Arbeitgeber attackieren Ampel-Plan zur „Familienstartzeit“



Berlin Die geplante „Familienstartzeit“ würde für die Arbeitgeber jährliche Mehrkosten von 556 Millionen Euro bedeuten. Dies geht aus dem Entwurf aus dem Haus von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. Nach der Geburt eines Kindes sollen der Partner oder die Partnerin der Mutter künftig Anspruch auf eine bezahlte berufliche Auszeit von zehn Arbeitstagen haben.

Das Geld kommt aus dem sogenannten U2-Verfahren – einer von den Arbeitgebern gezahlten Umlage, aus der bisher die Leistungen des gesetzlichen Mutterschutzes finanziert werden. Für Selbstständige sollen die Krankenkassen die Auszeit finanzieren, das Ministerium rechnet mit Kosten „in Höhe eines geringen Millionenbetrags“.

Paus geht angesichts der Geburtenstatistik von jährlich rund 470.000 Anträgen auf „Familienstartzeit“ aus. Ziel des Gesetzes ist, dass Paare sich nach der Geburt eines Kindes von Beginn stärker gemeinschaftlich um Beruf und Familie kümmern.

„Mit der Geburt des Kindes und dem Beginn der Elternzeit stellen Paare zentrale Weichen für ihre Aufgabenteilung bei Familien- und Erwerbsarbeit“, heißt es im Referentenentwurf. Da diese Aufteilung bei fast allen Familien für lange Zeit beibehalten werde, habe die Entscheidung „große Tragweite für die gesamte Erwerbsbiografie und das Lebenseinkommen einschließlich der Altersabsicherung“.

Die geplante Freistellung soll auch Alleinerziehenden zugutekommen. Diese können statt des zweiten Elternteils eine andere Person aus ihrem Umfeld benennen, die dann eine berufliche Auszeit nehmen kann.

Familienstartzeit: Arbeitgeber und Union üben Kritik

Arbeitgeber und die Union sehen die Idee kritisch. Elternzeit und Elterngeld gäben Familien bereits seit Längerem die Möglichkeit, ab der Geburt im Job eine Pause einzulegen, sagte der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter. Die Politik müsse sich entscheiden, ob sie neue Freistellungsansprüche umsetzen oder den Arbeitskräftemangel lindern möchte. „Beides zusammen geht nicht.“

Die zahlreichen Vorstöße der Ampelparteien, Betrieben in schwierigen Zeiten noch zusätzliche Lasten aufzubürden, seien völlig aus der Zeit gefallen, sagte der Generalsekretär des Wirtschaftsrats der CDU, Wolfgang Steiger. „Wenn der Staat die Möglichkeit der Väterfreistellung festlegt, muss er auch die Kosten dafür tragen und darf die Lasten nicht allein den Arbeitgebern aufbürden.“

Im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine zweiwöchige vergütete Freistellung einzuführen. Der Entwurf befindet sich nun in der Abstimmung zwischen den Ressorts.

Eine Alternative zum Umlageverfahren wäre die Finanzierung aus Steuermitteln gewesen. Hierzu hieß es in der Grünen-Bundestagsfraktion, dies sei auch angesichts der anhaltenden Debatte um die Finanzierung der Kindergrundsicherung keine Option gewesen.

Im Entwurf heißt es zudem: Durch die Gleichbehandlung von Mutterschaftsleistungen und der neuen Partnerschaftsleistungen würden „rein frauenbezogene Lohnnebenkosten“ vermieden. Das wirke Diskriminierung entgegen.

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Lisa Paus (Grüne)

Die Pläne der Bundesfamilienministerin werden von Opposition und Arbeitgebern kritisiert.


(Foto: dpa)

Wenn die Partnerin oder der Partner im ersten Lebensmonat des Kindes einen Elterngeldmonat nimmt, wird die Partnerfreistellungsleistung mit dem Elterngeldmonat verrechnet. Für die ersten zwei Wochen gibt es dann vollen Lohnausgleich durch die Familienstartzeit und für die zweite Hälfte des Monats Elterngeld.

Werde der Elterngeldmonat hingegen nicht im ersten Lebensmonat genommen, gebe es keine Verrechnung mit der Familienstartzeit, teilte das Ministerium mit. Der Elterngeldmonat bleibe erhalten und könne zu einem späteren Zeitpunkt genommen werden.

EU-Richtlinie hätte schon früher umgesetzt werden müssen

Eigentlich hätte Paus eine Familienstartzeit schon zum 2. August 2022 einführen müssen. Hintergrund ist eine EU-Richtlinie, die ein „Recht auf Vaterschaftsurlaub für Väter oder gleichgestellte zweite Elternteile“ vorsieht. Darin wird ein Zeitraum von „mindestens zehn Tagen“ um den Zeitpunkt der Geburt des Kindes festgelegt.

Ziel sei es, „eine gleichmäßigere Aufteilung von Betreuungs- und Pflegeaufgaben zwischen Frauen und Männern zu fördern und den frühzeitigen Aufbau einer engen Bindung zwischen Vätern und Kindern zu ermöglichen“. Ende September hatte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet, weil bislang nicht einmal ein Gesetzentwurf vorlag.

Im November hatte sich Paus für die verspätete Umsetzung gerechtfertigt und seinerzeit betont, die wirtschaftliche Lage sei „schwierig“, vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Die Freistellung sei aber ein weiterer wichtiger Baustein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Mit der Unterstützung der Freistellung leisten die Arbeitgeber hierzu einen wichtigen Beitrag.“

Aus Kreisen des Ministeriums hieß es, in Vorgesprächen mit der Wirtschaft habe es „keinen Aufschrei“ gegeben. Von vielen Unternehmen werde die Familienstartzeit als Möglichkeit gesehen, sich modern aufzustellen und gute Arbeitnehmer an sich zu binden.

Bei SAP zum Beispiel gibt es bereits seit Januar 2020 die Möglichkeit für Väter, während der gesetzlichen achtwöchigen Mutterschutzzeit für 20 Prozent ihrer Arbeitszeit bezahlt freigestellt zu werden.

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