EU verstärkt Druck auf Twitter: “Der Vogel fliegt nach unseren Regeln”


Stand: 29.11.2022 00:44 Uhr

Schon kurz nach seiner Twitter-Übernahme hatte die EU Elon Musk gewarnt: Für große digitale Plattformen gebe es in Europa Regeln. Mit zunehmendem Chaos bei Twitter werden die EU-Warnungen deutlicher.

Von Alexander Göbel, ARD-Studio Brüssel

Schon im April war Binnenmarktkommissar Thierry Breton zu Besuch bei Elon Musk in Austin, Texas. Musk, der reichste Mann der Welt, spielte da schon laut mit dem Gedanken, Twitter zu kaufen – und Breton wollte für diesen Fall etwas klarstellen: Die EU habe Leitplanken für digitale Plattformen. “Ok, toll, habe verstanden, stimme allem zu”, so Musk in einem von Breton auf Twitter veröffentlichten Video.

Alexander Göbel
ARD-Studio Brüssel

Monate später, unmittelbar nach Musks Twitter-Übernahme, teilte der EU-Kommissar dieses Video noch einmal. Ein Wink mit dem digitalen Zaunpfahl – offenbar unter dem Eindruck, Musk habe wohl doch nicht verstanden.

Als Musk nach seinem Deal verkündete, der Vogel sei befreit – in Anspielung auf das Markenzeichen des Kurznachrichtendienstes – antwortete Breton für die Europäische Kommission unmissverständlich: “Der Vogel fliegt nach unseren Regeln.” Und diese Regeln, so Breton, gälten für alle Plattformen, die auf dem europäischen Kontinent tätig sein wollten.

Neues Gesetz soll Plattformen regulieren

Die Rede ist vom neuen Digital Services Act, kurz DSA. Danach müssen soziale Netzwerke und Plattformen wie Twitter illegale Inhalte konsequent löschen und auch genug Mitarbeitende haben, die sich um diese zentrale Aufgabe kümmern.

Außerdem müssen solche Tech-Unternehmen Auskunft darüber geben, wie und warum sie Inhalte sortieren, also auch darüber, wie etwa die Verbreitung von Falschnachrichten und Hassrede unterbunden wird.

Für den SPD-Europaabgeordneten Tiemo Wölken ist der DSA nicht weniger als Europas digitales Grundgesetz. Und daran müsse sich auch Twitter-Eigentümer Elon Musk halten: “Es gibt im DSA mehrere Durchsetzungsmechanismen. Sollte Musk sich querstellen, drohen empfindliche Bußgelder von bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes bei Twitter, und bei völliger Verweigerung könnte Twitter sogar geblockt werden.”

Twitter als “Spielball eines verantwortungslosen Milliardärs”

Die Drohung mit Milliardenstrafen müsse so deutlich sein, sagt Tiemo Wölken, denn die Twitter-Übernahme durch Musk verlaufe nicht nur chaotisch, sondern sei auch ein Risiko für die kritische digitale Infrastruktur weltweit. Besonders scharf kritisiert der Europaabgeordnete Musks populistisches Verständnis von Meinungs- und Redefreiheit – dahinter verstecke sich schlicht das Recht des Stärkeren: Musk schaffe eine Welt des verbalen Faustrechts.

“Und das ist gerade für marginalisierte Gruppen, die Hass und Hetze besonders ausgesetzt sind, sehr gefährlich. Für mich hat das wenig mit Meinungsfreiheit zu tun”, sagt Wölken. Twitter sei zum Spielball eines verantwortungslosen Milliardärs geworden. Als Beispiel nennt Wölken die so genannte “Generalamnestie”, die Entsperrung umstrittener Twitter-Accounts etwa von Donald Trump.

Brüsseler Büro aufgelöst

Ein Problem mit Hass und Hetze gibt es bei Twitter schon länger. Aber Studien zufolge ist der Gebrauch etwa des rassistischen N-Wortes auf Twitter nach Musks Übernahme um 500 Prozent angestiegen. Für EU-Kommissionsvize Vera Jourova ist auch klar, warum: Musk habe offenbar alle Leute gefeuert, die für die Kontrolle der Inhalte zuständig waren.

Dass Twitter nun auch noch sein Büro in Brüssel aufgelöst hat, ist für die EU-Kommission ein weiterer Grund zur Sorge. Denn dieser Sitz galt als wichtiger Knotenpunkt für die Einhaltung europäischer Vorschriften.

DSA gilt noch nicht vollständig

Twitter unter Musk wird zum Testfall für die Wirksamkeit der neuen EU-Gesetzgebung und zwar mehr als der EU lieb ist. Der Digital Services Act sei ein scharfes Schwert, daran hat Tiemo Wölken keinen Zweifel – allerdings gebe es einen Haken: “Der DSA ist erst am 16. November in Kraft getreten, vollständig anwendbar sein wird das Gesetz aber erst nach einer Übergangsfrist im Februar 2024. Für sehr große Plattformen wie Twitter könnte das Gesetz schon früher angewendet werden – das muss die Kommission allerdings noch entscheiden.”

Bis dahin dürften die Warnungen an Elon Musk noch deutlicher, der Druck auf die EU-Kommission größer und die Diskussionen darüber lauter werden, ob die EU-Institutionen weiter auf Twitter unterwegs sein wollen, wie bisher – oder ob sie auf eine andere Plattform umziehen.

Zum Beispiel auf Mastodon. Sozialdemokrat Wölken jedenfalls würde “aus den Ruinen von Elon Musks Twitter” gerne etwas Neues, etwas Europäisches wachsen sehen: “Wir brauchen tatsächlich eine globale, mindestens europäische Initiative, die einen Open Source-Ansatz wie Mastodon unterstützt und fördert, und so eine Web-Infrastruktur frei vom schädlichen Einfluss von Multi-Milliardären schafft.”



Quellenlink https://www.tagesschau.de/ausland/europa/twitter-musk-eu-101.html