Bearing Point: Beratung veröffentlicht erstmals Deutschlandzahlen

Düsseldorf Die Management- und Technologieberatung Bearing Point war lange ein sogenannter Hidden Champion in Deutschland. Das soll sich nun ändern – mit Transparenz. Deutschlandchefin Iris Grewe nennt nun erstmals Zahlen für das hiesige Geschäft. „Wir wachsen stark und sind profitabel“, sagt Grewe im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Die Beratung habe im vergangenen Jahr hierzulande um 21 Prozent auf 385 Millionen Euro Umsatz zugelegt. „Wir haben uns in den Jahren zuvor selbst effiziente Strukturen verpasst“, sagt Grewe. Bearing Point sei nun bereit, in Deutschland noch stärker zu investieren – in Menschen, Wachstumsthemen und in Technologie. Auch Übernahmen spezialisierter Beratungsunternehmen sowie die Gewinnung von Expertenteams seien denkbar.
Grewe ist die starke Frau hinter der Wachstumsgeschichte. Sie führt Bearing Point Deutschland seit Oktober 2018. Damals machte die Beratung hierzulande einen Umsatz von 240 Millionen Euro.
In eigener Sache tat sie, was ihre Berater für gewöhnlich ihren Kunden nahelegen: Effizienzsteigerung. Sie stellte die Gesellschaft, die ihren Hauptsitz in den Niederlanden hat, schlanker auf, ließ das Rechnungswesen harmonisieren, die Prozesse digitalisieren und verlagerte verschiedene Verwaltungstätigkeiten nach Süd- und Osteuropa.
Im Gegensatz zu Restrukturierungsberatern, die auf Kostensenkungen aus sind, fokussiert sich Bearing Point auf Firmen, die sich transformieren und expandieren. Gestützt wird diese Ausrichtung durch eine traditionell starke Expertise in der Technologie. Beide Themen waren in den vergangenen Jahren stark gefragt.
Bearing Point liegt global gesehen vor Roland Berger
Eigenen Angaben zufolge ist die Firma inzwischen in der deutschen Wirtschaft und Politik mit 1660 Mitarbeitenden, davon 1500 Beratern und 79 Partnern, gut im Geschäft. 32 der 40 Dax-Konzerne sowie zwölf der 16 Bundesministerien seien Kunden.
Um diesen Erfolg nun auch demonstrieren zu können, veröffentlicht Grewe erstmals auch Zahlen für einzelne Märkte. Bis jetzt hatte das Unternehmen nur globale Zahlen genannt. Und auch die können sich sehen lassen. Das Geschäft wuchs 2022 international um 24 Prozent auf 862 Millionen Euro Umsatz. 2018 waren es noch 620 Millionen Euro.
Bearing Point ist auf globaler Ebene damit etwas größer als die größte deutsche Beratungsgesellschaft Roland Berger. Diese machte 2021 rund 745 Millionen Euro Umsatz und dürfte 2022 auf rund 800 Millionen Euro zugelegt haben.
Geführt wird die 1997 gegründete Partnerschaft Bearing Point vom Deutsch-Iraner Kiumars Hamidian. Er sagt: „Im Jahr 2023 wollen wir an die Erfolge von 2022 anknüpfen, unsere strategischen Ambitionen weiter vorantreiben und eine Milliarde Umsatz anpeilen.“
Gelingen soll dies auch mit Übernahmen. 2022 schloss Bearing Point bereits vier Zukäufe in den Bereichen Nachhaltigkeit, Finanzdienstleistungen und digitale Unternehmenstransformation ab. Bis 2026 sind Investitionen in Höhe von rund 300 Millionen Euro geplant. Die Beratung ist damit auch ein Treiber der Konsolidierung der Branche.
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Von der neuen Offenheit verspricht sich Grewe eine positive Resonanz: „Wir wollen als Beratung in Deutschland fassbar und nahbar sein.“ Die Beratung sei ein Teil der Wirtschaft und wohne nicht abgehoben im Elfenbeinturm. Grewe selbst engagiert sich inzwischen auch in der Branche. 2022 wurde sie in das Präsidium des Verbands BDU gewählt.
Die Managerin wurde in Schweden geboren und wuchs in Liberia und Tansania auf, wo ihre Eltern als Mitarbeiter des Auswärtigen Dienstes tätig waren. Seit 20 Jahren verantwortet sie bei Bearing Point strategische und operative Transformations- und Integrationsprojekte bei Finanzdienstleistern.
Branchengrößen wie McKinsey und BCG hüllen sich in Schweigen
Ihre Transparenzoffensive ist ein kleiner Coup. Die Beratungsbranche hüllt sich in eigener Sache für gewöhnlich in Schweigen und präsentiert sich intransparent. Die international führenden Strategieberatungen McKinsey, Boston Consulting und Bain und die weltweit führende IT-Beratung Accenture veröffentlichen nur globale Umsatz- und Mitarbeiterzahlen.
Auch deutsche Branchengrößen wie die Management- und Personalberatung Kienbaum präsentieren zum Teil gar keine Geschäftszahlen. Einzig Roland Berger bietet Transparenz.
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Marktanalysten wie Lünendonk müssen daher mit Schätzungen für etwas Überblick sorgen. Mit den nun veröffentlichten Umsatzzahlen bewegt sich Bearing Point unter den Top drei der deutschen Managementberatungen. Nur Roland Berger mit über 800 Millionen Euro Gesamtumsatz und einem traditionell starken Deutschlandgeschäft und Simon Kucher aus Bonn mit rund 500 Millionen Euro Umsatz dürften den Daten zufolge hierzulande noch besser im Geschäft sein.
385
Millionen Euro
Umsatz erzielte Bearing Point 2022 in Deutschland.
Dominierend im von Klein- und mittelständischen Unternehmen geprägten Beratungsmarkt sind McKinsey und Boston Consulting. Sie machten 2021 jeweils geschätzt mehr als eine Milliarde Euro Umsatz hierzulande, die Nummer drei Bain mehr als 400 Millionen Euro. Die sogenannten MBB wachsen traditionell stärker als die kleinen Wettbewerber. Einer aktuellen Prognose von Lünendonk zufolge ist der Markt für Managementberatung 2022 in Deutschland um zehn Prozent auf 42 Milliarden Euro gewachsen.
Mittelständische Beratungen wie Bearing Point leiden jedoch zunehmend unter dem Fach- und Führungskräftemangel. Ohne diesen könnten sie zum Teil noch stärker wachsen. Anders als die weltweit führenden Strategieberatungen profitieren sie nicht von ihrem weltweiten Bekanntheitsgrad und global angelegten Rekrutierungskampagnen. Vielmehr sind kreative Lösungen gefragt, um am Absolventen- und Arbeitsmarkt zu punkten.
Zahl der Urlaubstage ist bei Bearing Point nicht begrenzt
Auch hier geht Grewe in die Offensive. Seit Anfang des Jahres bietet Bearing Point seinen Mitarbeitern zusätzlich zur Vertrauensarbeitszeit und freien Arbeitsplatzwahl auch Vertrauensurlaub. „Die Zielerreichung steht im Mittelpunkt, nicht wo, wann und wie lange gearbeitet wird“, sagt Grewe. „Wir möchten unsere Mitarbeiter ermächtigen, sich zeitlich und räumlich selbst zu organisieren.“
Die Zahl der Urlaubstage sei nicht begrenzt, die Abwesenheit wird gemeinsam mit dem Team und den Führungskräften eigenverantwortlich festgelegt. Mindesturlaubszeit sind 20 Tage, ab dem 41. Tag ist aber eine systemseitige Genehmigung notwendig, und der Mitarbeiter hat ab diesem Tag im Urlaub kontaktierbar zu sein.
Das Ziel: Bis zu 400 neue Berater sollen dieses Jahr hinzukommen. Bei einer Fluktuation von 15 Prozent könnten es Ende des Jahres 2000 Mitarbeiter sein. Von einem möglichen Personalabbau wie beim großen Wettbewerber McKinsey ist bei Bearing Point nicht die Rede.
„Wir sind mit gut gefüllten Auftragsbüchern ins Jahr 2023 gestartet“, erklärt Grewe. Die Geschäftsaufstellung sei über verschiedene Industrien hinweg „robust“ und der Fokus liege auf den Zukunftsthemen Nachhaltigkeit, Effizienz und Wachstum.
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