Ein Lastenfahrrad dient als mobiler Stadtteiltreff für Jugendliche – München


An einem Mittwochnachmittag im Oktober schwingt sich René Feck auf ein Lastenrad und fährt damit zum Bolzplatz an der Elisabeth-Kohn-Straße. Das Gefährt, auf dem der Leiter des Schwabinger Jugendzentrums “Life” am Ackermannbogen sitzt, ist kein gewöhnliches: Es ist zweieinhalb Meter lang, anderthalb Meter breit, mit Kühlschrank, Tresen, einer Musikbox, Beleuchtung und an Ort und Stelle einem weithin sichtbarem, weinroten Schirm als Anziehungsmagnet ausgestattet. Entsprechend positiv fällt die Reaktion der jungen Leute aus. “Sie fanden das Rad sehr cool, es war der Volltreffer”, erzählt der 30-Jährige seinen Kollegen eine Woche später bei der offiziellen Kickoff-Veranstaltung des Projekts auf dem Hohenzollernplatz. “Nach dem Motto: Wow, was ist das für ein geiles Teil.”

Westschwabings Kinder- und Jugendeinrichtungen wollen Neues wagen. Mit einem mobilen Stadtteiltreff, bei dem das imposante Lastenrad eine Schlüsselrolle spielt. “In Zeiten der harten Lockdowns waren unsere Einrichtungen leer, die Parks dagegen voll – und es gab Ärger mit Anwohnern”, erinnert sich Ulrike Stempfle. “Unsere Arbeit lebt aber davon, Zugang zu den Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu bekommen.”

Die Idee zu dem Lastenrad kam der Leiterin des internationalen Treffs “Club-In” dann im Sommer vorigen Jahres. Damals saß sie gemeinsam mit ihrer Kollegin Nina Litz vom Jugendhaus Schwabing auf einer Parkbank und beobachtete junge Leute bei einem Trinkspiel. “Wie wäre es, fragten wir uns, da jetzt einen Hingucker für unsere Einrichtungen zu haben und selbst Spiele und Musik anbieten zu können?” Auf diese Weise könnte man niederschwellig ins Gespräch kommen. Außerdem würde solch eine mobile Anlaufstelle auch dafür sorgen, jungen Menschen wieder den öffentlichen Raum zu sichern, der ihnen zustehe und den sie brauchten.

Denn “die Auswirkungen der Pandemie und die Nachverdichtung”, bestätigt Nataliia Cheban vom Stadtjugendamt, “haben die Freiheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen enorm eingeschränkt”. Ihr Aufenthaltsrecht werde oft abgelehnt. Allein allerdings, das war sowohl Stempfle als auch Litz bewusst, würden sie dieses aufsuchende Projekt nicht stemmen können. Weder personell noch finanziell.

Aus diesem Grund haben sie alle anderen Jugendzentren im Stadtbezirk mit ins Boot geholt, das Haus am Schuttberg, das “Juze” (Jugendzentrum Schwabing-West), den Integrativen Jugendtreff MOP und das “Life”https://www.sueddeutsche.de/muenchen/.”Inzwischen hat uns das Projekt eng zusammengeschweißt”, sagt Stempfle. Zumal einige Hürden zu nehmen waren. Die Finanzierung etwa. Die Kosten für das Rad in Höhe von 13 000 Euro hat der Bezirksausschuss bezahlt, weitere rund 1000 Euro für die Ausstattung kamen vom sozialen Netzwerkprojekt Regsam.

Oder die Frage, ob das Lastenrad ohne Genehmigung im öffentlichen Raum als mobiler Treff aufgestellt werden darf. Just am Tag des offiziellen Starts hat das Kreisverwaltungsreferat Stempfle zugesichert, für das Betreiben des Lastenrads keine Erlaubnis einholen zu müssen. “Das ist toll, wäre sonst aber auch nicht gegangen”, betont die Club-In-Chefin. Unklar ist bislang allerdings noch, wie der Getränkeausschank funktionieren soll. “Wir würden gerne Nichtalkoholisches wie Spezi oder Apfelschorle anbieten”, sagt Nina Litz. “Ohne Schanklizenz, im pädagogischen Sinne zum Selbstkostenpreis.”

Bei der Auftaktveranstaltung im Herzen Westschwabings Ende Oktober jedenfalls zeigt sich: Das Kontaktangebot funktioniert. Es gibt Klappstühle, die rings um das Rad zum Relaxen einladen und immer wieder besetzt sind. Es gibt das Angebot des Hauses am Schuttberg, mit Farbdosen Bilder zu kreieren. Anwohner nutzen die Chance, Minibasketball, Spikeball und Wikingerschach zu spielen, junge Mädchen lassen sich ihre Hände von Emna vom “Club-In” mit Henna bemalen.

Direkt am Tresen des Fahrradhecks lehnt Josef und meint nach einer Weile lachend, “ich rieche gar nichts mehr”. Zuvor hat Cathy Davies vom MOP dem 17-Jährigen schon mehrere kleine Dosen unter die Nase gehalten, gefüllt mit intensiv duftenden Lebensmitteln wie Ingwer, Essig, Orange, Ketchup, Kaffee. Josef soll mit verbundenen Augen herausfinden, was sich in den Behältern befindet, einiges hat er bereits erkannt. Bei Lavendel aber muss er schließlich passen. Das Sinnesspiel gehört bei dem Integrativen Jugendtreff zum Inventar. Die Spiele passen samt Stühlen und Getränken in den Bauch des Lastenrads, jede Einrichtung kann das Fahrzeug ausleihen und es nach Bedarf mit eigenen Materialen bestücken.

Nach Etablierung des Angebots können sich die Jugendtreffs dann auch Kooperationen mit bestehenden Veranstaltungen wie dem Oben-Ohne-Festival des Kreisjugendrings, dem Corso Leopold, Events der Spiellandschaft-Stadt oder Uni-Festen vorstellen. Noch aber ist vieles offen, etwa, wann und wo das Rad zu finden ist. “Feste Tage gibt es noch nicht, wir stehen ja quasi noch in den Startlöchern”, sagt René Feck. “Sicher ist nur: Wir gehen dahin, wo die jungen Leute sind.”



Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/muenchen/schwabing-west-ratschen-am-rad-1.5695130