Sturm im Windland – Politik


Die Wahllokale waren kaum geschlossen, da war an der Bundesspitze der Grünen schon etwas angestrengter Frohsinn zu besichtigen. Man wird jetzt einiges erklären müssen. 14 Prozent hat die Partei bei der Landtagswahl in Niedersachsen geholt, jedenfalls sah es nach ersten Zahlen so aus. Damit gehörten die Grünen am Sonntag zu den Wahlsiegern. Doch der Rückenwind für Berlin hätte aus grüner Sicht kräftiger ausfallen können. Trotzdem gab die Parteispitze in Berlin sich alle Mühe, das Resultat zu einem großen Erfolg umzudeuten.

“Wir haben ein starkes Ergebnis. Wir haben deutlich zugelegt und , sagte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang kurz nach 18 Uhr in der Parteizentrale in Berlin. Sie betrachte das Ergebnis als Auftrag für die Grünen, jetzt wieder mitzuregieren in Niedersachsen, das als modernisiertes Industrie- und “als Windland vorausgehen” könne. “Klar hätten wir uns gefreut über ein paar Prozente mehr”, räumte die Grünen-Politikerin etwas später ein. “Diese letzten Wochen waren ganz klar stürmische Zeiten.”

Bloß nicht unter 15 Prozent rutschen – und in Niedersachsen mit der SPD eine Landesregierung bilden. So etwa sah die Reiseroute aus, die sich die Bundesspitze der Grünen für die Landtagswahl gewünscht hatte. Der dritte Wahlsieg in Folge und dann innovative Energie-, Landwirtschafts- und Klimapolitik mit der SPD anpacken, so hatte man sich die Sache vorgestellt.

“Gerade drücke ich der FDP einfach nur die Daumen”, sagt die Grünenchefin

Ganz so einfach allerdings dürfte die Wirklichkeit nicht werden, denn die Grünen haben schwächer abgeschnitten als erhofft. Ihr Ergebnis in Niedersachsen liegt zwar deutlich über dem von 2017, damals kamen sie nur auf 8,7 Prozent. Vor wenigen Monaten waren Niedersachsens Grünen allerdings noch Spitzenwerte von 22 Prozent prognostiziert worden. Was folgte, waren viele Wochen, in denen die Koalition in Berlin sich stritt und in denen der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sich mit den eigenen Leuten in den Haaren lag wegen der Laufzeiten für Atomkraft. Auch Habecks vermurkste Gasumlage hat nicht geholfen.

Gegenwind also aus dem Bund für die niedersächsischen Grünen – diese Analyse war schnell bei der Hand am Sonntag. Was weniger laut gesagt wurde: Das Niedersachsen-Ergebnis könnte nun seinerseits zum Stimmungsdämpfer werden. Vor allem in Berlin, wo sich die Ampel-Koalition durch wachsende Spannungen kämpft, dürfte das Regieren nicht einfacher werden.

Zum einen ist da die Anspannung der FDP, die am Wahlabend zittern musste, ob sie es wieder in den niedersächsischen Landtag schaffen würde oder nicht. Flöge sie raus, so befürchteten die Bundesgrünen vor der Wahl, würde die Zusammenarbeit mit FDP-Chef Christian Lindner in Berlin noch schwieriger werden als ohnehin schon. Aber auch eine äußerst knappe Landung über der Fünf-Prozent-Hürde wäre nicht geeignet, die Nerven der FDP zu stärken. “Gerade drücke ich der FDP einfach nur die Daumen”, sagte Grünenchefin Lang. “Wir haben ein Vertrauensverhältnis innerhalb der Koalition”, betonte Co-Parteichef Omid Nouripour. Er gehe davon aus, dass die gewaltige Verantwortung in der Krise jetzt auch in Berlin “von allen angenommen” werde. Es klang wie eine freundliche Warnung an den liberalen Regierungspartner.

Und noch eine zweite Lehre aus dieser Wahlnacht dürften die Grünen ziehen: Je näher der Winter kommt und je größer die Ängste werden vor Energieknappheit und Wohlstandsverlust, desto größer wird die Neigung, den Kummer auch vor grünen Haustüren abzuladen oder die AfD zu wählen. Niedersachsen, das war sozusagen ein erster Vorgeschmack auf einen ungemütlichen grünen Winter.



Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/politik/gruene-sturm-im-windland-1.5671801