“, wenn sie in Europa oder Deutschland starten würden.
Allerdings betreibt das lateinamerikanische Fintech in der deutschen Hauptstadt einen Tech-Hub mit derzeit 40 Mitarbeitern. „Viele unserer Mitarbeiter wollten von Brasilien nach Berlin ziehen“, berichtet Vélez. „Und wir haben erkannt, dass es dort viele Talente sowie gute Technologieunternehmen gibt.“ Dennoch wachse das Team in der deutschen Hauptstadt nur „sehr langsam“. Der Vorstandschef begründet das mit der sehr gründlichen Auswahl der Talente.
Trotz des schwierigen Marktumfelds und des drastischen Kursrückgangs der Aktie sieht Vélez Nubank künftig gut aufgestellt: „Wir haben in Brasilien nur schlechte Zeiten erlebt: einen deutlichen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts und die schlimmste Rezession seit 100 Jahren.” Dazu kämen noch politische Skandale, Korruption und die Pandemie. „Hohe Inflation, hohe Zinsen und ein etwas geringeres Wirtschaftswachstum in diesem Jahr sind für mich besser als die letzten acht Jahre, die wir als Unternehmen erlebt haben“, meint Vélez.
Mit Prognosen für das laufende Jahr hält sich Nubank zurück. Was die langfristigen Aussichten angeht, sei die Neobank weiterhin „bullish“, sagte Vélez bei der Präsentation der Quartalszahlen im Mai dieses Jahres. Konkret erwartet das Institut, dass sich die Bruttomarge in den kommenden Monaten deutlich erhöht.
Im ersten Quartal war diese noch auf 34 Prozent gesunken, nach 47 Prozent im Vorjahresquartal. Grund dafür waren vor allem steigende Zinsaufwendungen. Die brasilianische Zentralbank hat den Leitzins im Kampf gegen die Inflation in den vergangenen Monaten massiv angehoben. Die Marge soll sich künftig der Marke von 60 Prozent nähern.
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