„Der perfekte Sturm braut sich zusammen“

Die deutschen Automobilzulieferer stehen vor gravierenden Änderungen: Sie müssen im Hinblick auf das bevorstehende Aus für den Verbrennungsmotor in der Europäischen Union (EU) ihre Produktion einer grundlegenden Transformation unterziehen. Etwa 70.000 Arbeitsplätze werden in Deutschland durch das Ende des Verbrennungsmotors wegfallen, in ganz Europa werden es etwa 300.000 sein: „Die Unternehmen, die sich jetzt noch nicht auf die Anforderungen der Zukunft eingerichtet haben, müssen dies unverzüglich tun – für sie ist es jetzt höchste Zeit, wenn sie noch kein strategisches Konzept vorliegen haben“, sagte Henning Rennert von der Unternehmensberatung PwC Strategy& der Berliner Zeitung.
Rennert hat für PwC soeben eine Studie vorgelegt, die zeigt, wie die deutschen Automobilzulieferer aus der Corona-Krise im Jahr 2020 gekommen sind. Das Ergebnis: Die großen und global tätigen Unternehmen haben 2021 schon wieder fast das Niveau von 2019 erreicht. Für die kleineren Unternehmen im neuen Umfeld könnte es sehr schwierig werden. Die Studie untersuchte die Top-100-Automobilzulieferer mit mindestens 2,4 Milliarden Euro Umsatz im Automotive-Bereich. Das Ergebnis: „Die Top-Zulieferer konnten ihren Umsatz sogar stärker als die Automobilhersteller steigern und haben in puncto Profitabilität besser als erwartet abgeschlossen.“ Ein Teil des Profits kommt auch aus der Kurzarbeit während Corona, diese macht jedoch nur einen kleinen Teil bei den Kostensenkungen aus. Laut Rennert sind diese bereits global tätigen Unternehmen in einer guten Position – mit einer wichtigen Einschränkung: „Das Corona-Jahr 2020 hat die Eigenkapitalreserven der Zulieferindustrie in Mitleidenschaft gezogen, allerdings in unterschiedlicher Ausprägung: Die Top-10-Zulieferer haben ihren Vorsprung in der Eigenkapitalausstattung gegenüber den nachfolgenden Wettbewerbern deutlich ausgebaut.“
Dies könnte sich für die kleineren Unternehmen nachteilig auswirken, weil sich der Markt in den kommenden Jahren signifikant verändern wird. Rennert: „Wir erwarten eine beschleunigte Konsolidierung. Künftig wird es weniger Unternehmen geben, die mehr Marktanteil haben werden.“ Die Veränderungen seien bereits zu erkennen: „In den vergangenen Jahren waren es vielleicht drei Unternehmen, die aus den Top 100 ausgeschieden sind. Dieses Mal gab es zehn neue Unternehmen, die zehn alte aus den Top 100 verdrängt haben.“ Unter den Top 10 beim Eigenkapital befinden sich als deutsche Unternehmen Bosch, Continental und ZF Friedrichshafen.
Die Konsolidierung werde in Deutschland Unternehmen treffen, die weniger als 2,4 Milliarden Euro Umsatz machen. Das sind also keine kleinen Unternehmen – es gibt in Deutschland in der Zulieferindustrie einige Tausend Unternehmen, die jeweils einige Tausend Mitarbeiter beschäftigen. Rennert: „Der durch die Inflation steigende Kosten-Anteil, vor allem durch Veränderungen der Lieferketten sowie steigende Rohstoff- und Energiepreise, führt dazu, dass sich für einige Zulieferer der ,perfekte Sturm‘ zusammenbraut.“ Verschärft wird diese Prognose durch den Umstand, dass zahlreiche deutsche Unternehmen im Jahr 2022 ihre Kredite refinanzieren müssen.
Die großen Player würden die Widrigkeiten auf dem Weltmarkt besser meistern können, sagt Rennert: „Sie können gegenüber ihren Kunden – also den Automobilherstellern – höhere Preise durchsetzen. Zugleich werden sie als Großabnehmer von Lieferanten besser bedient, können also weiter produzieren.“ Schwierig werde es dagegen für „Ein-Produkt-Unternehmen“ – eine Spezialität vieler erfolgreicher deutscher Mittelständler. Rennert: „Wir erwarten auch Insolvenzen, bei einigen Werken werden die Eigentümer wechseln.“
In der Studie heißt es, für Zulieferer eröffneten sich in der Transformation „einmalige Chancen, die Industriestruktur neu zu denken und zu definieren, um eine zukunftsfähige Balance zu finden“. Diese gelte es „im Austausch mit den Automobilherstellern unter Berücksichtigung von Wettbewerb und notwendiger Konsolidierung auszuprägen“. Vorbild in dieser Hinsicht ist Japan, wo die Autobranche sich eher als große Gemeinschaft versteht, in der Zulieferer und Hersteller sehr eng zusammenarbeiten.
Rennert sieht durch die EU-Regulatorik Planungssicherheit für 13 Jahre. Allerdings gibt es trotz dieses Horizonts Herausforderungen: Das Aus für Verbrenner-Motoren führt dazu, dass mehr Elektroautos gebaut werden müssen. „Der Anteil an notwendigen Halbleitern liegt bei Elektroautos 45 Prozent höher als bei Verbrennern. Wir müssen uns auf anhaltende Angebotsengpässe einstellen“, sagt Rennert. Diese dürften Preissteigerungen zur Folge haben – wie auch die hohen Energiekosten. Bei einzelnen Unternehmen beträgt der Anteil der Energiekosten 30 Prozent. Diese Kosten können nicht substituiert werden. Rennert: „Es ist keine Frage, dass auch wir Konsumenten uns darauf einstellen müssen, dass Autos künftig teurer werden als jetzt.“