Bayern: „Unsere Berge bröckeln stärker als früher“


Der Klimawandel wirkt sich auf die Beschaffenheit der Berge aus – auch in Bayern. Ein Gletscherforscher aus München erklärt im Interview, wie sich die Alpen langfristig verändern.
München – Das ewige Eis taut, die Gletscher verschwinden – und das schneller, als es die Wissenschaftler erwartet hatten. Christoph Mayer ist Gletscherforscher (Glaziologe) und arbeitet an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Er erklärt, wie unsere Berge langfristig ihr Gesicht verändern werden – und wie sich das auf die Tourenplanung auswirkt.
Wie sehr bröckeln unsere Berge?
Christoph Mayer: Bröckeln tun die Berge durch die Erosion schon immer – aber nun mehr als früher, weil mehr gefährdete Stellen entstehen.
Ist die Gletscherschmelze ein Beschleuniger?
Mayer: Sie legt die Flächen frei, die sich bewegen können, sobald das Eis verschwunden ist. Dieses Problem wird durch den Klimawandel größer. Zumindest solange es noch Gletscher gibt. Das Auftauen im Hochgebirge führt dazu, dass gewisse Regionen instabil werden. Wir beobachten das zum Beispiel bei den Bergen im Ötztal, wo kleine Felstürme in den Randbereichen der Gletscher zusammenbrechen.

Akademie der Wissenschaften. © FKN
Bergsteigen in Bayern immer gefährlicher?
Wie groß ist das Risiko für Bergsteiger? „Einige Routen sind nicht mehr begehbar“
Mayer: Für Bergsteiger ist die Gefahr im Allgemeinen nicht so groß, weil es sich meistens um Regionen handelt, durch die keine Routen führen. Wo Gletscher verschwinden, können aber auch Muren abrutschen – dieses Risiko wird größer. Die bayerischen Gletscher haben aber eine so überschaubare Größe, dass die Gefahr hier nicht so groß ist.
Bei Berchtesgaden ist ein Mann in den Tod gestürzt, weil er sich an einen instabilen Felsen gelehnt hatte.
Mayer: Dabei hat der Klimawandel wohl keine Rolle gespielt. Felsen werden durch Erosion geschwächt und instabil, das ist normal. Es war einfach unglaubliches Pech, dass der Mann sich ausgerechnet an diesen Fels gelehnt hat. Für Bergsteiger ist es schwer erkenntlich, wenn Gestein instabil wird.
Müssen wir uns langfristig auf neue Begebenheiten in den Bergen einstellen?
Mayer: Ja, wir merken heute schon, dass einige Routen nicht mehr begehbar sind. Zumindest nicht mehr zu bestimmten Jahreszeiten. Zum Beispiel die Eiger Nordwand. Vor 30 Jahren war das noch eine Eistour. Inzwischen sind die Eisfelder so klein, dass eine Besteigung im Sommer extrem gefährlich ist. Die Route wird nur noch begangen, wenn alles gefroren ist. Sonst ist die Steinschlag-Gefahr zu groß.
Bayerns Gletscher verschwinden – Nur für einen gibt es noch etwas Hoffnung
Welche Gletscher in Bayern sind am schlimmsten vom Abtauen betroffen?
Mayer: Mehr oder weniger alle. Am extremsten betroffen sind wohl die beiden Schneeferner, weil sie in einem großen flachen Becken liegen, das nach Süden ausgerichtet ist. Dorthin scheint die Sonne den ganzen Tag. Der südliche Schneeferner wird wohl in wenigen Jahren verschwunden sein. Auch beim nördlichen bin ich nicht sicher, ob er dieses Jahrzehnt überleben wird. Der Höllentalferner könnte dank seiner schattigen Lage etwas länger bestehen, vielleicht noch ein oder zwei Jahrzehnte. Er profitiert von den Lawinen. Es ist der einzige bayerische Gletscher, der noch eine Gletscherzunge hat. Die wird aber bald verschwunden sein.
Haben Sie kommen sehen, wie schnell die Gletscher verschwinden werden?
Mayer: Vor 15 Jahren noch nicht. In den letzten Jahren war diese Entwicklung aber immer absehbarer.
(Übrigens: Unser Bayern-Newsletter informiert Sie über alle wichtigen Geschichten aus dem Freistaat. Melden Sie sich hier an.)
Klimawandel: Experte erklärt, wie sich Bayerns Gletscher verwandeln
Wie werden sich unsere Berge verändern?
Mayer: Im nächsten Jahrzehnt werden die Alpengletscher die Hälfte ihres Eisvolumens verlieren, daran führt kein Weg mehr vorbei. In den hohen Regionen werden relativ große Flächen eisfrei sein. Dort werden regelrechte Steinwüsten entstehen. Aber unsere Alpen werden auch grüner werden, weil sich die Vegetation immer mehr ausbreiten wird. Dort, wo viel Geröll liegt, dauert das länger.
Sind das so gravierende Veränderungen wie nach der Eiszeit?
Mayer: Es geht deutlich schneller als damals. Nach der letzten großen Vereisung vor 18 000 Jahren hat es Jahrtausende gedauert, bis die Regionen allmählich eisfrei und von Vegetation bedeckt wurden. Das ist nicht zu vergleichen mit der extremen Geschwindigkeit, mit der das heute passiert.
Wie viel Sorgen macht Ihnen das?
Mayer: Als Wissenschaftler blicke ich etwas neutraler auf diese unglaublich schnellen Entwicklungen. Als Bergsteiger macht es mich aber natürlich sehr betroffen. Auch, weil man schon so lange weiß, dass man etwas hätte tun können – das ist aber nicht passiert.
Interview: Katrin Woitsch