Finnland wählt – und Sanna Marin muss bangen


Die 37-jährige Ministerpräsidentin von Finnland holt kurz vor der Wahl auf. Doch ihre Mitte-Links-Koalition steht am Sonntag vor einer Wahlschlappe. Konservative Kräfte sind auf dem Vormarsch.
Sanna Marin kann sich eigentlich nicht über mangelnde Hilfe für ihre Wiederwahl als Finnlands Regierungschefin beklagen. Eine Woche vor den Reichstagswahlen an diesem Sonntag hatte der „World Happiness Report“ den 5,5 Millionen Menschen hoch im Norden wieder attestiert, sie seien das „glücklichste Volk der Welt“. Und nach Ungarn war am Donnerstag auch die Zustimmung der Türkei als letztes der 30 Nato-Mitglieder zur Aufnahme Finnlands in die Militärallianz erwartet worden. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe lag noch kein Ergebnis vor. Nachbar Schweden muss derweil weiter warten. Anfang März hatte bereits der heimische Reichstag der 37 Jahre jungen Marin den von ihr betriebenen Nato-Beitritt mit dem Ergebnis 184 gegen sieben Stimmen abgesegnet – rechtzeitig zum Wahlkampfauftakt.
In der Bevölkerung ist dieser Schritt zudem als Reaktion auf den Angriffskrieg gegen die Ukraine ebenfalls breit verankert. 1340 Kilometer eigene Landgrenze mit dem Aggressor Russland wiegen schwer.
Wahl in Finnland: Konservative Kräfte auf dem Vormarsch
Doch trotz auch persönlich hoher Zustimmungswerte muss Marin aber beim Wahlgang am Sonntag die Ablösung durch den konservativen Herausforderer Petteri Orpo (53) fürchten. Dessen Sammlungspartei liegt in den Umfragen konstant vorne, und auch die nationalistische Rechtsaußenpartei „Wahre Finnen“ (WF) mit der 45-jährigen Riikka Purra an der Spitze könnte sich noch vor Marins Sozialdemokraten schieben. Alle drei Parteien liegen mit je knapp 20 Prozent eng beieinander, wobei Marin im Endspurt zulegt.
Die TV-Debatten lassen beim besten Willen nicht den Eindruck aufkommen, dass die beiden Spitzenkandidatinnen und der Konservative sich an ein irgendwie überdurchschnittlich glückliches Wahlvolk wenden. Umgekehrt spielt der unmittelbar bevorstehende Beitritt zur Nato und die daraus folgende Konfrontation mit dem übermächtigen Nachbarn im Osten im Wahlkampf auch keine Rolle.
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Finnland wählt: Der Konservative Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren
Stattdessen wird äußerst zivilisiert gestritten über Topthemen von doch weniger existenzieller Bedeutung: Sollen Klassenobergrenzen in Finnlands Grundschulen eingeführt werden? Wie kräftig und wo muss der Staat sparen, um das durch Corona und gestiegene Rüstungsausgaben vergrößerte Haushaltsdefizit einzudämmen? Wie ist dem drastisch steigenden Mangel an Arbeitskraft beizukommen?
Meinungsunterschiede sind im politischen Spektrum von den „Wahren Finnen“ ganz rechts bis zur derzeit mitregierenden Linkspartei oft nur schwer auszumachen. Dazu passt, dass praktisch alle Parteien traditionell zur Zusammenarbeit miteinander bereit sind. Entscheidend ist erst mal, wer bei der Stimmenauszählung die Nase vorn und damit Anspruch auf das Spitzenamt in der Regierung hat.
Der Konservative und glühende EU-Anhänger Orpo könnte mit den „Wahren Finnen“ koalieren. Mit kleineren Parteien im Bunde hätte dies eine Rechtsregierung zur Folge als Ablösung für Marins Mitte-Links-Koalition. Aber auch eine Zusammenarbeit der Sozialdemokratie mit Orpos Sammlungspartei gilt als nicht unwahrscheinlicher Wahlausgang.