„Der perfekte Chef“ im Kino: Lüstern nach Exzellenz – Kultur


Gut fürs Geschäft, wenn man als Fabrikant einen prominenten Fürsprecher hat, der in der Werbung die Qualität seiner Produkte zu rühmen hilft. Julio Blanco kann für seine florierende Firma Básculas Blanco, die Blanco-Waagen, mit einem Super-Promi aufwarten: “Justitia benutzt Blanco-Waagen” steht auf einem Werbevorschlag, den er mit stolzer Listigkeit präsentiert.

Ein testimonial – so nennen das die Werbeleute – von der Justiz, der Gerechtigkeit, das ist ein großer Moment der Woche, in der wir Julio, in diesem Film begleiten, den “perfekten Chef” in voller Aktion. Eine entscheidende Woche, denn Julio ist gerade dabei, das letzte Puzzlestück seines Erfolgs an die richtige Stelle zu schieben – die Regionalregierung hat seine Fabrik nominiert für den Preis exzellenter unternehmerischer Leistung, dieses Zertifikat fehlt bislang an der Ruhmeswand in seiner Villa.

Leider läuft der Betrieb gerade in dieser Woche nicht so reibungslos, und Julio macht also Sachen, die nicht unbedingt korrekt und anständig sind. Zu den Instrumenten seiner unternehmerischen Exzellenz zählen Unerbittlichkeit, Bestechung, Erpressung, Übergriffigkeit. Es ist eine großartige Rolle für Javier Bardem, er kombiniert eine fade Spießigkeit mit unglaublicher Kühnheit, sobald es ums Geschäft geht. Und die Grenze zum Privaten ignoriert er engagiert und lustvoll – im Patron ist die Familie, anders als beim Chef, immer präsent. Bardems Blick ist unwiderstehlich, wie er über den Rand seiner leicht abgerutschten Brille schielt, prüfend, abwartend, lüstern. Justitia hat die Augen verbunden, wenn sie ihre Entscheidungen trifft, aber natürlich weiß Julio, dass man manchmal die Waage austricksen muss, um ihr Gleichgewicht zu bewahren.

Gerade vor der Nominierung hat Julio einen seiner Angestellten gefeuert, der sich aber damit nicht abfinden will und vor dem Fabrikeingang sein Lager aufschlägt, um lautstark gegen die unternehmerische Willkür und Unnachgiebigkeit zu protestieren, mit Musik und Megafon. Das macht sicher keinen guten Eindruck auf die Prüfer in Sachen Exzellenzpreis. 2002 hat Javier Bardem mit Fernando León de Aranoa “Montags in der Sonne” gedreht, über fünf Arbeiter in einer Hafenstadt, die mit ihrer plötzlichen Arbeitslosigkeit konfrontiert waren. Bardem war einer von ihnen, dunkelhaarig und bärtig, ruppig und rau. 2017 drehten die beiden “Loving Pablo”, über den Drogenboss Pablo Escobar.

Was einen guten Patron ausmacht, bleibt wunderbar in der Schwebe

Auch im Innern des Betriebs gibt es Probleme, Julios Produktionschef ist merklich konfus und uneffektiv. “Meine Frau braucht frischen Wind”, klagt er im privaten Gespräch dem Chef, sie hat eine Affäre mit einem anderen. Also sucht Julio sie auf und hätte gern, dass sie ihr geschäftsschädigendes Treiben unterließe. Er selber kriegt dann noch einige Probleme mit einer neuen Praktikantin.

Was einen perfekten Chef, einen guten Patron ausmacht, bleibt in dem Film wunderbar in der Schwebe – dem Kino ist die Moral seiner Geschichten gleichgültig. Der große Industrielle und Firmenchef ist eine genuine Kinofigur, bei Orson Welles oder Preston Sturges oder Frank Capra, Citizen Kane, der große McGinty, Thomas A. Dickson … Er mag fies und obsessiv und despotisch sein, aber er fasziniert durch seine Konsequenz, mit der er den Betrieb am Laufen hält – indem das Kino, die große kapitalistische Kunst, sich selbst reflektiert, als perfektes Räderwerk, als Illusionsmaschine.

Am Eingang seiner Fabrik ist eine große Waage platziert, deren perfekte Balance Julio persönlich überprüft (was im Verlauf der Woche auch mal ein veritabler Scheiß-Job werden wird). Seine Ambition, sein ganzes Verlangen kann man nur erfassen durch das spanische excelencia – das deutsche Exzellenz kling viel zu zackig zu zupackend. Wenn Javier Bardem das spanische Wort ausspricht, schmiegt es sich lustvoll und sanft an seine Stimme.

El buen patrón, 2022 – Regie und Buch: Fernando León de Aranoa. Kamera: Pau Esteve Birba. Schnitt: Vanessa Marimbert. Musik: Zeltia Montes. Mit: Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Sonia Almarcha, Fernando Albizu, Tarik Rmili. Alamode, 116 Minuten. Start 28. Juli 2022.



Quellenlink https://www.sueddeutsche.de/kultur/der-perfekte-chef-kino-javier-bardem-1.5630192