So kämpft sich Putins Raketenopfer ins Leben zurück


Nach Putins Raketenterror: Münchner Top-Ärzte im Klinikum rechts der Isar retteten Katherynas Bein und züchteten in ihm zwölf Zentimeter Oberschenkelknochen nach. Nun gibt es eine neue Erfolgsmeldung: Die 23-Jährige kann wieder gehen. Die Ärzte in der Privatklinik Jägerwinkel am Tegernsee sind beeindruckt.
Katherynas Weg zurück in den Alltag ist steinig und kräftezehrend, aber die Entwicklung in der Reha führt steil nach oben: Vor ein paar Tagen ist sie mit ihren Betreuern in der Privatklinik Jägerwinkel am Tegernsee wieder einen langen Flur entlang gegangen – zwar mit Gehhilfen, aber auf ihren eigenen Beinen. Ein Riesenerfolg für die junge Frau aus der Ukraine, die bei einem russischen Raketenangriff schwer verletzt worden war. Ihr nächstes Ziel: „Ich möchte über die Straße gehen, dort ist ein italienisches Restaurant“, erzählt sie. Am Montag hat sie die Reha unterbrochen und ist wieder bei ihrem Vater und ihrer Schwester, die seit ihrer Flucht aus der Ukraine im Westen von München leben.
Auf ihre großen Fortschritte hätte im Sommer kaum jemand zu hoffen gewagt. „Katherynas Energie und Mut sind beeindruckend“, lobt Chefarzt Dr. Florian Heimlich. Die Ärzte sind begeistert. Mit der spektakulären Operation zur Rettung ihres Beins haben sie optimale Voraussetzungen für eine Genesung geschaffen. Jetzt muss Katheryna selbst aktiv daran mitarbeiten. Das gelinge ihr prima – auch weil sie trotz ihrer traumatischen Erlebnisse immer positiv nach vorne blickt. „Ich denke in kleinen Schritten, und was ich inzwischen geschafft habe, das fühlte sich bis vor kurzem unmöglich an“, erzählt die junge Frau stolz. Ihre Wunden heilen, das mache sie glücklich. Und so kleine Dinge wie den Erfolg, dass sie inzwischen wiede duschen kann. „Das klingt so klein und unwichtig, aber für mich ist es ein wunderbares Gefühl“, freut sie sich. „Es gab so viel Dunkelheit, Schmerzen und Stress, aber es wird besser“, sagt sie.
Neben der Verletzung hat Katheryna auch mit der Erinnerung zu kämpfen. Denn bei dem Raketenangriff auf das Einkaufszentrum von Krementschuk, der weltweit Empörung und Entsetzen entfachte, wurde nicht nur ihr Bein zerfetzt. Ihre Mama starb in den Trümmern. Es war ein Wendepunkt in ihrem Leben, das gerade noch so positiv verlaufen war. Katheryna lebte in Kanada, hatte dort kurz zuvor einen Job angetreten. Als in der Ukraine der Krieg ausbrach, reiste Katheryna heim zu ihrer Mutter. Der Besuch endete in einem realen Albtraum.
Schwer verletzt kam Katheryna nach München ins Uniklinikum rechts der Isar. Dort gelang es den Top-Unfallchirurgen, das rechte Bein der 23-Jährigen zu retten (siehe Kasten). Nun, nach wenigen Wochen in der Reha-Klinik am Tegernsee, kann sie sogar wieder auf Krücken gehen. Orthopädie-Chefarzt Heimlich begleitet seine Patientin bereits seit dem Spätsommer – kurz nach ihrer ersten OP. „Ihr Allgemeinzustand ist inzwischen viel, viel besser.“ Der Reha-Spezialist hat einen Therapieplan entwickelt, um Katheryna wieder auf ihre eigenen Beine zu bringen. Ein Schlüssel dazu: die sogenannte Mobilisierung. Sie soll ihr das Selbstvertrauen zurückgeben, um den Rollstuhl stehen zu lassen und wieder erste Schritte zu wagen.
Ein Kraftakt – denn in ihrem Oberschenkel musste ein zwölf Zentimeter langes Knochenstück ersetzt werden. Es wurde nachgezüchtet (siehe Text unten). Doch der frische Knochen ist derzeit noch nicht so belastbar, dass er das Gewicht von Katherynas Körper tragen kann. „Zunächst ging es darum, das Bein für die Belastung von etwa 15 Kilogramm fit zu machen“, erklärt Heimlich. Die Therapie lief behutsam, um Katheryna zu starke Schmerzen zu ersparen. Um ihr Bein zu entwässern, bekam sie regelmäßig Lymphdrainagen.
Zu ihrem Rehaprogramm gehörte neben krankengymnastischen Übungen auch sogenannte passive Bewegung. In einer motorisierten Schien wurde ihr Bein automatisch gebeugt und gestreckt – täglich 20 Minuten lang. „Ziel des Therapiebausteins ist es, die Beweglichkeit des Beins im Kniegelenk zu erhalten“, erläutert Chefarzt Heimlich.
Die Reha ist äußerst komplex. Der medizinische Hintergrund: Bei dem Raketeneinschlag sind in Katherynas Oberschenkel neben Haut und Knochen auch Sehnen, Muskeln und Nerven zerstört worden. Dadurch konnte sie ihren rechten Fuß nicht mehr bewegen. Er geriet in eine Fehlstellung, die Zehen hingen nach unten. Mit einer speziellen Schiene, in der Fachsprache Orthese genannt, soll der Fuß nun wieder in die richtige Position gebracht werden. Darüber hinaus gleicht ein Spezialschuh die unterschiedlichen Beinlängen aus, das rechte ist zwei Zentimeter kürzer als das linke.
Auch dank intensiver Physiotherapie kommt Katheryna mit Gehstützen voran. Sie übt fleißig. „Jetzt kommt’s darauf an, dass sie dranbleibt“, so Heimlich. Seiner Patientin gibt er eine gute Prognose: „Die OP ist hervorragend gelaufen. Im Röntgenbild zeigt sich, dass der Knochen heilt. Ich bin zuversichtlich, dass Katheryna immer besser laufen kann.“ Ob sich auch die Nerven in ihrem Bein erholen, könne er nicht vorhersagen. „Wir alle wünschen es ihr von Herzen“, sagt der Chef-Orthopäde.



Knochen nachgezüchtet: So retteten Münchner Top-Ärzte Katherynas Bein
Bei der Explosion erwischte es vor allem die Rückseite von Katherynas rechtem Oberschenkel, der Knochen wurde auf einer Länge von zwölf Zentimetern zerstört. Zudem hatte die gewaltige Druckwelle einen multiresistenten Keim tief ins Gewebe gedrückt. Da gegen diesen Keim keine Antibiotika wirken, mussten Prof. Peter Biberthaler, Direktor der Unfallchirurgie am Klinikum rechts der Isar, sein Kollege Prof. Marc Hanschen das befallene Gewebe entfernen. Danach fixierten sie den Oberschenkelknochen. Um die fehlenden zwölf Zentimeter zu überwinden, wurde der obere Teil des erhaltenen Knochens durchtrennt und dann das abgetrennte Stück einen Millimeter nach unten gezogen. Der Knochen der jungen Frau bildete Gewebe, um zu heilen und den Spalt zu überbrücken. So wuchsen die zwei Stücke über Nacht wieder leicht zusammen. Da sie jeden Tag wieder einen Millimeter weiter auseinandergezogen wurden, waren nach 120 Tagen die fehlenden zwölf Zentimeter überbrückt. Der Knochen war also quasi im Körper der Patientin nachgezüchtet worden. Jetzt ist er mit einer Platte fixiert und soll nach und nach fester werden.