„Berlin, vielleicht geht’s ja doch!?“


„In welcher Stadt wollen wir leben?“ – unter diesem Motto traf sich am Montagabend eine besondere Gruppe an Diskutanten zum Gespräch. Die Berliner Zeitung hatte geladen, um mit der Regierenden Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, über die Herausforderungen der Stadt zu debattieren. Die Talkgäste und etwa 200 geladene Zuhörerinnen und Zuhörer fanden sich im prunkvollen Foyer der ESMT Berlin ein, im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude am Schlossplatz.

Mit Blick auf die vielen Probleme der Metropole waren die Gesprächsthemen gesetzt: Das Bildungssystem, der Zustand der Straßen, die Bürokratie, der Wohnraum, in all diesen Bereichen bedarf es neuer Strategien. Aber wie könnten diese lauten? Wie sehen die Lösungen aus? Wie kann man Berlin nach vorne bringen? Was muss die Politik tun, damit die deutsche Hauptstadt einen Sprung macht? Und inwieweit müssen Bürgerinnen und Bürger selbst mit anpacken, damit die Stadt ein Erfolg wird?

Zum Talk geladen waren die Journalistin Düzen Tekkal, Entertainer Klaas Heufer-Umlauf, Journalistin Eva Schulz, die Direktorin der Neuköllner Rütli-Schule, Cordula Heckmann, und Moritz Eichhorn, Politikchef der Berliner Zeitung. Moderiert wurde die Veranstaltung von Jo Schück. Die Gäste erlebten eine kontroverse Debatte, die einen Eindruck von den Möglichkeiten und Grenzen der Politik vermittelte.

Die Krisen im vergangenen Jahr seien historisch gewesen

Der Beginn des Abends setzte den Ton: Moderator Jo Schück fragte Franziska Giffey, ob sie es nicht leid sei, dass immer alle nur über Berlin lästern würden. Die Regierende Bürgermeisterin geriet in Verteidigungshaltung und rief Zahlen aus dem Gedächtnis auf, die beweisen sollten, dass Berlin eigentlich besser sei als sein Ruf. „Dass die vergangene Wahl so schlecht gelaufen ist, das bedauere ich zutiefst“, sagte Giffey. Doch man müsse auch auf die positiven Dinge schauen. Die Termine bei den Bürgerämtern, die Innovationskraft von Start-ups, der stetige Zulauf von Neu-Berlinern, der endlich fertig gestellte Bau des BER: All das würde zeigen, dass sich Berlin nach vorne entwickelt, so Giffey. Das Meckern über die Stadt, das ewige Herbeizitieren eines halb leeren Glases, das man – aus Sicht Giffeys – auch als halb voll definieren könne, das würde dem dynamischen Wandel Berlins und den Erfolgen der Regierungsparteien nicht gerecht werden.

Klaas Heufer-Umlauf pflichtete der Bürgermeisterin bei, sparte jedoch auch nicht mit Kritik. Die Krisen im vergangenen Jahr seien historisch gewesen, so der Entertainer. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine, die Inflation, die Herausforderungen nach der Pandemie hätten den Start von Giffey als Bürgermeisterin erschwert.

Der Anspruch an die Politik, so Heufer-Umlauf, sei also gar nicht die Bewältigung jeder Krise, sondern die richtige politische Kommunikation. Wenn Politiker und Politikerinnen ihre Grenzen ehrlich kommunizierten, aber zugleich beweisen würden, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun würden, um die vorhandenen Krisen zu meistern, dann würden Bürgerinnen und Bürger auch mehr Vertrauen schöpfen und selbst mit anpacken wollen, so seine These.

Kritische Anmerkungen vom Politikchef der Berliner Zeitung

Klaas Heufer-Umlauf gab als Beispiel die Ankunft ukrainischer Flüchtlinge, denen er als „Bewohner dieser Stadt“ im März 2022 in Berlin geholfen habe. Als dann der Senat die Organisation der Flüchtlingsbetreuung übernahm, als Strukturen aufgebaut wurden und er sich fallen lassen konnte, gab ihm das ein gutes Gefühl. Solche Erlebnisse würden ihn mit Berlin versöhnen, so der Entertainer. In solchen Fällen könnte er auch akzeptieren, dass nicht alles in Berlin perfekt sei. Denn für das Unperfekte komme man ja schließlich in diese Stadt.

Moritz Eichhorn, Politikchef der Berliner Zeitung, ging kritisch dazwischen. Er zweifelte an, ob in Berlin alles in die richtige Richtung laufe, da die Menschen erwiesenermaßen das Gefühl hätten, sie könnten sich auf die Politik, die Stadtverwaltung, die Regierung nicht verlassen. Die BVG würde nicht richtig funktionieren. Man würde zu lange auf Krankenwagen warten. Auch das Bildungsniveau von Berliner Schülerinnen und Schülern verbessere sich nicht wesentlich. Die Probleme seien so groß geworden, dass sie kaum noch zu bändigen seien. Über Visionen wollte der Politikchef der Berliner Zeitung gar nicht erst sprechen.

„In welcher Stadt wollen wir leben?“ – der Talk der Berliner Zeitung. Die Gäste von links nach rechts: Klaas Heufer-Umlauf, Eva Schulz, Moritz Eichhorn, Franziska Giffey, Düzen Tekkal, Cordula Heckmann, Jo Schück (Moderation).

„In welcher Stadt wollen wir leben?“ – der Talk der Berliner Zeitung. Die Gäste von links nach rechts: Klaas Heufer-Umlauf, Eva Schulz, Moritz Eichhorn, Franziska Giffey, Düzen Tekkal, Cordula Heckmann, Jo Schück (Moderation).Markus Wächter/Berliner Zeitung

Franziska Giffey verteidigte ihre Bilanz

Giffey verteidigte sich. Sie erwiderte dem Politikjournalisten, dass der schnelle Wachstum Berlins ein normales Regieren kaum noch möglich machen würde. Die Politik komme bei dem rasanten Nachzug von Menschen schlecht hinterher, was wiederum die Probleme der Hauptstadt größer erscheinen lasse, als sie tatsächlich seien. Besondere Sprengkraft bekam die Diskussion mit Blick auf die Neuköllner Rütli-Schule. Dem Thema Bildungspolitik wurde ein Großteil der Zeit gewidmet.

Cordula Heckmann bekam das Wort. Sie ist nun seit mehr als einem Jahrzehnt Direktorin an der Neuköllner Rütli-Schule. 2006 habe es einen Aufschrei gegeben gegenüber den Zuständen an der Schule und schlecht integrierten Jugendlichen. Danach wurde ein Aktionsplan entwickelt. Die Schule habe vom Senat viele Millionen Euro Staatshilfen bekommen, um die Bildungsinstitution auszubauen und Lehrer besser auszustatten. Heckmann bestätigte, dass sie und ihre Lehrer viel erreichen konnten, dass aber die Strahlkraft auf andere Schulen fehlen würde. Die Direktorin blieb hartnäckig und wollte von der Regierenden Bürgermeisterin wissen, wieso solche Vorzeigemaßnahmen wie an der Rütli-Schule nicht auch an anderen Schulen möglich seien. „Ist die Politik nicht schnell genug?“, fragte die Schuldirektorin.

Franziska Giffey wich aus und erklärte, dass die Bildungsoffensiven auch an anderen Schulen greifen und Früchte tragen würden. Die Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal sieht nicht nur die Politik in der Pflicht, sondern appellierte zugleich an die Solidargemeinschaft und sagte, dass die rassistischen Diffamierungsversuche gegenüber migrantischen Jugendlichen dazu führen würden, dass sich Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund aus der Mehrheitsgesellschaft zurückziehen würden. Sie selbst sei gebürtige Hannoveranerin mit iranischen Wurzeln. Sie habe es in Deutschland geschafft. „Meine Mutter kann nicht lesen und schreiben. Warum hat es trotzdem mit mir geklappt?“ Tekkal verwies auf eine funktionierende Solidargemeinschaft, die ihr den Aufstieg ermöglicht habe. In Berlin würde diese Solidarität oft fehlen. „Es gibt viele Menschen, die in Berlin im Schmerz sitzen.“ Sie bräuchten neuen Glauben, den Glauben an einen „German Dream“ (im Gegensatz zur „German Angst“, die von deutschen Bedenkenträgern gerne kultiviert werden würde).

Jeder möchte in Berlin wohnen

Klaas Heufer-Umlauf verwies darauf, dass durchaus viele gute Grundlagen in Deutschland und Berlin vorhanden seien. Er nannte etwa Gesetze wie das Asylgesetz, die gar nicht so schlecht konzipiert wären. Doch sie würden nicht richtig angewandt. Wenn etwa ein Asylsuchender sich einen Aufenthaltstitel organisieren möchte, dann bräuchte er in Deutschland viel Geld für Anwälte, ansonsten drohe die Abschiebung. 3000 Euro würde ein Rechtsstreit mit den Ämtern oftmals kosten. „Das ist undemokratisch“, sagte der Entertainer.

Eva Schulz erinnerte die Regierende Bürgermeisterin daran, dass Berlin eigentlich Vorreiter sein müsste, ein Leuchtturm an Innovationen. In der Hauptstadt müssten die besten Ideen entstehen, eine Bürgermeisterin müsste mit bestem Beispiel vorangehen. Doch das sei aus ihrer Erfahrung nicht immer der Fall. Auch hier konterte Giffey und verwies auf die positive Bilanz Berlins.

Klaas Heufer-Umlauf scherzte, dass Berlin also durchaus seine Stärken habe. „Berlin, vielleicht geht’s ja doch!“ Das Marode an der Stadt hätte zudem durchaus seine Vorteile. Es gäbe, anders als in anderen Städten, Luft für Entfaltungsspielraum, die Menschen könnten sich frei entwickeln, sich selbst immer wieder neu erfinden. „Einen maroden Charme“ nannte es der Entertainer, eine Bezeichnung, mit der Franziska Giffey offenbar gut leben kann. Heufer-Umlauf setzte noch einen drauf und erinnerte das Publikum daran, dass es sicher besser funktionierende Städte gäbe als Berlin. Düsseldorf zum Beispiel. „Doch niemand möchte ernsthaft in Düsseldorf wohnen.“ Die Anwesenden reagierten amüsiert. Und niemand widersprach.

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