EM-Finale der Frauen: Leistung erstklassig, Bezahlung drittklassig

Nichts scheint solch eine harte Währung zu sein für die deutschen Fußballerinnen wie Abrufzahlen bei Instagram oder TikTok. Da wird schon mal gerne untereinander verglichen, wer was bei dieser Frauen-EM bewirken konnte. Laura Freigang, 24, die vor dem Finale zwischen England und Deutschland – Sonntag 18 Uhr in der ARD – am seltensten eingesetzte deutsche Feldspielerin, aber trotzdem durch ihre offene Art öffentlich sehr präsent, hat mal verraten, wie wichtig die sozialen Medien geworden sind. „Wir kämpfen ja um Anerkennung und mehr Aufmerksamkeit. Mit diesen Clips kann ich ganz viele Leute auf einer lockeren Ebene abholen“, sagte die Stürmerin von Eintracht Frankfurt. Sie erstellte ulkige Videos, die plötzlich vier, fünf Millionen Abrufe hatten. „Damit erreiche ich junge Menschen, die Frauenfußball vielleicht gar nicht auf dem Schirm haben.“
Am Anfang des Turniers erschien Freigang gemeinsam mit Giulia Gwinn, 23, auf einer Pressekonferenz im Medienhotel am Grand-Union-Kanal im Londoner Stadtteil Brentford. Die Stimmung war bestens, bevor die Siegesserie gegen Dänemark (4:0), Spanien (2:0), Finnland (3:0), Österreich (2:0) und Frankreich (2:1) überhaupt begonnen hatte, als sich die für den FC Bayern spielende Gwinn neben Freigang aufs Podium setzte. Auch die Rechtsverteidigerin kann sich sehr gewinnbringend verkaufen. Kapitänin Alexandra Popp hat sie bei der WM 2019 mal „die Hübscheste“ genannt. Gwinn wehrt sich nicht gegen solche Attribute, will aber nicht auf ihr Aussehen reduziert werden. Ihre Popularität steigt gerade rasant, die Follower-Zahl bei Instagram liegt bereits bei 366.000. Zum Vergleich: Der Kanal der DFB-Frauen steht bei 243.000. Gwinn ist der Socia-Media-Star des Nationalteams, auch wenn sie stets beteuert: „Es bleibt für mich eine Nebensache, mit der ich aber einiges bewegen kann.“ Dass daraus mehr als ein netter Nebenverdienst resultiert, negiert sie nicht. Sie ist schon jetzt nicht mehr das kleine Mädchen vom Bodensee, aber vielleicht in der Werbung bald noch eine viele größere Nummer.
Beraten wird sie von Felix Seidel, der das Gegenteil eines Aufschneiders ist. Der Inhaber der Agentur SEI SPORT managt 40 Profifußballerinnen, 13 von ihnen standen im EM-Viertelfinale, auch die Nationalspielerin und Gwinns Klubkollegin Sydney Lohmann gehört zu seinen Klienten. Seine Akteure, schreibt Seidel auf seiner Homepage, sollen ohne Größenwahn bekannt werden. Natürlich war auch Seidel in England, ihn hat das Turnier gefesselt: „Taktik, Technik, Tempo – die Spielqualität ist so hoch wie nie. Dass sich der Frauenfußball in den vergangenen Jahren stetig weiterentwickelt hat, wird nun auf großer Bühne sichtbar.“ Ihm imponiert stets, wie dankbar die Spielerinnen für jede Form von Unterstützung sind; und dass sie alle schon einen Plan für die Karriere danach im Kopf haben. Freigang (Sportwissenschaften) und Gwinn (Sportmanagement) zählen zu den 15 EM-Spielerinnen, die ein Studium absolvieren. Fast ein Dutzend hat noch den Trainerschein (B-plus-Lizenz) gemacht. Seidel weiß aber auch: „Nach wie vor gibt es Spielerinnen, die in der Bundesliga auflaufen und von ihrem Gehalt nicht mal ihren Lebensunterhalt finanzieren können.“
Seine Topspielerin Gwinn gehört natürlich nicht dazu. Doch auch sie ist von den Millionengagen der Männer weit entfernt. Die besten deutschen Spielerinnen vom VfL Wolfsburg und FC Bayern sollen bei Monatsgehältern zwischen 10.000 und 15.000 Euro liegen. Brutto versteht sich. Darüber lächeln schon manche Drittligakicker. Mehr denn je kann jetzt darüber debattiert werden, ob das gerecht ist, wenn die deutschen Frauen jetzt ein Endspiel gegen England bestreiten, das in Wembley rund 87.000 Fans im Stadion und in beiden Ländern wohl 13 bis 14 Millionen Zuschauer an den Fernsehschirmen sehen. DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagt zu Recht: „Eine größere Sichtbarkeit als das EM-Finale in Wembley gibt es nicht.“ Rätselhaft nur, warum parallel zu diesem historischen Event – mit der Chance auf den neunten EM-Titel für die DFB-Frauen – der Verband tatsächlich drei DFB-Pokalspiele der Männer angesetzt hat. Fans von Eintracht Braunschweig, Waldhof Mannheim oder Erzgebirge Aue stecken am Sonntag im Zwiespalt. Vermutlich gehen sie ins Stadion.
Zuschauerrekord beim Eröffnungsspiel?
Spätestens ab dem ersten August-Wochenende, wenn in der Bundesliga wieder der Ball rollt, verlagert sich das Interesse ohnehin zu den Männern. Doch die Frauen tun jetzt etwas dagegen, um nicht ganz in deren Schatten zu verschwinden. Eintracht Frankfurt gegen Bayern München heißt erstmals die Konstellation für beide Bundesliga-Eröffnungsspiele. Die Frauen machen am 5. August den Anfang, die Männer ziehen am 16. September nach. Jeweils ein Freitagabend, jeweils ist die Arena im Frankfurt Stadtwald der Schauplatz. Ausverkauftes Haus bei den Männern, das ist klar. Und bei den Frauen dann 20.000, vielleicht 30.000 Besucher, die Freigang und Gwinn sehen wollen? Siegfried Dietrich, der Sportdirektor der Eintracht Frankfurt Frauen und der Vorsitzende des Ausschusses Frauen-Bundesligisten, warnt vor überzogenen Erwartungen, aber den Zuschauerrekord von 2014 (12.464 beim VfL Wolfsburg) will Dietrich auf jeden Fall brechen.
Dietrich findet, dass die EM mit sich bringe, „manche Negativschlagzeilen der Vergangenheit als gesammelte Erfahrung abzuhaken“. Wo bitte spielen denn außer der zu Olympique Lyon wechselnden Sara Däbritz alle Feldspielerinnen? Doch in der Frauen-Bundesliga. Deshalb werde der Rückenwind diesmal nicht mit dem Abpfiff des Endspiels abflauen, beteuert der 65-Jährige, der eng mit den DFB-Granden in Kontakt ist. „Wir wollen nach der erfolgreichen EM mit allen Verantwortlichen der Liga und dem DFB ein neues Wahrnehmungszeitalter der Frauen-Bundesliga einläuten.“ Schon oft hat er das Vermarktungspotenzial herausgestellt – jetzt scheint es tatsächlich vorangehen zu können. Gerade wurden die Bundesliga-Rechte neu ausgeschrieben. Der Bezahlsender Sky hat großes Interesse, will mehr Frauensport übertragen. Das könnte was werden.
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg wird ohnehin nicht müde, ihre „tollen Mädels“ zu loben. Die 54-Jährige erzählt immer gerne von „besonderen Persönlichkeiten“, die tatsächlich fast alle herrlich bodenständig, höflich, respektvoll und dankbar sind. Die schlechten Manieren eines Leroy Sané, ganz abseits eines protzigen Autos oder sündhaft teurer Rucksäcke, erlaubt sich auf dem Platz niemand. Keine, die stehen bleibt, abwinkt oder den Kopf schüttelt. Macht eine Nationalspielerin in England nicht. Die Bundestrainerin hat ganz viele im Kader, denen die Zukunft gehört. Mehr als Bundestrainer Hansi Flick übrigens, der jetzt auch zum Finale kommt.

dpa/Sebastian Gollnow
Lena Oberdorf
Zwei gehören herausgepickt. Die eine heißt Lena Oberdorf. Gerade mal 20, aber schon Weltklasse. Ihre Robustheit und Widerstandskraft waren für die deutsche EM-Mission Gold wert. Packte Grätschen aus, die an Sergio Ramos erinnern. Hat sie sich wirklich bei YouTube abgeschaut. Gemeinsam mit ihrem fünf Jahre älteren Bruder Tim, der beim Zweitligisten Fortuna Düsseldorf um einen Stammplatz kämpft. Die andere heißt Lena Lattwein. Gerade mal 22, aber schon so reif. Traum-Abi. Belegt Online-Kurse, um an der Uni Mannheim ihren Master in Wirtschaftsmathematik zu machen. Hat auch gleich den unqualifizierten Tweet von Kanzler Olaf Scholz zum Thema Equal Pay enttarnt. „Es ist immer einfach, so was zu sagen, ohne die Einblicke zu haben, wie die Bezahlungen zustande kommen.“ Mutig.
Zu den neuen Bewunderern diese Teams zählt neuerdings auch Jürgen Klopp, der sich mit einer anerkennenden Videobotschaft vor dem Halbfinale gemeldet hatte. „Jetzt weiß man, dass ich eine bestimmte Art von Fußball mag“, sagte der Trainer des FC Liverpool. „Und dementsprechend könnt ihr euch vorstellen, dass ich euren Fußball liebe. Den Einsatz, den ihr zeigt, wie ihr euch komplett verausgabt, die Fitness – ihr seht unglaublich frisch aus über das gesamte Spiel, verrückt.“ Klopp erspäht „eine Werbung für den Fußball, nicht nur für den Frauenfußball. Das Wichtigste ist für mich das Gesicht, das der Frauenfußball gezeigt hat: In den letzten Jahren ist die Entwicklung explodiert.“ Klopp ist nur einer von vielen, die sich plötzlich in Lobeshymnen überschlagen.
Englands Prinz William zeigt echtes Interesse, Bundeskanzler Scholz eher nicht
Dass Politiker gerne auf einen Erfolgszug aufspringen, ist auch bekannt. Fürs Finale hat Kanzler Scholz umgehend seinen ersten Besuch angekündigt; wenig hilfreiche Tweets wird er sich diesmal hoffentlich ersparen, denn Respekt kann man anders bezeugen. Indem man wie Englands Prinz William beispielsweise bereits mal im Trainingslager seiner Frauen-Nationalmannschaft seine Aufwartung gemacht hätte. Das wäre ehrliches Interesse gewesen. Ungeachtet dessen: Dass die vom Regierungschef eindimensional befeuerte Debatte um eine angemessene Prämie nicht ausgestanden ist, war DFB-Boss Neuendorf nach dem Halbfinale gegen Frankreich anzumerken. Einerseits schwärmte er von der „tollen Vorbildfunktion“, andererseits erstickte er jegliche Diskussion, ob die vereinbarten Erfolgszahlungen – 60.000 Euro für den Sieg, 30.000 Euro als Zweiter – vielleicht noch erhöht werden könnten. Die Männer hätten ja 400.000 Euro für den EM-Sieg bekommen.
Die Verhandlungen seien abgeschlossen, bekundete der Verbandsboss zuletzt in Milton Keynes und schob hintendran: „Ich glaube, dass es jetzt primärer ist, den Pokal in die Luft zu recken. Das ist jetzt das Allerwichtigste.“ Dass der 60-Jährige jedoch nicht abgeneigt ist, für die WM 2023 in Australien und Neuseeland auch die finanzielle Belohnung dieser Protagonisten zu erhöhen, war herauszuhören. Schließlich ist die Imagewerbung, die Gwinn und Freigang, Oberdorf oder Lattwein für den deutschen Fußball gerade betreiben, eigentlich unbezahlbar.