5. Kochi-Muziris-Biennale: Ein Schlupfloch namens Kunst



Kochi Als brodelnde Kunstmetropole ist die charmante Hafenstadt Kochi im Süden Indiens nicht bekannt. Aber wenn hier die größte Biennale Südostasiens stattfindet, verwandelt sie sich zu einer anziehenden Festivalstadt. Die einstigen Gewürzspeicher und Warenhäuser am Ufer des Arabischen Meeres werden zu Ausstellungshallen, in denen diesmal 90 geladene Künstlerinnen und Künstler aller Kontinente Fragen zum Zustand der Welt stellen.

In manchem ähnelt die 5. Kochi-Muziris-Biennale (KMB), die bis 10. April andauert, der Documenta in Kassel. Hier wie dort ist man an Gegenwartskunst interessiert, die sich mit politischen und sozialen Krisen globaler und regionaler Tragweite auseinandersetzt.

Und dennoch unterstreicht die aktuelle Kuratorin Shubigi Rao: „Das ist eine Schau gegen Desillusionierung“. Ihr Motto heißt „In unseren Venen fließt Tinte und Feuer“. Es steht für so Gegensätzliches wie lodernde Wut und Poesie. Nach der Pandemie, die zu einer zweijährigen Verschiebung führte, wollte Rao die beunruhigende Kraft der Kunst, aber auch Optimismus und Humor in den Vordergrund stellen.

In der Tat kommt es selten vor, dass ein satirischer Zeichner wie der Libanese Ali Cherri zu einer Biennale eingeladen wird. Mit zartem Strich erzählt er hintergründige Gleichnisse. Ganz harmlos erinnert etwa ein Film-Clip an die Mauern und Grenzen dieser Welt: Ein Vogel durchdringt einen schier unüberwindbaren Zaun, in dem er vorn in ein am Zaun fixiertes Vogelhäuschen hineinfliegt und durch ein Schlupfloch auf der anderen Seite wieder heraus.

Kuratorin Shubigi Rao ist als Künstlerin und Schriftstellerin wahrscheinlich zu poetisch, um wie auf der Documenta fifteen aktivistischer Kunst zu viel Raum zu schenken. Aber auch ihre Auswahl zeigt die Tendenz, die Botschaft in den Vordergrund und über die Ästhetik zu stellen.

Jitish Kallit

Die Installation „Covering Letter“ lässt die Betrachterin in die Projektion eines Briefs auf eine Wand aus Nebel eintauchen. Schreiber ist Mahatma Ghandi, Adressat: Adolf Hitler.


(Foto: Kochi-Muziris-Biennale)

Ein Synonym für den rigorosen Eingriff in gewachsene Strukturen ist etwa das Dorf Kurdi bei Goa. Der Künstler Sahil Naik hat seine Geschichte für „All is water and to water we must return“ als Rauminstallation verarbeitet. Aus Sand und Ziegelsteinen errichtete er eine Ruinenstadt. Mittendrin dümpelt eine Wasserlache; aus Lautsprechern tönen Volkslieder, die dort einst gesungen wurden.

Das Dorf wich in den 1960er-Jahren einem Staudamm; 3000 Familien wurden zwangsumgesiedelt. Wie in einem modernen Mythos lässt niedriger Wasserstand bei Dürreperioden das Dorf wiederauferstehen.

Lesen Sie hier >> Documenta 15: Wir müssen die Welt verbessern

Kunst sieht Shubigi Rao als Weg zum Story Telling über die Befindlichkeit unserer Zeit. Dieser Auffassung folgt auch der Schweizer Künstler Uriel Orlow mit seinem Projekt „Up, up, up“ zur Erderwärmung. Mit Fotos, Video, Grafiken aus alten Pflanzenbüchern und dem ohrenbetäubenden Pfeifen des Windes in den Höhen der Engadiner Alpen beschreibt er die Verdrängung der Gipfelflora durch die Ausbreitung von Pflanzen der gemäßigteren Zonen.

Das Entre seiner Inszenierung bildet ein minimalistisches Farbsequenzband von Blau über Orange zu Rot. Was wie Kunst aussieht, ist Wissenschaft. Es handelt sich um den sogenannten Klimastreifen des Wissenschaftlers Ed Hawkins und veranschaulicht die durchschnittliche Temperatur auf der Erde von 1880 bis 2018.

Dem Konzept eines Fotobuchs über Frauen in Nepal folgt das Werk „A publik Life of Women. A feminist Memory projekt“. Schöpfer sind Diwas Raja KC und Nayari Tarqa Gurung Kakshapati. Ihre Collage aus Familienfotos, Pressedokumenten, Porträts wie das von Mangala Devi Singh, der Gründerin der Nepal Woman Association, erzählt von der bislang unterschätzten Partizipation von Frauen in Literatur, Bildung und im politischen Kampf um Demokratie.

Inszenierungen wie diese haben sich inzwischen weltweit zu einem künstlerischen Genre entwickelt. Sie greifen das Prinzip der Collage im dokumentarisch-narrativen Sinn auf.

Asim Waqif

In der großen, begehbaren Bambus-Skulptur erklingen die Töne von Trommel und Xylophon. Schauplatz ist der Garten von Aspenwall-House.


(Foto: Kochi-Muziris-Biennale)

Genaue Recherche betrieb auch Pio Abad. Der Filipino stellte auf seinen Strichzeichnungen heiß begehrte Sammelobjekte aus Auktionen von Christie‘s und Sotheby‘s im Look von Warenkatalogen der Belle Epoque zusammen: Silberpokale aus dem Besitz der Familie Marcos etwa, Handtaschen von Margaret Thatcher, die Tiara von Zarengattin Alexandra Romanowa.

Abad stellt die Frage nach der Moral der Dinge. Denn was er zeigt, stammt von Diktatoren, Spekulanten oder nach seiner Meinung demokratisch umstrittenen Persönlichkeiten. Diese Message-Kunst stellt die Botschaft über die Ästhetik.

Doch nur wenige Kunstwerke sind so frei, spielerisch und sinnenfroh wie das große Bambus-Looping des Inders Asim Waqif. Er arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Architektur. Das Trommeln und Xylofonspiel, das aus Waqifs Fantasiegebilde schallt, konnte Anfang Dezember die Misstöne in Kochi jedoch nicht überspielen.

Einen Tag vor der offiziellen Eröffnung am 12. Dezember entschied die Biennale Foundation, den Startschuss erst 14 Tage später zu geben. Der Aufbau verzögerte sich. In Kochi längst angereist waren Journalistinnen, Galeristen und Kunstfreundinnen aus ganz Asien und Europa.

Ein buntes Gemisch an Begründungen schwirrte durch die Luft. Zu starker Regen hätte den Zugang zu den einstigen Gewürzlagern erschwert, war eine Version. Nicht geklärte Besitzverhältnisse eine andere. Wie das Handelsblatt von Bose Krishnamachari, dem Präsidenten der KMB-Foundation, erfuhr, verzögerte sich der lang angebahnte Verkauf der Speicher an den Staat Kerala aufgrund plötzlich hochgeschraubter Preisvorstellung des Vorbesitzers.

Für die Biennale, die einen Mietvertrag mit dem Staat hat, entstand angeblich ein juristisches Vakuum. Der gute Ruf der KMB ist nun überschattet. In einem offenen Brief nannten Biennale-Künstler strukturelle Gründe wie etwa schlechte Kommunikation, verschwommene Finanzierung und „last minute fund raising“ sowie das Fehlen eines langfristigen technischen Ablaufplans als Ursache für das desaströse Opening.

Der Münchner Autokonzern BMW, der die Biennale jährlich mit einem sechsstelligen Betrag fördert, sieht die Panne gelassener. „Der Imageschaden für BMW als Sponsor ist minimal, denn es ist nicht zu unterschätzen, welche Strahlkraft die Biennale für die Kunstszene in Indien hat“, sagt Thomas Girst, Leiter BMW Group Kulturengagement.

Die Popularität der KMB war nicht nur erkennbar an den angereisten Kunstfreunden. Seit ihrer Gründung animiert sie Museen und Institutionen zu Satelliten-Ausstellungen. Im Mocha-Art-Café im jüdischen Viertel von Kochi warnt der Inder Prasanta Sahu mit einem kleinen Archiv an abgeformten Pflanzen vor dem Verschwinden des bäuerlichen Kleinerwerbs.

In die David Hall, einem Kulturcafé in der Nähe des Strandes, zog die Sidharta Art Gallery aus Kathmandu mit zeitgenössischer Kunst aus Nepal. Auch ganz junge Kunst ist neben renommierten Positionen zu sehen.

Unweit der Studentenbiennale präsentiert das Kiran Nadar Museum den neuesten Film des Südafrikaners William Kentridge. Er veranschaulicht mit Pappfiguren Stalins Terror gegen Kulturschaffende. Jitish Kallats Installation „Covering Letter“ projiziert einen authentischen Brief Mahatma Ghandis an Adolf Hitler auf eine Wand aus Nebel. Ephemer wie der Dunst verflüchtigte sich einst auch der Appell Ghandis.

Die Satelliten-Shows waren übrigens zum ursprünglichen Starttermin bereits begehbar. Auch wenn die Besucher auf dicken Holzbohlen über große Regenpfützen balancieren mussten.

Mehr: Indische Sammler zeigen sich offen für internationale Kunst



Source link