Die bitterböse Farce mit dem russischen Gas 


zu den langweiligsten, offenbar am meisten unterschätzten Gütern gehören Gasturbinen. Elf Jahre lang leisteten sie ihre Dienste beim deutsch-russischen „Friedensprojekt“ Nord Stream 1.

Hersteller Siemens war ja auch nicht für Schrottproduktion bekannt, nun aber fallen die Dinger reihenweise durch eine seltsame Krankheit namens Gazprom-Imperialismus aus. Vor einigen Tagen noch gab es null Prozent Lieferung von Russland nach Deutschland (die Wartung!), dann flossen 40, inzwischen nur noch 20 Prozent. Wladimir Putin, der Mann am Gasregler, dreht so auf und zu, dass der nötige Füllstand von 90 Prozent im Dezember verfehlt und die Rationierungsrepublik ausgerufen werden könnte.

„Nach eigener Willkür“, so Wirtschaftsminister Robert Habeck, werde Gazprom entscheiden, ob es zum kompletten Ausfall kommt, das sei ein „perfides Spiel“ und Vertragsbruch. Es gehe um Wirtschaftskrieg, doch der russische Konzern erzähle „Farce-Geschichten über diese Turbinen, was einfach nicht stimmt“.

Man müsse nun, so Habeck, den Gasverbrauch in Deutschland um 15 bis 20 Prozent herunterbringen. Fazit: Der französische Dichter Arthur Rimbaud sah die Sache grundsätzlicher: „Das ganze Leben ist eine Farce, die wir erleiden müssen.“ Aber müssen wir dabei frieren?

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Energiesparen ist also das Gebot der Stunde. Bleibt die Frage: Wie? Die Strategie des Grünen-Politikers Habeck, auf Appelle zu setzen, auf „moral suasion“, stößt in Wissenschaftskreisen auf Kritik. „Die Ökonomie zeigt: Appelle bringen fast nichts“, erklärt Klaus Schmidt, Chef des Wissenschaftlichen Beirats bei Habecks Ministerium.

Mit 37 Kolleginnen und Kollegen hat er sich in einem bislang unbekannten Brief – der uns zugespielt wurde – an die Behörde gewandt. Ein hoher Gaspreis sei der „effizienteste Anreiz, den Verbrauch einzuschränken“, heißt es da.

Künftig können Energieversorger tatsächlich die höheren Bezugspreise umlegen, an Preissignalen wird es wohl nicht fehlen – aber auch nicht an jenen sozialen Spannungen, die Habeck partout vermeiden will.

Legendär ist seine Antwort auf die Anregung, Bürgern fürs Energiesparen eine Prämie zu zahlen: „Die kriegst du nicht, Alter.“ Er wolle auch nicht in einem Land leben, in dem man sich nur noch bewegt, wenn es dafür Geld gibt. Hey Alter, übrigens: Aktuell ist der Gaspreis um 7,7 Prozent an der Energiebörse in den Niederlanden auf 175 Euro je Megawattstunde gestiegen. Putin höchstpersönlich sorgt für die besten Sparanreize.

Wolfgang Schmidt, Steffen Saebisch und Anja Hajduk: Die drei Strippenzieher der Ampel.


(Foto: Getty Images)

Machtmakler leben von der Anonymität, vom diskreten Rat an die Herrschenden, auf dass deren Arbeit so seriös wie produktiv wird. Einmal jedoch, bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, ist jenes Trio semi-öffentlich aufgetreten, dass derzeit die Ampelkoalition in schwerster Zeit noch einigermaßen verleimt, wie in unserem „Long Read“ beschrieben wird. Es handelt sich um Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD), Wirtschaftsstaatssekretärin Anja Hajduk (Grüne) sowie Finanzstaatsekretär Steffen Saebisch (FDP).

Sie koordinieren, loten aus, machen Troubleshooting, wie es seit dem Ukrainekrieg öfter vorkommt – alles als „their masters“ voice“, als schweigende Strippenzieher für das Dreieck Scholz-Habeck-Lindner, das wöchentlich einmal zum Jour fixe aufeinandertrifft.

Seitdem die Grünen aber einen demoskopischen Höhenflug erleben und die SPD sowie die FDP dagegen im Umfrageunterholz krabbeln, sind die drei Spin Doctors vermutlich eine Art psychotherapeutischer Dienst. Man will ja bis 2025 durchhalten.

Bayerns Stolz ist die Wirtschaft, doch die muss nun den Gasnotstand fürchten. Bislang wurde das südliche Bundesland vom großen Gasspeicher im österreichischen Haidach bei Salzburg versorgt, doch dabei gibt es zwei Misslichkeiten.

  • Österreich will den Speicher, der bislang nur ans deutsche Netz angeschlossen war und vor allem bayerische Haushalte und Industriebetriebe belieferte, künftig selbst anzapfen. So ist es mit Berlin besprochen. Einwände gab es nicht.
  • Richtig fatal ist, dass der Speicher – der bislang zur Einflusssphäre von Gazprom und Wladimir Putin gehörte – derzeit null Gas aufweist, weshalb E-Control, die österreichische Energie-Regulierungsbehörde, Gazprom sehr bald seine Speicherkapazitäten entziehen wird.

Und dann wird das Hauen und Stechen losgehen um das bayerische Gas, das ein österreichisches ist, was den Bayern-Ministerpräsidenten Markus Söder ins Poltrige abgleiten lässt. Der CSU-Chef hat den Minderwertigkeitskomplex, dass alle sein Bayern, also ihn persönlich, abmeiern und „Bashing“ betreiben wollen, so weit entwickelt, dass es täglich zu ein paar lokalpatriotischen Sätzen langt, auch in der Causa Haidach.

Der Bund müsse die Vereinbarung mit Österreich transparent machen und „deutlich sagen, wann und wie viel Gas nach Bayern fließt“, fordert Söder – und insinuiert zugleich, es habe sich nur etwas zugunsten von Österreich bewegt. Kleiner Rat nach Wien: Wenn der Mann zu unangenehm werden sollte, genügen einfache Hinweise darauf, dass die CSU die Energiewende verschlafen hat.

Gerhard Schröder ist wieder in Moskau, doch diesmal gibt es keine Instagram-Belegfotos von gebetsähnlichen Gesten seiner koreanischen Frau, getragen von der Botschaft: Ihr Gerd möge doch bitte Friede über die Paläste und Hütten bringen, er kenne ja Wladimir Putin und den Kreml so gut.

Beim aktuellen Trip an die Moskwa gibt sich der Altkanzler, den seine SPD abgeschrieben hat wie ein marodes Kernkraftwerk, als lockerer Tourist: „Ich mache hier ein paar Tage Urlaub. Moskau ist eine schöne Stadt“, sagte er ntv. Dass hier die Zentrale des Staatskonzerns Rosneft sitzt, dem er bis vor kurzem als Aufsichtsratschef diente, kommentiert Schröder halbironisch: „Ist das so? Ach ja, stimmt, da haben Sie recht.“

Jüngst hatte er in der „Frankfurter Allgemeinen“ räsoniert, „seine Gesprächsmöglichkeiten mit Präsident Putin nicht aufzugeben“. Auch glaube er nicht an eine militärische Lösung in der Ukraine und frage sich, warum man so auf Waffenlieferungen konzentriert sei.

Vielleicht denkt der Gazprom-Lobbyist bei seinen Spaziergängen auf dem Roten Patz mal über Ludwig Börne nach: „Es gibt keinen Menschen, der nicht die Freiheit liebte; aber der Gerechte fordert sie für alle, der Ungerechte nur für sich allein.“

Maja Göpel soll am DIW das „Center für Sozial-Ökologische Transformation“ leiten.


(Foto: IMAGO/foto2press)

Und dann ist da noch Maja Göpel, 46, promovierte Politökonomin und viel gefragte Expertin in Sachen Transformation, die bis Sommer 2021 am neugründeten „The New Institute“ in Hamburg verschiedene wissenschaftliche Richtungen vereinigte.

Die Denkfabrik wurden vom Unternehmer Erick Rickmers gegründet. Nun soll Göpel so etwas für das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin aufbauen, wie meine Kollegen enthüllen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher plant ein „Center für Sozial-Ökologische Transformation“, Gespräche mit Göpel laufen seit Jahresanfang. Intern scheint der Widerstand größer zu sein als extern, besonders bei der renommierten DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert, der ein neuer Star vorgesetzt würde. An Kritik ist zu hören ist, dass Fratzschers Favoritin zwar populäre Bücher, aber zu wenig wissenschaftlich Wertvolles publiziert habe.

Bis das DIW den Streit geklärt hat, können sich Interessierte mit Göpels Gewissheiten beschäftigen: „Lasst uns die veralteten Strukturen ändern, dann können wir auch gemeinsam wieder nach vorne kommen.“

Ich wünsche Ihnen einen erfrischenden, anregenden Tag.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr
Hans-Jürgen Jakobs
Senior Editor

PS: Software-Chaos, schwächelnde China-Strategie, Ego-Führungskultur: VW-Chef Herbert Diess hinterlässt Nachfolger Oliver Blume einige Baustellen. Uns interessiert Ihre Meinung: Wie stehen Sie zum Wechsel? Kommt die Entscheidung zu spät? Welche Herausforderungen muss Blume als erstes angehen und kann er die Doppelbelastung aus VW- und Porsche-Führung stemmen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in fünf Sätzen an [email protected]. Ausgewählte Beiträge veröffentlichen wir mit Namensnennung am Donnerstag gedruckt und online.



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