„Es ist ja immer noch mein kleines Buch über Marzahn“

Katja Oskamp ist für ihr jüngstes Buch „Marzahn, mon amour“ mit dem Dublin Literary Award ausgezeichnet worden – und das, nachdem sie ihre schriftstellerische Karriere schon abgeschlossen geglaubt hatte und Fußpflegerin geworden war. Die lukrative Dotation von insgesamt 100.000 Euro macht die Sache perfekt. Sie hat lange Jahre für die Berliner Zeitung Theaterkritiken und Kolumnen mit Beobachtungen aus dem alltäglichen Terror des Ehelebens geschrieben und ist mit dem Interviewer befreundet. Wir erreichen Oskamp, die nach ihrer Dublin-Reise wieder zu Hause in Berlin ist, beim Wäscheaufhängen.
Katja Oskamp, viele haben noch nie etwas von dem Dublin Literary Award gehört.
Ich bis vor kurzem auch noch nicht. Aber dann gleich dreimal kurz hintereinander. Einmal, als ich davon erfuhr, dass die englische Übersetzung von meinem „Marzahn“-Buch auf der Longlist gelandet ist, dann, als es auf die Shortlist kam. Und dann im April, als ich erfuhr, dass wir gewonnen haben. Der Preis wurde bis jetzt nur von einer anderen deutschsprachigen Autorin gewonnen, nämlich 1998 von Herta Müller.
Karriere mit Lücke
Nach langer Pause und Umschulung zur Fußpflegerin erschien 2019 bei Hanser Berlin „Marzahn, mon amour. Geschichten einer Fußpflegerin“.
Der späteren Literaturnobelpreisträgerin. Wir werden dann darauf zurückkommen. In welcher Situation haben Sie von dem Preis erfahren?
Ich war mit meinem Freund am Potsdamer Platz essen und bin auf die Toilette gegangen. Bei der Gelegenheit habe ich mein Handy aufgemacht und E-Mails gecheckt, und da war eine E-Mail von Jo Heinrich, das ist die englische Übersetzerin, der ich das alles zu verdanken habe. Sie hat noch nie ein Buch ins Englische übersetzt. Sie hat es einfach gewollt. Hat sich einen Verlag gesucht, quasi am Betrieb und dem routinierten Rechteverkaufsprozedere vorbei das Buch übersetzt und sich dafür eingesetzt. Insofern ist es toll, dass sie als Übersetzerin 25.000 Euro Preisgeld bekommt.
Und Sie bekommen 75.000 Euro.
Ich habe schon gejubelt, als ich auf der Shortlist war, was eigentlich nur ein Versehen sein konnte. Und dann habe ich da eben noch einmal gejubelt da auf dem Klo. Das war unprofessionell, weil da auch stand, dass ich alles streng geheim halten sollte. Konnte ich aber nicht ganz. Ich habe alles meinem Freund erzählt und dann an diesem Abend noch für 100 Euro Obstler getrunken. Mit Trinkgeld. Was gar nicht so viel ist am Potsdamer Platz, aber genug, um nicht mehr genau zu wissen, wie der Tag endete.
Warum dachten Sie, dass es ein Versehen ist?
Ja, warum eigentlich? Ich hatte so viel, so unfassbar viel Glück mit dem Buch, seit es vor vier Jahren erschienen ist. Glück, Aufmerksamkeit, Bestätigung, Lob. So viel, dass es auch ohne diesen Dubliner Preis mehr als genügt hätte. Und natürlich bin ich erst einmal skeptisch, wie so viele aus dem Osten. Und dass man in so einem internationalen Zusammenhang vorkommt, wo doch viele von uns schon im nationalen Zusammenhang eher ignoriert werden. Und dass es in der englischen Übersetzung auch dermaßen zündet, ist schon sehr ungewöhnlich. Und auch ein schöner Triumph. Denn es ist ja immer noch mein kleines Buch über meine Fußpflegekunden und die Marzahner Lebensläufe. Wo kommen solche Protagonisten und solche Themen sonst vor?
Was können die Engländer und Iren mit dem Buch anfangen? Wissen die, was Marzahn ist?
Jetzt schon. Ich bin eine Art Botschafterin geworden. Es gibt auch in anderen Ländern Marzahns. Und eigentlich steht einer Identifikation vor allem deshalb nichts im Wege, weil fast jeder Mensch Füße hat. Das wäre eine Erklärung.
Ja, aber das Buch erzählt ja eben nicht nur von Nägeln, Hornhaut und Hühneraugen, und auch nicht nur von der Kundschaft, sondern auch die Geschichte einer existenziellen und künstlerischen Krise einer Schriftstellerin.
Das ist mein Leben gewesen. Ich habe auf Fußpflege umgeschult und diese Arbeit gemacht. Das war mein Alltag, und ich habe nebenbei diese Geschichten über die Kunden aufgeschrieben. Für mich war es sehr organisch. Ich kann als Fußpflegerin mein Geld verdienen, das war gut zu wissen, aber ich kann nicht meine Beobachtungswut abstellen.
Hatten Sie denn wirklich mit ihrer literarischen Karriere abgeschlossen?
Ich habe versucht, mich darauf einzustellen, dass ich vielleicht mal ein Buch rezensiere, hier und da eine Kolumne in der Zeitung unterbringe. Aber dass ich in dem Literaturbetrieb noch einmal eine Rolle spielen und Bücher veröffentlichen würde, hatte ich mir, so schwer das zu verstehen war, abgeschminkt. Das war mein innerer Vorgang. Das war nicht leicht. Und mit dieser Lossagung habe ich versucht, eine innere Freiheit zu erlangen. Ich wollte nicht mehr abhängig sein von der Gunst der Stunde und der Laune des Literaturbetriebs. Und das hat offenbar geklappt.
Die andere Seite dieser Geschichte ist, dass man sie schwer fortsetzen kann …
Das ist mir klar, deshalb versuche ich es auch gar nicht erst. Dass ich jetzt so viel Geld habe, hilft mir gegen die Versuchung. Ich wurde von allen Seiten gedrängt, einen zweiten Teil zu schreiben. „Los, mach, die Kasse klingelt, schieb schnell ein paar Geschichten nach, du hast doch ein paar Kunden mehr gehabt.“ Das war verlockend, weil ich wirklich 90 Kunden hatte, mit denen ich mich auch gern schreibend beschäftigt hätte. Ich habe mich aber trotzdem dagegen entschieden, weil die Leute, die dich so anstacheln: „Los schreib Teil 2!“, sind ja dieselben, die hinterher sagen: „Na ja, Teil 1 war aber besser“. Ich hatte Angst vor dem zweiten, etwas dünneren Aufguss.
Und nun?
Nun schreibe ich an meinem nächsten Buch, das aber ein ganz anderes ist. Es wird zwar wieder um mich gehen und auch in Marzahn spielen, weil ich mich als Schriftstellerin nun einmal bei meinem Leben bediene, aber auf andere Weise. Ich hoffe, dass ich nächstes Jahr damit fertig werde. Man kommt ja zu nichts, wenn man so viele Preise abholen muss.
Wie war es denn in Dublin?
Großartig, da lebt die Literatur. In jedem Pub hängen Fotos von Schriftstellern mit großen klingenden Namen, Joyce, Beckett und so weiter. Aber sie hängen da wie Bilder von Stammtischbrüdern. Alle können was von denen zitieren. Die Literatur ist da keine Hochkultur, sondern sie gehört allen. Das passt auch gut zu diesem basisdemokratischen Preis, der tatsächlich von den Lesern, nicht vom Betrieb und nicht vom Buchhandel ausgeht. Die Bücher werden von Bibliotheken in aller Welt nominiert, daraus setzt sich die Longlist zusammen. Dann siebt eine Jury, die jedes Jahr wechselt, den Gewinner aus. Wie gesagt, die Dubliner leben mit ihren Dichtern. Der Whiskey, den sie da verkaufen und den ich natürlich auch getrunken habe, heißt, Writer’s Tears. Das sagt doch eigentlich alles.