Deutschland vor dem Staatskollaps? „Wir haben Fehler gemacht“

„Der 60 Milliarden-Rumms: Geht der Ampel die Kohle aus?“, fragt Louis Klamroth seine Gäste, die ganz nach jeweiligen Parteiprogramm um den heißen Brei herumreden.
Köln – Würde man den Schlagzeilen der letzten Tage glauben, müsste man denken, dass Deutschland kurz vor dem Staatskollaps steht. In einem spektakulären, auch von den Klägern nicht in dieser Härte erwarteten Urteil, schob das Bundesverfassungsgericht einer Umwidmung des Klima– und Transformationsfonds den Riegel vor.
Was auf einen Schlag bedeutet, dass 60 Milliarden Euro, die eigentlich für Investitionen in Infrastruktur oder die Strompreisbremse vorgesehen waren, neu finanziert werden müssen. Allerdings muss man sagen, dass bei einem Bundeshaushalt von in diesem Jahr 476 Milliarden Euro zwar nicht wenig, aber auch nicht Existenz bedrohend erscheint, zumal die 60 Milliarden über mehrere Jahre verteilt ausgegeben werden sollten.
Kevin Kühnert hält den Ball flach
Ob es da hilfreich ist, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck gleich die „Substanz der Transformation der deutschen Wirtschaft bedroht“ sieht, sei dahingestellt, bei Louis Klamroth in der ARD bemühte sich Kevin Kühnert, Generalsekretär der SPD, den Ball flach zu halten: „Das Urteil ist sehr tiefgreifend. Wir haben Fehler gemacht, aber man könnte auch sagen: Wir haben in der Vergangenheit Spielregeln wie die Schuldenbremse aufgestellt, die es uns nun sehr schwer machen, in die Zukunft zu investieren.“

Beim Stichwort Schuldenbremse sprang die Vertreterin der FDP in der ARD-Runde, Linda Teuteberg, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Bundesvorstand ihrer Partei, an, die es sich offenbar vorgenommen hatte, möglichst oft das FDP-Mantra „Schuldenbremse“ unterzubringen. Was ihr auch geschätzt dreimal pro Minute gelang, was allerdings der Substanz ihrer Ausführungen nicht unbedingt zuträglich war.
Serap Güler in Erklärungsnot
Serap Güler, Bundestagsabgeordnete der CDU, bemühte sich bei Louis Klamroth in der ARD, nicht allzu euphorisch zu agieren, wohl wissend, dass dieses Urteil auch zukünftige CDU-Regierung zu größerer Finanzdisziplin zwingen wird. Dennoch konnte sie eine gewisse Häme nicht vermeiden und hielt den Vertretern der Regierungs-Koalition ein ums andere Mal handwerkliche Fehler vor.
Die wollte Katharina Dröge gar nicht bestreiten: „Wir haben es falsch eingeschätzt und werden es korrigieren, aber ökonomisch war das, was wir tun wollten, notwendig. Wir wollen die Unternehmen unterstützen und für die Zukunft aufstellen.“ Und an die CDU-Kollegin gewandt: „Es gibt auch ein Urteil des Verfassungsgerichts, dass uns dazu verpflichtet, künftige Generationen vor der Klimakrise zu schützen. Wenn die Union die Hand für ein Sondervermögen für Waffen heben kann, warum dann nicht auch für ein Sondervermögen für Klimaschutz?“ Dazu konnte oder wollte Güler nichts antworten und meinte stattdessen, dass 476 Milliarden im Haushalt schon reichen.
Urteil kam nicht überraschend
Doch warum war die Bundesregierung so überrascht von einem Urteil, das zumindest in Ansätzen von Fachleuten erwartet wurde? Allzu sehr von sich überzeugt und seinen finanzpolitischen Kenntnissen überzeugt sei der Kanzler, meinte Kristina Dunz, stellvertretende Leiterin des Hauptstadtbüros des Redaktionsnetzwerks Deutschland bei Hart aber Fair in der ARD und merkte weiter an: „Es ist ein dramatisches Urteil, weil die Bundesregierung abermals an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verliert. Man hat das Gefühl, das es an allen Ecken und Enden bröselt in diesem Land und jetzt hat die Bundesregierung erneut gepatzt. Das Gefühl bleibt: Diese Regierung kann es nicht.“ Auch die ständige Dramatisierung, zu der gerade Robert Habeck neigt, kritisierte Dunz: „Was ein Land nach so einem Urteil braucht, ist nicht Dramatisierung, sondern Vertrauen. Das finde ich für den Vizekanzler dieses Landes den falschen Ton!“
Jens Südekum, Professor für Internationale Ökonomie an der Universität Düsseldorf, zeigte sich überrascht vom Urteil, denn es sei die maximal härteste Entscheidung gewesen. Und weiter „Es wird die Finanzpolitik gerade in Krisenzeiten nicht einfacher machen“, denn dringend notwendige Investitionen in die Zukunft werden nun noch schwieriger zu finanzieren. Wo soll jetzt im Bundeshaushalt gespart werden, um die Milliarden zusammenzubekommen? Beim Bürgergeld zum Beispiel?
Hart aber fair im Ersten | Die Gäste der Sendung vom 20. November 2023 |
Kevin Kühnert | SPD |
Katharina Dröge | B‘90/Grüne |
Linda Teuteberg | FDP |
Serap Güler | CDU |
Jens Südekum | Professor für Internationale Ökonomie |
Kristina Dunz | Journalistin |
Dieses sollte nicht stärker steigen als die Gehälter, meinte FDP-Frau Teuteberg und fand bei der neben ihr sitzenden Vertreterin der CDU Zustimmung. Vielleicht eine zukünftige Koalitionspartnerin? Denn ganz anderer Ansicht waren die an der anderen Seite des Tischs positionierten Vertreter der SPD und Grünen, bei denen ausnahmsweise auch Kevin Kühnert bei der Frage nach der Gerechtigkeit des Sozialstaates emotional wurde und Güler vehement angriff. Gegen das Bürgergeld zu hetzen und gleichzeitig einer Erhöhung des Mindestlohnes nicht zuzustimmen sei pure Heuchelei.
Trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes könnte die Bundesregierung eine Notlage erklären, argumentierte Kristina Dunz und die unvorhergesehenen Ausgaben durch den Ukraine-Krieg und vor allem den Klimawandel anführen, um einen Fond aufzulegen. Die Ampel habe jetzt noch eine Chance, um sich zusammenzuraufen, meinte Dunz bei Louis Klamroth in der ARD, dann hat sie die Chance es bis zum Ende der Legislaturperiode zu schaffen, ansonsten werden es zwei Jahre harte Jahre.
Die Haushaltsprobleme werden nicht einfacher, sagte Jens Südekum am Ende, die demografische Frage etwa, die es notwendig machen wird, dass immer mehr Bundeszuschüsse in die Rentenkasse gezahlt werden müssen. Keine rosigen Aussichten, vor denen nicht nur die aktuelle Koalition steht, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft. (Michael Meyns)