Deutschland braucht eine grundlegende Staatsreform


Karikatur

Zu einem großen Teil ist der Staat durch die Krisen gestolpert.


(Foto: Burkhard Mohr)

In kleiner Runde sprach Volker Wissing (FDP) kürzlich eine bittere Wahrheit aus. Die Verkehrswende sei ohnehin eine schwere Aufgabe. Aber wie er bis 2030 seine Klimaziele mit dieser Verwaltung erreichen sollte, sei ihm ein Rätsel, sagte der Verkehrsminister.

Nicht nur bei der Verkehrswende stößt der Staat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Ob Grundsteuer-Chaos, der schneckenhafte Fortschritt bei der digitalen Verwaltung oder der desolate Zustand der Geldwäschebekämpfung – der Staat ist ähnlich dem gefesselten Riesen Gulliver vielfach kaum noch handlungsfähig. Anders als Gulliver, der von Zwergen gefesselt wurde, hat sich der Staat allerdings selbstgefesselt – durch „perfektionistische Überregulierung“, wie es Wolfgang Schäuble jüngst ausdrückte.

Bei dieser Kritik geht es nicht um Staatsbashing, sondern um Selbsterhalt. Wenn Deutschland im 21. Jahrhundert seinen Wohlstand nicht nur verwalten, sondern steigern will, braucht es jetzt eine Debatte, wie der Staat durch eine Neuordnung der Aufgaben und eine modernere Verwaltung wieder schlagkräftiger werden kann. Oder wie der Ökonom Moritz Schularick schreibt: Exponentiell wachsende Bedrohungen lassen sich im 21. Jahrhundert „nicht mehr mit Faxgeräten bekämpfen“.

Immer mehr Referate und Stäbe

Die beiden jüngsten Krisen haben gezeigt, zu was ein Staat in der Lage sein kann und was er derzeit nicht zu leisten imstande ist. Vieles gelang durchaus. So haben wohl die wenigsten eine Vorstellung davon, wie komplex in der Energiekrise die Quasi-Verstaatlichung auch nur eines einzigen Energieversorgers wie Gazprom Germania war.

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Doch zu einem großen Teil ist der Staat durch die Krisen gestolpert. Immer wieder fiel er in Untätigkeit, obwohl die nächste Infektionswelle absehbar war, obwohl andere Länder in der Energiekrise längst Energiepreisbremsen auf den Weg gebracht hatten. Das sich wiederholende Krisenfazit: Der Staat ist nur bedingt einsatzbereit.

Auf diese Erkenntnis reagierte die Politik stets nach dem gleichen Muster: mit mehr Staat. Nirgends lässt sich die neue Staatsgläubigkeit so deutlich ablesen wie am Organigramm des Bundeswirtschaftsministeriums, für das bald eine neue DIN-Größe erfunden werden muss, um all die neuen Referate, Abteilungen und Leitungsstäbe abbilden zu können.

Dabei geht es in der Debatte über eine Staatsreform nicht um die Frage nach mehr oder weniger Staat, sondern um die Frage der Leistungsfähigkeit. In einigen Bereichen – Stichwort innere und äußere Sicherheit – braucht es mehr Staat. In der inneren Verwaltung gibt es dagegen einen Overhead. Investitionsmittel stecken monatelang fest, weil in der 18. Abstimmungsrunde zwischen den beteiligten Ministerien der Staatssekretär aus dem Finanzressort wieder Wichtigeres zu tun hat. Andere Fördergelder werden dagegen freihändig verteilt, weil es keine Kriterien oder ausreichende Daten gibt. Und am Ende wird all das noch als „agiles Arbeiten“ verkauft.  

Gezerre zwischen Bund und Ländern

Dass sich Verwaltung immer stärker selbst lähmt, hängt neben einer weit verbreiteten Risikoaversion im Beamtentum maßgeblich auch mit den inzwischen vollständig verwischten Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zusammen. Immer mehr Kompetenzen hat der Bund zuletzt an sich gerissen und die Länder im Gegenzug mit Geld zugeschüttet. Mitreden können die trotzdem bei allem. Ergebnis: Jetzt ist niemand mehr verantwortlich.

Eine ehrliche Zustandsbeschreibung der internen Arbeitsabläufe und zum Stand der Digitalisierung wäre ein erster Schritt der Besserung. Aber es braucht eine grundlegende Staatsreform: eine Debatte über Zuschnitte von Ministerien, Behörden, Bundesländern und eine Föderalismusreform, deren Zweck nicht darin besteht, dass die Länder dem Bund wieder mehr Geld abluchsen, sondern die wieder klare Zuständig- und Verantwortlichkeiten schafft.

Mehr: Der Wohlstandsverlust – Was die Krise Deutschland kostet



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