Grüne zerfleischen sich wegen Asyl-Kompromiss


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Von: Andreas Schmid

Verteidigt den Asyl-Kompromiss der EU: Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Annalena Baerbock verteidigt den Asyl-Kompromiss der EU – doch innerhalb der Partei gibt es Kritik. © Soeren Stache/dpa

Die EU einigt sich auf eine Asyl-Reform, doch nicht alle Parteien sind glücklich darüber. Merkur.de hat bei Europaabgeordneten nachgefragt.

Luxemburg – Nach jahrelangem Ringen steht der Asylkompromiss der EU. Im Kern strengere Grenzverfahren und mehr Solidarität bei der Verteilung von Flüchtlingen. Ist die Reform nun ein Erfolg? „Selbstverständlich nicht“, sagt Birgit Sippel, innenpolitische Sprecherin der europäischen Sozialdemokraten. CDU-Kollegin Lena Düpont meint: „Wir als EVP-Fraktion sind relativ zufrieden, damit kann man arbeiten.“ Die konservative EVP-Fraktion, der auch die CDU/CSU angehört, hatte jahrelang auf konkrete Rechtsgrundlagen bei der europäischen Migration gedrängt. Dass es zu konkreten Plänen gekommen ist, sei positiv. Doch in der Bewertung dieser Reformen liegen die Parteien teils weit auseinander. Vor allem die Grünen sind gespalten.

Grüne streiten um Asyl-Reform: Kampf zwischen Realos und Fundis

Die Grünen wirken innerparteilich zerstritten. Am Donnerstagabend zeigte sich auf Twitter, wie unterschiedlich bereits die Parteispitze den EU-Kompromiss zum Asylsystem sieht. Um 21.14 Uhr bezeichnete Omid Nouripour die Zustimmung „in der Gesamtschau“ als „notwendigen Schritt, um in Europa gemeinsam voranzugehen.“ Zwei Minuten später schrieb seine Co-Chefin Ricarda Lang: „Deutschland hätte bei dem Vorschlag zur Reform im Rat heute nicht zustimmen dürfen.“ Auch die Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge äußerten sich unterschiedlich. Annalena Baerbock verteidigte den Kurs. In einem Brief an die Fraktion, der unserer Redaktion vorliegt, warb sie für die Einigung der EU-Innenminister – wenngleich ihr der Kompromiss „als Außenministerin, als Grüne und auch persönlich sehr schwergefallen“ sei.

Es ist auch ein Grabenkampf zweier Parteiströme. Nouripour und Haßelmann werden dem Realo-Flügel zugezählt, Lang und Dröge dem linken Fundi-Lager. Knapp 200 grüne Realos forderten die Parteispitze dazu auf, sich stärker für Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber einzusetzen“, berichtet der Tagesspiegel. Anderen Politikern gehen die Regeln hingegen viel zu weit.

Grünen-Kritik an Ampel: „Diese Beschlüsse sind unwürdig und beschämend“

Co-Chef Timon Dzienus geht auf Merkur-Anfrage hart mit der Ampel und seiner eigenen Partei ins Gericht: „Diese Beschlüsse sind einer SPD-geführten und Grün-mitgetragener Regierung unwürdig und beschämend“, meint Dzienus. „Die Ampel-Koalition scheitert an ihren eigenen Ansprüchen. Sie hatte sich vorgenommen, das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden. Jetzt wird es mehr Chaos, mehr Gewalt und mehr Leid geben. Kein einziges Leben von Menschen auf der Flucht wird damit verbessert.“

Dzienus und 730 andere Grünen-Mitglieder hatten schon vor dem Gipfel in einem Brief an die Grünen-Spitze ihr Unbehagen über die „nicht nachvollziehbare deutsche Verhandlungsposition“ kundgetan. Das Schreiben liegt unserer Redaktion vor. Darin wird auch die Lockerung bei der Einstufung sicherer Drittstaaten angeprangert.

Auch der EU-Abgeordnete Erik Marquardt findet deutliche Worte, spricht gegenüber Merkur.de von einem „großen Trauerspiel“. Marquardt sieht die Ja-Stimme Deutschlands nicht vom Koalitionsvertrag, an dem der Migrationsexperte mitgearbeitet hat, gedeckt. Für ihn ist klar: Die Verschärfungen zum Asylrecht wurden durchgeboxt, während Aspekte einer humanitären Migrationspolitik vernachlässigt wurden. Die „Strategie der Rechtspopulisten“ sei aufgegangen. Marquardt kritisiert insbesondere die rigiden Grenzverfahren.

EU-Politiker Erik Marquardt kritisiert die EU vor dem Sondergipfel für ihre Migrationspolitik.
EU-Politiker Erik Marquardt sitzt seit 2019 im Europäischen Parlament. Dort setzt er sich vor allem für eine Verbesserung der Lage an den EU-Außengrenzen ein. Der Migrationspolitiker war mehrmals an Grenzen, etwa in Griechenland, vor Ort. © Philippe Stirnweiss

Asyl-Reform: Streit um sichere Herkunftsländer

Auch die Sozialdemokraten sehen noch Verbesserungsbedarf. Im Gespräch mit unserer Redaktion sieht SPD-Politikerin Sippel Probleme, etwa im Umgang mit Familien und Kindern. „Nach Vorstellung der Mitgliedstaaten im Rat müssen sie in ein Grenzverfahren, das eindeutig mit Haftbedingungen verbunden ist.“

Sippel kritisiert zudem den Umgang des Rats mit Schnellverfahren sowie Rückführungen ins Herkunftsland. „Wer kein Asyl bekommen kann, soll auch wieder zurück in sein Herkunftsland“, sagt die EU-Abgeordnete. Doch problematisch sei die Definition, was ein sicherer Staat ist. „Es gibt hier keine abgestimmte europäische Liste. Das öffnet Tür und Tor, dass einzelne Mitgliedsstaaten Absprachen mit Drittstaaten treffen.“ In etwa: „Ihr nehmt Flüchtlinge zurück, damit wir sie loswerden.“

Düpont meint, die bisherigen Lösungen hätten nicht funktioniert: „Man kann auf der einen Seite sagen: Jeder Mensch, der ankommt, muss per se verteilt werden – und dann wird geprüft, ob er oder sie überhaupt schutzberechtigt ist. Das halte ich für nicht so klug.“ Die CDU-Abgeordnete plädiert stattdessen dafür, die Bereiche Verfahrensdauer und mangelnde Rückführung zu reformieren.

Der EU-Kompromiss ermöglicht erstmals Asylverfahren an Europas Außengrenzen, damit Menschen mit geringen Aufnahmechancen erst gar nicht in die EU kommen. Dafür soll es Asylzentren in Grenznähe geben, von wo aus Migranten direkt abgeschoben werden sollen. „Das geht nur mit in der Kombination mit menschenrechtswürdigen Unterbringungen“, fordert Düpont. Doch es gibt auch Kritik an den Plänen. So verschlimmere sich die Lage an den Außengrenzen, argumentieren etwa die Grünen.

Blockade von Ungarn und Polen: „Sollten sich überlegen, ob sie noch Teil des Ganzen sein wollen“

Die Reformen, die unter der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft ausgearbeitet wurden, sind ein Entgegenkommen in Richtung Mittelmeerstaaten. Griechenland und vor allem Italien sehen sich seit Jahren bei der Aufnahme von Geflüchteten nicht ausreichend unterstützt. Sie nehmen die meisten Menschen auf. Der „Mechanismus der Solidarität“ funktioniere nicht, teilt das italienische Innenministerium schon vor dem Gipfel auf Anfrage mit. Nun will die EU mit einem Migrationsfonds entgegensteuern.

EU-Länder sollen künftig ein Zwangsgeld von 20.000 Euro für jeden Migranten zahlen, den sie nicht aufnehmen. Mit diesem Geld sollen dann Migrationsprojekte finanziert werden. Diese Regelung richtet sich an Polen und vor allem Ungarn, die als einzige Staaten gegen den Kompromiss stimmten. „Wir alle haben aus den unterschiedlichsten Gründen die Geduld mit Ungarn verloren“, bilanziert Düpont. Die EU-Begeisterung in Budapest sei gering. „Aber dann sollen sie vielleicht irgendwann überlegen, ob sie noch Teil des Ganzen sein wollen oder eben nicht.“ Ob Ungarn jemals zahlen wird, ist ungewiss. Ministerpräsident Viktor Orban polterte nach dem Gipfel, die EU wolle Ungarn „gewaltsam in ein Migrantenland verwandeln“.

Ungarn wird wohl versuchen, die Umsetzung der Reformen in die Länge zu ziehen. Bisher hat sich nur der Europäische Rat geeinigt, nun geht es in die Verhandlungen mit dem Parlament. Als „letzte Deadline“ hatte sich die Europäische Union stets die Europawahl 2024 gesetzt. Vor der Wahl im Juni soll das neue Asylpaket stehen. Ob das gelingt, wagen EU-Vertreter dieser Tage nicht zu beschwören. Doch es sei ein Anfang, dass nun endlich konkretes vorliegt.

Immerhin: Beim Thema Migration braucht die EU keine Einheitsmehrheit. Das Paket kann also nach einer möglichen Einigung von Rat und Parlament auch ohne die Stimmen Polens und Ungarn verabschiedet werden. Es müsse dann aber auch umgesetzt werden, sagt Sippel. „Sonst haben alle Verhandlungen überhaupt keinen Wert.“ (as)



Quellenlink https://www.merkur.de/politik/eu-asyl-gipfel-migration-fluechtlinge-kompromiss-europa-gruene-cdu-spd-baerbock-92333153.html