Grüne sollten aus Koalition austreten


Die EU hat einen skandalösen Asyl-Beschluss gefasst. Die Grünen sollten den Tabubruch bekämpfen und notfalls die Koalition verlassen.

Annalena Baerbock und Robert Habeck: Jetzt sind die eigenen Werte gefragt. 

Annalena Baerbock und Robert Habeck: Jetzt sind die eigenen Werte gefragt. dpa

Es ist ein Scheitern mit Ansage: Der am Donnerstag von den EU-Innenministern in letzter Sekunde gefundene Kompromiss bei einer Neuregelung der Migrationspolitik war am Freitag schon wieder Makulatur. Er wurde von der Fraktion „Festung Europa“ ebenso abgelehnt wie von den Verfechtern einer offenen Asyl- und Einwanderungspolitik. Im Kern enthält der Vorschlag zwei Komponenten: Die EU-Länder werden verpflichtet, bestimmte Kontingente an Menschen aufzunehmen. Weigern sie sich, müssten sie Strafgelder nach Brüssel zahlen. Vor der Verteilung sollten die Menschen in Lager an den Außengrenzen gebracht werden, um zu überprüfen, ob sie sich überhaupt qualifizieren. Wer kein Asyl erhält, soll innerhalb kurzer Frist abgeschoben werden.

Bereits im Vorfeld konnte man erkennen, was es mit diesen „Lagern“ auf sich hat. Die bosnische Regierung hatte das Aus für einen geplanten „Internierungstrakt“ im Flüchtlingslager Lipa bei Bihać verkündet. Die Begründung der Bosnier hatte es in sich: Es sei „schockierend“, dass die Europäische Union einerseits auf Transparenz und Rechtsstaatlichkeit achte, andererseits aber die geheime Finanzierung und Errichtung einer solchen Internierungseinheit in Bosnien-Herzegowina erlaube, sagte Kantonspräsident Mustafa Ružnic dem Onlineportal Klix.ba. Die umstrittene Containeranlage war von der in Wien ansässigen, umstrittenen „Migrationsorganisation“ IMCPD im Auftrag der EU-Kommission errichtet worden. Die Brüsseler Behörde finanzierte den etwa eine halbe Million Euro teuren Bau. Bosnien ist vor allem verärgert, weil in dem Nicht-EU-Land auch jene Flüchtlinge ankommen, die über illegale sogenannte „push backs“ aus Kroatien zurückgeschickt werden. Kroatien dränge die Menschen oft mit Gewalt zurück, ohne die Asylanträge oder den Schutzbedarf der Betroffenen zu prüfen, so Human Rights Watch in einem kürzlich veröffentlichten Bericht. Auch aus dem Mittelmeer gibt es immer wieder Berichte von gewaltsamen Ausweisungen, oft mit Todesfolge.

In den vergangenen Jahren hat sich der Wind in der Migrationsfrage gedreht: Der auf Ressentiments beruhende Populismus aus den rechtsextremen und ausländerfeindlichen Ecken ist in vielen Ländern auch im Mainstream salonfähig geworden. In Deutschland ist die AfD zu neuen Höchstwerte in den Umfragen gelangt. Der Erfolg fällt der AfD in den Schoß, weil vor allem ein gigantisches Versagen der Grünen sichtbar wird. Zunächst haben die Grünen die Sorgen der Leute nicht ernst genommen. Danach wurden Kritiker pauschal diffamiert. Lösungen hatten die Grünen keine. Doch die Zeit des „rosarot gemalten Himmels“ (Robert Habeck) ist mit dem Regierungseintritt zu Ende gegangen: Die Partei hat, kaum an der Macht, alle ihren Prinzipien im Hinblick auf Friedenspolitik und Partizipation über Bord geworfen. Das war für viele Mitglieder bereits eine schwere Enttäuschung.

Dass nun aber ausgerechnet unter einer grünen Regierung auch in der Asylfrage eine unmenschliche Abschottungspolitik droht, könnte die Partei in ihrem Mark erschüttern. Deutschland hätte dem Kompromiss in Luxemburg nicht zustimmen dürfen, kritisierte Parteichefin Ricarda Lang denn auch am Freitag. Die Migrationsexpertin der Grünen-Bundestagsfraktion, Filiz Polat, spricht von einem „Beispiel für das Einknicken vor rechten Narrativen auf Kosten der Menschenrechte“. Die aktuell die Partei anführenden Politiker Anton Hofreiter, Robert Habeck und Annalena Baerbock verloren sich in wehleidigen Phrasen, sprachen von einer „bitteren“ und „schmerzhaften“ Entscheidung, die zu treffen niemandem leicht gefallen sei. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach dagegen Klartext: Die Beschlüsse seien „ein menschenrechtlicher Tabubruch“, erklärte Amnesty-Deutschland-Generalsekretär Markus Beeko.

Für die Grünen steht eine Zeitenwende an: Sie sollten sich zurückziehen und darüber nachdenken, welche Werte ihnen wirklich heilig sind. Ihre Popularität haben sie der Friedensbewegung und den Anhängern einer offenen Gesellschaft zu verdanken. Beide Gruppen haben die Grünen unablässig vor den Kopf gestoßen. In der Asyl-Frage müssen die Grünen nun „hardball“ spielen. Geht die jetzt angedachte Lösung mit den „Lagern“ durch, käme das der Selbstabschaffung der Grünen gleich. Es wäre für die Partei besser, in diesem Fall die Regierung unter lautem Protest, aber erhobenen Hauptes zu verlassen.



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