Für wen sich Riestern weiterhin lohnen kann



Frankfurt In diesen Tagen müssen sich Riester-Sparer auf ernüchternde Zahlen gefasst machen. Denn die Anbieter der mehr als drei Millionen geförderten Altersvorsorgeverträge mit Fonds verschicken ihre jährlichen Mitteilungen über deren Entwicklung. In ihnen wird sich das vergangene schwache Jahr an den Aktien- und Anleihemärkten spiegeln.

Die eingefahrenen Verluste legen ein Problem in der Konstruktion der Förderrente offen: Wegen der Kapitalgarantie zum Beginn der Auszahlphase müssen die Fonds einen großen Anteil an Anleihen halten, um einen Puffer mit stabilen Erträgen aufzubauen. Erst dann können Anbieter auf renditeträchtigere Aktien setzen, die aber auch höhere Verlustrisiken bergen.

Viele Deutsche, die mit einem Riester-Vertrag vorsorgen, rechnen nun wegen der schlechten Bilanz für 2022 mit einem geringeren Alterseinkommen. Doch Honorarberater, Verbraucherschützer und Wissenschaftler raten ihnen meistens davon ab, entnervt ihre Riester-Renten zu kündigen. Die Verluste könnten noch ausgeglichen werden. Mittelfristig hofft die Branche auf eine grundlegende Reform der Riester-Rente durch die Politik.

„Mit den Verlusten am Aktien- und Rentenmarkt haben zwangsläufig auch alle Riester-Renten an Wert verloren“, heißt es etwas schmallippig beim genossenschaftlichen Fondshaus Union Investment.

Der Marktführer für Fonds-Riester hat 1,8 Millionen Verträge im Bestand. Auch die Deutsche-Bank-Fondstochter DWS bereitet ihre Vermittler in einer Mitteilung darauf vor, dass „die Mehrzahl der DWS-Riester-Verträge im abgelaufenen Jahr eine eher negative Wertentwicklung aufweist“. Über die DWS haben 600.000 Deutsche einen Riester-Vertrag abgeschlossen.

Am meisten gelitten haben Verträge mit einem hohen Anteil von Fonds mit lang laufenden Anleihen: Sie verzeichneten ein Minus von fast 50 Prozent. „Das trifft Verträge, die in den vergangenen Jahren abgeschlossen wurden“, erklärt Frank Breiting, Leiter Altersvorsorge bei der DWS.

In der Phase negativer Zinsen bis Anfang 2022 hätten die Anbieter keine Aktienquote aufbauen können. Daher wurden bei jüngeren Verträgen auch in guten Aktienjahren zuvor kaum Renditen erzielt und die massiven Kursverluste schlugen 2022 voll durch.

Schlechte Jahresbilanz ist eine Momentaufnahme

Die bescheidene Jahresbilanz ist allerdings zunächst nichts als eine Momentaufnahme. Die Riester-Verträge laufen über Jahrzehnte und können Verlustjahre wieder aufholen.

Neue Beiträge werden nun je nach Alter des Einzahlenden und Laufzeit des Vertrags wieder stärker in Aktien investiert. Denn die jetzt wieder zu erzielenden Anleihezinsen bilden den beschriebenen Puffer für mögliche Kursverluste. So wird die verlangte Kapitalgarantie erreicht und es bleibt mehr Spielraum für Aktienkäufe.

Fast alle Kunden mit längeren Restlaufzeiten hätten eine deutlich bessere Chance zur langfristigen Aktienpartizipation als vor einem Jahr, heißt es bei der Union. Schon 2022 haben die Anbieter die Aktienanteile in den Fonds-Riester-Verträgen wieder hochgefahren: Ende 2022 hatte die Hälfte der Union-Depots einen Aktienanteil von 65 Prozent, ein Jahr zuvor waren es lediglich 50 Prozent.

Mit Kündigung des Riester-Vertrags verlieren Verbraucher ihre bisherigen Zulagen und Steuervorteile. Marlene Haupt, Professorin für Sozialwirtschaft und Sozialpolitik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten

Auch die DWS berichtet, dass sie den Aktienanteil in ihren Riester-Verträgen 2022 teilweise stark hochgefahren hat. Die Quote beträgt demnach nun zwischen elf und 75 Prozent, ein Plus von gut 30 bis 176 Prozent.

Menschen kurz vor Rentenbeginn trifft der Einbruch jedoch stärker als diejenigen am Anfang der Einzahlphase. Diese Verträge sollten allerdings zuvor schon einen Puffer aufgebaut haben und wegen der bevorstehenden Auszahlungsphase eher Anleihen mit kürzerer Restlaufzeit enthalten, sagt Stefan Schießer von der Frankfurter Honorarberatung. Diese hätten weniger stark verloren.

In keinem Fall aber gehen Riester-Rentner mit einem Verlust in die Auszahlphase. Im schlechtesten Fall greift die Kapitalgarantie. Eingezahlte Beiträge und die staatlichen Zulagen erhält der Sparer sicher zurück.

Das gilt auch für die größte Gruppe der Riester-Renten, die insgesamt gut zehn Millionen geförderten Versicherungen. Auch hier können die Anbieter wegen der Kapitalgarantie nicht risikostärker und damit auch nicht renditeträchtiger investieren.

Für die Lebensversicherer selbst ist der Zinsanstieg zwiespältig: Da sie die Kundengelder jahrelang vor allem in gering verzinste Staatsanleihen investierten, stecken in ihrer Bilanz nun stille Lasten.

Die Bonds haben durch den Zinsanstieg an Wert verloren. Solange die Firmen die Papiere bis zur Endfälligkeit halten, ist das nicht problematisch. Nur wenn sie sie vorab veräußern, schlagen die Verluste zu Buche.

In der Neuanlage profitieren die Lebensversicherer sogar schrittweise von den steigenden Zinsen. Inhabern klassischer Riester-Policen mit Garantiezins, die vor allem in den Anfangsjahren angeboten wurden, kommt das nach und nach zugute. Die laufende Verzinsung, die sich aus Garantiezins und laufender Überschussbeteiligung zusammensetzt und die die Versicherten jährlich gutgeschrieben bekommen, stieg bei manchen Lebensversicherern zuletzt wieder leicht an.

Bei Riester-Versicherungen, die auch in Fonds investieren, kann das Fondskapital zeitweilig unter die eingezahlten Beiträge sinken. Aber bei diesen sogenannten fondsgebundenen Policen ist oft nur ein kleiner Teil außerhalb des klassisch verzinsten Sicherungsvermögens in Fonds angelegt. Das stabilisiert das Vermögen, begrenzt aber die Renditechancen.

800

Euro

erhält jemand mit der Steuererklärung zurück, der mit Steuerklasse I jährlich den Höchstbetrag von 2100 Euro in die Riester-Rente einzahlt.

Dies gehört zu den grundsätzlichen Kritikpunkten an der Riester-Rente. Nicht nur gilt das Konzept als zu kompliziert und zu starr. Vor allem Versicherungen werden als zu teuer und zu renditeschwach kritisiert, weil relativ wenig Kapital in Anlagen mit Renditechancen fließt.

Wegen der Kapitalgarantie galt dies in der Phase niedriger Zinsen eben auch für die eigentlich aussichtsreicheren Fondsverträge. Viele Riester-Sparer stellen daher vor allem auf die recht üppigen Zulagen oder den Steuervorteil ab.

Vertragskündigung sollte letzte Option sein

Trotz des frustrierenden Börsenjahrs warnen Experten Sparer vor Kurzschlussreaktionen: Einen Riester-Vertrag zu kündigen sollte die letzte Option sein. Verbraucher würden ihre bisherigen Zulagen und Steuervorteile verlieren, gibt Marlene Haupt zu bedenken, Professorin für Sozialwirtschaft und Sozialpolitik an der Hochschule Ravensburg-Weingarten.

Auch bereits gezahlte Abschluss- und Vertriebskosten erhielten sie nicht zurück. Besser sei es, einen Vertrag stillzulegen, also ihn nicht weiter zu besparen.

Das sieht auch Honorarberater Schießer so: Für den Großteil der Sparer rechne sich ein Riester-Vertrag schon wegen der Steuerersparnis. Wer mit Steuerklasse I jährlich den Höchstbetrag von 2100 Euro einzahle, erhalte mit der Steuererklärung rund 800 Euro zurück. Auch Familien mit drei oder vier Kindern erhielten Zulagen im vierstelligen Bereich.

Eine renditeträchtigere Altersvorsorge als ein Riester-Vertrag biete dennoch ein Depot aus Aktien und ETFs, ergänzt er. Ein Mix aus verschiedenen Anlagen sei daher das sinnvollste.

Was zu tun sein, komme auf den individuellen Vertrag und den Typ Sparer an, meint Niels Nauhauser, Abteilungsleiter Finanzen bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Risikofreudige Anleger mit längerem Anlagehorizont könnten ihre Verträge auflösen und das Geld in ETFs anlegen, sagt er.

Die Bundesregierung will über weitere Schritte zur Reform der privaten Altersvorsorge beraten. Bundesfinanzministerium

Sicherheitsorientierten Anlegern, die hohe Zulagen bekommen, rät er hingegen, weiter zu sparen. Für andere könnte es lohnen, die Sparbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen.

Neue Riester-Verträge bekommt man indes längst nicht mehr bei allen Anbietern. Zurückgezogen haben sich die LVM und die Stuttgarter Versicherung sowie DWS und Deka. Infolge niedriger Zinsen verhindere die Kapitalgarantie sinnvolles Anlegen, monieren sie.

Dem Branchenverband GDV zufolge ist das ein Grund dafür, dass das Neugeschäft an Riester-Versicherungen im Jahr 2022 um 60 Prozent einbrach. Über alle Produktgruppen hinweg gab es laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales Ende des dritten Quartals 2022 noch 16 Millionen Riester-Verträge – damit verfehlt die Förderrente ihr Ziel einer flächendeckenden privaten Altersvorsorge.

Reform der Riester-Rente stockt

Seit Jahren steht eine Reform der privaten Altersvorsorge in den Koalitionsverträgen der wechselnden Bundesregierungen. Nun prüft eine beim Bundesfinanzministerium aufgehängte Fokusgruppe mit Vertretern der Produktanbieter, Verbraucherschützern und Wissenschaftlern bis zum Sommer Optionen: eine entschlackte Riester-Rente, etwa mit geringerer Kapitalgarantie, Alternativen für gefördertes privates Sparen mit höheren Renditechancen oder einen öffentlich gesteuerten, kostengünstigen Fonds.

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Professorin Haupt, die Mitglied der Fokusgruppe ist, spricht sich für letztere Option aus: „Ein öffentlich verantworteter Fonds für die private Altersvorsorge, ähnlich wie ihn die Schweden als Teil der gesetzlichen Rente haben, würde es vor allem auch Geringverdienern ermöglichen, flexibel fürs Alter zu sparen, ohne sich darüber viele Gedanken machen zu müssen.“

Auf Basis der Ergebnisse der Fokusgruppe will die Bundesregierung dann „weitere Schritte zur Reform der privaten Altersvorsorge beraten“, heißt es im Bundesfinanzministerium. Das klingt nach einer weiteren Geduldsprobe für Riester-Sparer.

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