Die vergessenen Werke von Josef Wiener

Vor 100 Jahren erschien Josef Wieners Roman „Die Venus von der Tauentzien“, in der NS-Zeit wurde er verboten. Der Roman geriet in Vergessenheit.
Porträt, Josef Wiener als junger MannArchiv Roberto Wiener
Berlin, am Anfang des 20. Jahrhunderts – wie so viele andere ist auch der 1866 im ostpreußischen Braunsberg geborene Redakteur und Schriftsteller Josef Wiener, Sohn eines Kinderarztes, in die Reichshauptstadt umgesiedelt. Er wird schnell heimisch, und Berlin zu seinem ganz persönlichen „Spree-Athen“.
Seine neu erworbenen Ortskenntnisse kann er für seinen im Kurt-Ehrlich-Verlag veröffentlichten Roman „Die Venus von der Tauentzien“ an vielen Stellen für das nötige Lokalkolorit einflechten. Alma Wernicke ist besagte Venus, die Göttin der erotischen Liebe und der Schönheit, die Wiener kurzerhand aus dem antiken Griechenland nach Berlin verpflanzt hat. Dort verfällt die Choristin an einer Operettenbühne dem verschlagenen Schieber Rohrmann, der sie zu seiner Geliebten macht.
An keiner Stelle des Berlin-Romans wird der Autor dabei explizit erotisch oder gar politisch, dennoch wird das Buch 1935 zusammen mit seinem unter dem Namen Josef Wiener-Braunsberg veröffentlichten „Warenhausmädchen“ auf der „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ geschmäht. Und das ist ein ellenlanges Machwerk, das von der Reichsschrifttumskammer herausgegeben wird und zum Beispiel kategorisch alle Werke von Kurt Tucholsky als „schädlich und unerwünscht“ brandmarkt.
Die Romane Wiener-Braunsbergs gefährden demnach ebenfalls „das nationalsozialistische Kulturwollen“. Doch je mehr „gute Sitten“ in der Reichshauptstadt verletzt werden, desto höher ist in den 1920er-Jahren auch der Bedarf an „Sittenbildern“ und „Milieuschilderungen“, denen ein voyeuristisches Element sicherlich nicht abzusprechen ist. In dieser zerbrochenen und düsteren Welt des Berlins der Weimarer Zeit wimmelt es nur so von dunklen Bars, anrüchigen Spielclubs, Dirnen, Nackttänzerinnen, Schiebern et cetera.
Für den Autor sind seine Protagonisten vor allem fatalistische Opfer der Zeitumstände. Josef Wiener-Braunsbergs Roman bietet dem Leser somit auch keinerlei Identifikationsfiguren, der Subkontext ist geprägt von einer Schwere, die der Krieg über Mensch und Stadt gebracht hat: „Es war im November. Grau und triefend hatte der Himmel während des kurzen Tages über dem Häusermeer Berlins gehangen.“ Die kurzweiligen Vergnügungen der Akteure sind der Verzweiflung geschuldet, und dass es kein Happy End geben kann, ist somit auch sehr früh absehbar.
Titelseite d. ULK vom 4.5.1923 mit Zeichnung von Oskar TheuerZeitschrift ULK – Seite der Universität zu Heidelberg, mit Digitalisaten
„Lasterhaftes Berlin“ in Buchform: Die Romane des Kurt-Ehrlich-Verlags
Wiener-Braunsberg hat sich zu dieser Zeit als Chefredakteur der Zeitschrift ULK (Unsinn, Leichtsinn, Kneipsinn), einer wöchentlichen Beilage des Berliner Tageblatts, politisch längst positioniert. Dessen Chefredakteur ist Theodor Wolff, der zu den Gründungsmitgliedern der Deutschen Demokratischen Partei gehört und so die gewünschte Linie vorgibt. Seitenhiebe auf politische Gegner kann sich Wiener-Braunsberg in seinem Roman daher nicht verkneifen, sie äußern sich zum Beispiel in Form einer ewig gestrigen dünkelhaften Anhängerin der untergegangenen Monarchie.
Die unzähligen Schieber der damaligen Zeit, auch sie bekommen regelmäßig ihr Fett weg. Genüsslich bringt Wiener-Braunsberg den Schieber Rohrmann – zumindest auf dem Papier – zu Fall. Dessen Geliebte Alma hat es derweil auf der Tauentzien zu einer „kleinen Berühmtheit“ bei den Flaneuren gebracht, die dort „auf Wild pirschen“. Nachdem Rohrmann pleitegegangen ist, muss sie sich fortan allabendlich als „Sängerin“ in einer schäbigen Bar verdingen. Gebrochen kehrt sie zu ihrer Schwester und ihrem Schwager zurück, einem Alkoholiker, der sie schließlich zur Prostitution zwingt. Am Ende wählt sie den Freitod und stürzt sich hinter der Potsdamer Brücke in den Landwehrkanal. Mit den Worten „Sie ist untergegangen …“ endet das Buch und zehn Jahre später auch die ganze Republik.
Für Josef Wiener-Braunsberg wird der Roman, in den er so ziemlich alles Mögliche an Tragik inklusive unzähliger gebrochener Menschen hineingepackt hat, zum Erfolg. Er reiht sich damit in den Reigen damals populärer Autoren des Ehrlich-Verlags ein, darunter Edmund Edel, Leo Heller und Artur Landsberger. „Verräterische“, weil „anrüchige“ Titel wie Robert Fuchs-Liskas „Fräulein Sünde“ oder Edmund Edels „Sylvias Liebesleben (Tragödie einer Morphinistin)“ rufen regelmäßig die Zensur auf den Plan, Ehrlichs „lasterhaftes Berlin“ in Buchform wird schnell zum Verkaufsschlager.
Titel bzw. Schutzumschläge zweier Romane Wiener-BraunsbergsArchiv Bettina Müller
Vor allem mit der Reihe „Bücher der Leidenschaft“ hat sich der geschäftstüchtige Kurt Ehrlich schon früh auf „pikante“ Unterhaltungsliteratur spezialisiert. Weitere Reihen folgen, „Ehrlichs Kriminalbibliothek“ entsteht. Ab 1925 publiziert Ehrlich in seinem 1917 gegründeten Verlag zudem das K.-E.-Magazin, das später in Welt-Magazin umbenannt wird. Es greift populäre kulturelle und gesellschaftliche Themen auf und garniert sie mit qualitätsvollen Fotografien. „Vornehm“ seien die „Bücher der Leidenschaft“, wirbt der Verlag in zeitgenössischen Anzeigen.
Visuell sorgen dafür vor allem Zeichner wie der leichthändige „Conny“ (d. i. Konrad Neubauer) vom 8-Uhr-Abendblatt oder Philipp Zehbe. Besonders Zehbes charmant-leichte und flirrende Werke spiegeln kongenial den damaligen Zeitgeist einer Kultur in Aufbruchstimmung wider. Was die Leser nicht wissen, während sie vielleicht über die amüsanten Zeichnungen Connys schmunzeln: Bei Kurt Ehrlichs Bruder Martin, der im Verlag als Vertreter arbeitet, ist der (Nach-)Name nicht Programm. Unter dem Pseudonym „Maximilian Raven“ hat er sich einst unberechtigt als Redakteur ausgegeben und ist 1911 zudem wegen Erpressung zu vier Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Porträtfoto aus „Schnurriges und Knurriges“ 1921Archiv Bettina Müller
Brandmarkung als „verbotene Literatur“: Seit dem Verbot keine Neuauflage
Aber auch Kurt Ehrlich kann ab einem gewissen Zeitpunkt dem Auge des Gesetzes nicht entkommen. Die Zensur und vor allem der berühmt-berüchtigte Prof. Dr. Karl Brunner, seines Zeichens literarischer Sachverständiger beim Berliner Polizeipräsidium, sitzen ihm ständig im Nacken. Doch Brunner wird durch seine fanatische Hetzjagd eine Art „unfreiwilliger Reklamechef“, dank ihm steigen die Verkaufszahlen für zunächst verbotene Bücher, bei denen Werbung à la „Beschlagnahmt gewesen, wieder freigegeben“ zuerst den Reiz des Verbotenen und dann den Griff ins Portemonnaie fördern sollen.
Grußkarte aus Braunsberg, wo Josef Wiener 1866 geboren wurde und es auch eine kleine jüdische Gemeinde gab.Archiv Bettina Müller
Auch Filmschaffende werden von dem unerbittlichen „Sittenwächter“ Brunner terrorisiert, der sich wie ein Terrier in den Waden seiner zahlreichen „Feinde“ verbeißt, darunter auch der berühmte Berliner Sexualforscher Dr. Magnus Hirschfeld. Kurt Ehrlich kann den Verlag noch bis Anfang der 1930er-Jahre halten, dann wird ihm zuerst die Weltwirtschaftskrise und dann seine Religion zum Verhängnis: 1941 wird der 54-Jährige in Auschwitz ermordet, sein Bruder Martin stirbt in Dachau.
Seit der Brandmarkung als „verbotene Literatur“ ist „Die Venus von der Tauentzien“ von Josef Wiener-Braunsberg bis heute nicht mehr aufgelegt worden. Ebenso harren seine Bücher „Warenhausmädchen“ und „Die Brett’l-Gräfin“ einer Neuauflage. Sie können unter anderem in der Staatsbibliothek Berlin ausgeliehen werden.
Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag freien Autorinnen und Autoren sowie jedem Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.
Dieser Beitrag unterliegt der Creative Commons Lizenz (CC BY-NC-ND 4.0). Er darf für nicht kommerzielle Zwecke unter Nennung des Autors und der Berliner Zeitung und unter Ausschluss jeglicher Bearbeitung von der Allgemeinheit frei weiterverwendet werden.