China-Reise: Die Frage der Menschenrechte – Politik


Vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Peking richtet sich der Blick auf die Wahrung der Menschenrechte: Wie soll Deutschland mit dem autoritären China umgehen? Einer der Experten, die einen radikalen Kurswechsel in der China-Politik fordern, ist Hanno Schedler. Er arbeitet bei der Gesellschaft für bedrohte Völker und beobachtet schon lange, wie die chinesische Führung mit den Tibetern, den Mongolen oder den Uiguren umgeht.

SZ: Herr Schedler, die chinesische Botschaft in Berlin hat in dieser Woche bei der Bundespressekonferenz interveniert, weil Sie dort mit dem prominenten Uiguren-Vertreter Dolkun Isa aufgetreten sind. Hat Sie das eingeschüchtert?

Hanno Schedler: Natürlich nicht. Die chinesische Botschaft ist sehr aktiv bei der Einschüchterung von Menschen, die aus China flüchten mussten. Insofern überrascht der Versuch der Beeinflussung nicht. China bezeichnet Dolkun Isa seit Jahrzehnten als Terroristen und versucht, ihn mundtot zu machen. Aber in Deutschland herrscht zum Glück Meinungs- und Pressefreiheit.

Was sagt die Aktion über das chinesische Regime aus?

Ein diktatorisches Regime kann mit Kritik nicht umgehen. Aus Sicht der Staatsführung soll es bei dem Besuch von Scholz vor allem um eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen gehen. Kritische Veranstaltungen stören die PR-Strategie. China will sich als geeinte, freundliche Nation präsentieren.

Hat sich die Menschenrechtslage in China zuletzt verschlechtert?

Umerziehungslager, Todesstrafe, Zensur und die Unterdrückung von Minderheiten sind seit Jahren bekannt. Die chinesische Regierung hat aber die Corona-Pandemie dazu genutzt, die Überwachung der eigenen Bevölkerung nochmal massiv auszuweiten und Propaganda zu verbreiten.

China-Reise von Kanzler Scholz: Hanno Schedler leitet die Menschenrechtsreferate bei der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.

Hanno Schedler leitet die Menschenrechtsreferate bei der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V.

(Foto: Gesellschaft für bedrohte Völker e.V./OH)

Was bereitet Ihnen die größte Sorge?

Der Völkermord an den Uiguren im Nordwesten des Landes mit Umerziehungslagern und Zwangsarbeit. Kinder werden dort hundertausendfach von ihren Familien getrennt und in staatliche Internate gesteckt. Dort lernen sie nur noch Mandarin, also Hochchinesisch, nicht mehr Uigurisch. Sie werden von ihrer eigenen Kultur entfremdet. Zehntausende uigurische Frauen wurden zwangssterilisiert. Deshalb muss man auch von Völkermord sprechen: Die chinesische Regierung will, dass es weniger Uiguren gibt.

Welche Rolle spielt Staatspräsident Xi Jinping?

Ihm geht es darum, die jeweilige Religion, also den sunnitischen Islam der Uiguren oder den Buddhismus der Tibeter, zu “sinisieren”. Damit ist gemeint, die Religionen unter die Kontrolle der Kommunistischen Partei zu bringen. Auch in der Inneren Mongolei und Hongkong geht China so vor. Überall setzt das Regime auf Zwangsassimilierung. Eigenständige ethnische Gruppen werden immer weiter kontrolliert und marginalisiert.

Auch deutsche Firmen stehen wegen ihres Engagements in China immer wieder in der Kritik. Regelmäßig gibt es Enthüllungen, etwa zu Zwangsarbeit in der Region Xinjiang.

Viele Unternehmen verlassen sich einfach auf offizielle Zusagen der chinesischen Seite. Wir fordern, dass Unternehmen wie Volkswagen ihre Lieferketten offenlegen. Und was das VW-Werk angeht, das in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi liegt: Wir fordern, dass es geschlossen wird. Denn ein paar Kilometer weiter steht schon das nächste Umerziehungslager.

Kritiker sagen, eine Abkopplung von China würde den Wohlstand in Deutschland gefährden.

Niemand sagt, alle Unternehmen sollen sich aus China zurückziehen. Es geht in erster Linie darum, dass sich Unternehmen aus Regionen zurückziehen, die von schwersten Menschenrechtsverletzungen geprägt sind. Hinzu kommt: Deutschland ist in bestimmten Sektoren extrem abhängig von China. Diese Abhängigkeiten müssen reduziert werden. Kurzfristig tut das weh, aber langfristig ist es besser.

Im Koalitionsvertrag der Ampel steht: “Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang.”

Teile der Regierung wissen, dass sich die deutsche China-Politik wegen der systematischen Menschenrechtsverletzungen der chinesischen Regierung ändern muss. Aber leider scheint diese Erkenntnis noch nicht im Kanzleramt und bei Olaf Scholz angekommen zu sein.

Die Fehler im Umgang mit Russland wurden viel diskutiert. Welche Fehler hat Deutschland im Umgang mit China gemacht?

Seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stimmen sich die Europäer ja sehr eng ab, wie sie mit Russland umgehen. Dasselbe muss ab sofort gegenüber China passieren. Die China-Politik muss europäisch werden. Wir dürfen damit nicht warten, bis China Taiwan angegriffen hat. Mit der Beteiligung von Cosco am Hamburger Hafen hat Scholz aber erneut ein falsches Signal an eine Diktatur gesendet.

Am Freitagmorgen landet der Kanzler in China. Er ist der erste westliche Staatschef, der nach nach Xi Jinpings Krönung zur dritten Amtszeit zu Besuch kommt. Die Weltöffentlichkeit schaut zu. Was erwarten Sie von ihm konkret vor Ort?

Scholz muss sich zu konkreten Menschrechtsfragen äußern. Er sollte sagen, dass die chinesische Regierung ihre Politik gegenüber den Uiguren und Tibetern sofort ändern muss. Er sollte auch Taiwan ansprechen und klarmachen: Deutschland und die EU wollen nicht, dass China Taiwan angreift. Meine Sorge ist, dass er das nicht tun wird, sondern Allgemeinplätze fallen.

Und sobald Scholz zurück ist?

Ich hoffe, dass die Bundesregierung dann endlich eine fundierte China-Strategie vorlegt, mit einem starken Fokus auf Menschenrechtsfragen. Auch bei der Lieferkettengesetzgebung muss die Bundesregierung möglichst hohe Standards sicherstellen. Es darf also kein “Weiter so” in der deutschen China-Politik geben. Olaf Scholz hat noch die Chance, Fehler zu korrigieren.



Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/politik/schedler-menschenrechte-china-1.5686142